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Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.

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Sechstes Kapitel.
sie ist entweder eine Gemeinde oder eine Genossenschaft. Die
erstere ist an einen bestimmten geographischen Bezirk gebun-
den, und erfaßt, wenn auch auf verschiedene Weise, alle Be-
wohner desselben, so daß eine Ausnahme davon besonders be-
gründet seyn muß, und diejenigen, welche nicht im Gemein-
deverband stehen, als Eximirte oder als Fremde zu betrachten
sind; sie hat ferner eine unmittelbare politische Bedeutung,
und schließt sich als ein vermittelndes Glied zwischen den Ein-
zelnen und der Gesammtheit, dem Staatsorganismus als in-
tegrirender Theil an. Die Genossenschaft dagegen ist nicht
nothwendig und nicht einmal gewöhnlich auf einen bestimmten
Bezirk beschränkt, und hat keine so gleichmäßig wirkenden
Zwecke wie die Gemeinde; sie zieht daher nicht alle Bewohner
in ihre Rechtssphäre, sondern nur solche, welche aus besonde-
ren Gründen ihr angehören. Auch bildet sie, so groß auch
im Allgemeinen ihre politische Bedeutung seyn kann, für ge-
wöhnlich doch keinen Theil der Staatsverfassung, und wenn
in einzelnen Fällen eine solche Beziehung besteht, eine Stadt-
verfassung z. B. auf Zünften beruht, oder die Provinzialritter-
schaft in einer Landesverfassung eine bestimmte Stellung ein-
nimmt, so ist das nicht die Folge des genossenschaftlichen Prin-
cips, sondern einer Verschmelzung desselben mit andern Insti-
tutionen. Es kann freilich unter Umständen wohl gar ein
Zweifel bestehen, ob man eine Corporation als Genossenschaft
oder als Gemeinde aufzufassen hat, z. B. bei dem Deichver-
bande und der sogenannten Markengenossenschaft, welche oft
die Grundlage eines wahren Gemeindewesens sind, aber doch,
wenn sie auch einen ganzen Bezirk gleichmäßig erfassen, ihrer
ursprünglichen Bestimmung nach nur die Erreichung eines
einzelnen Zweckes zum Ziele hatten. Indessen ist auch zu er-

Sechſtes Kapitel.
ſie iſt entweder eine Gemeinde oder eine Genoſſenſchaft. Die
erſtere iſt an einen beſtimmten geographiſchen Bezirk gebun-
den, und erfaßt, wenn auch auf verſchiedene Weiſe, alle Be-
wohner deſſelben, ſo daß eine Ausnahme davon beſonders be-
gruͤndet ſeyn muß, und diejenigen, welche nicht im Gemein-
deverband ſtehen, als Eximirte oder als Fremde zu betrachten
ſind; ſie hat ferner eine unmittelbare politiſche Bedeutung,
und ſchließt ſich als ein vermittelndes Glied zwiſchen den Ein-
zelnen und der Geſammtheit, dem Staatsorganismus als in-
tegrirender Theil an. Die Genoſſenſchaft dagegen iſt nicht
nothwendig und nicht einmal gewoͤhnlich auf einen beſtimmten
Bezirk beſchraͤnkt, und hat keine ſo gleichmaͤßig wirkenden
Zwecke wie die Gemeinde; ſie zieht daher nicht alle Bewohner
in ihre Rechtsſphaͤre, ſondern nur ſolche, welche aus beſonde-
ren Gruͤnden ihr angehoͤren. Auch bildet ſie, ſo groß auch
im Allgemeinen ihre politiſche Bedeutung ſeyn kann, fuͤr ge-
woͤhnlich doch keinen Theil der Staatsverfaſſung, und wenn
in einzelnen Faͤllen eine ſolche Beziehung beſteht, eine Stadt-
verfaſſung z. B. auf Zuͤnften beruht, oder die Provinzialritter-
ſchaft in einer Landesverfaſſung eine beſtimmte Stellung ein-
nimmt, ſo iſt das nicht die Folge des genoſſenſchaftlichen Prin-
cips, ſondern einer Verſchmelzung deſſelben mit andern Inſti-
tutionen. Es kann freilich unter Umſtaͤnden wohl gar ein
Zweifel beſtehen, ob man eine Corporation als Genoſſenſchaft
oder als Gemeinde aufzufaſſen hat, z. B. bei dem Deichver-
bande und der ſogenannten Markengenoſſenſchaft, welche oft
die Grundlage eines wahren Gemeindeweſens ſind, aber doch,
wenn ſie auch einen ganzen Bezirk gleichmaͤßig erfaſſen, ihrer
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[162/0174] Sechſtes Kapitel. ſie iſt entweder eine Gemeinde oder eine Genoſſenſchaft. Die erſtere iſt an einen beſtimmten geographiſchen Bezirk gebun- den, und erfaßt, wenn auch auf verſchiedene Weiſe, alle Be- wohner deſſelben, ſo daß eine Ausnahme davon beſonders be- gruͤndet ſeyn muß, und diejenigen, welche nicht im Gemein- deverband ſtehen, als Eximirte oder als Fremde zu betrachten ſind; ſie hat ferner eine unmittelbare politiſche Bedeutung, und ſchließt ſich als ein vermittelndes Glied zwiſchen den Ein- zelnen und der Geſammtheit, dem Staatsorganismus als in- tegrirender Theil an. Die Genoſſenſchaft dagegen iſt nicht nothwendig und nicht einmal gewoͤhnlich auf einen beſtimmten Bezirk beſchraͤnkt, und hat keine ſo gleichmaͤßig wirkenden Zwecke wie die Gemeinde; ſie zieht daher nicht alle Bewohner in ihre Rechtsſphaͤre, ſondern nur ſolche, welche aus beſonde- ren Gruͤnden ihr angehoͤren. Auch bildet ſie, ſo groß auch im Allgemeinen ihre politiſche Bedeutung ſeyn kann, fuͤr ge- woͤhnlich doch keinen Theil der Staatsverfaſſung, und wenn in einzelnen Faͤllen eine ſolche Beziehung beſteht, eine Stadt- verfaſſung z. B. auf Zuͤnften beruht, oder die Provinzialritter- ſchaft in einer Landesverfaſſung eine beſtimmte Stellung ein- nimmt, ſo iſt das nicht die Folge des genoſſenſchaftlichen Prin- cips, ſondern einer Verſchmelzung deſſelben mit andern Inſti- tutionen. Es kann freilich unter Umſtaͤnden wohl gar ein Zweifel beſtehen, ob man eine Corporation als Genoſſenſchaft oder als Gemeinde aufzufaſſen hat, z. B. bei dem Deichver- bande und der ſogenannten Markengenoſſenſchaft, welche oft die Grundlage eines wahren Gemeindeweſens ſind, aber doch, wenn ſie auch einen ganzen Bezirk gleichmaͤßig erfaſſen, ihrer urſpruͤnglichen Beſtimmung nach nur die Erreichung eines einzelnen Zweckes zum Ziele hatten. Indeſſen iſt auch zu er-

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/174>, abgerufen am 28.03.2024.