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Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.

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Sechstes Kapitel.
Corporationen, die Familien des hohen Adels u. s. w. in lang-
samer Entwicklung, oft unter Kampf und Noth, sich zur ge-
nossenschaftlichen Verbindung gestalten, und in festen Formen
sich abschließend endlich eine bestimmte corporative Stellung
gewinnen. Es läßt sich dieser Entwicklungsproceß mit der
allmäligen, zum Theil unbewußten Entfaltung des Gemeinde-
und Staatswesens vergleichen, und gerade die Genossenschaft
war es, welche im Mittelalter nicht wenig von dem an sich
zog, was jetzt dem Staate und dessen allgemeiner Organisa-
tion gebührt. Jene Vereine gewannen, indem sie zum Da-
seyn gelangten, einen beträchtlichen Antheil an der öffentlichen
Gewalt, welche noch nicht in einer geordneten Staatsverfas-
sung ihre volle Ausbildung erlangt hatte; oder sie setzten sich
mit den herrschenden Mächten in ein bestimmtes Verhältniß,
indem sie bald durch Kampf auf ihre Kosten sich stärkten,
bald durch Unterwerfung Anerkennung und Schutz so wie
Freiheiten und Rechte mancher Art sich zu verschaffen wußten. --
Anders als durch eine solche allmälige Entwicklung sind
manche Genossenschaften sofort durch einen bestimmten juristi-
schen Act constituirt worden, indem Einzelne zu einem gemein-
samen Zweck, wie weit oder eng dieser nun war, sich auf die
Dauer vereinigten, und durch die ganze Anlage ihrer Verbin-
dung und durch die Verfassung, welche sie sich gaben, es
gleichfalls zur Corporation brachten, welche denn, je nach den
Umständen, ganz unabhängig da stand, insofern die Genossen
sich innerhalb ihrer Rechtssphäre hielten, und kräftig genug
waren, diese selbständig zu schirmen, oder der Anerkennung
und dem Schutz der Oberen unterworfen ward, wie es eben
nothwendig oder räthlich erschien. Auf diese Weise sehen wir
Städtebündnisse, landschaftliche Corporationen, Erbverbrüderun-

Sechſtes Kapitel.
Corporationen, die Familien des hohen Adels u. ſ. w. in lang-
ſamer Entwicklung, oft unter Kampf und Noth, ſich zur ge-
noſſenſchaftlichen Verbindung geſtalten, und in feſten Formen
ſich abſchließend endlich eine beſtimmte corporative Stellung
gewinnen. Es laͤßt ſich dieſer Entwicklungsproceß mit der
allmaͤligen, zum Theil unbewußten Entfaltung des Gemeinde-
und Staatsweſens vergleichen, und gerade die Genoſſenſchaft
war es, welche im Mittelalter nicht wenig von dem an ſich
zog, was jetzt dem Staate und deſſen allgemeiner Organiſa-
tion gebuͤhrt. Jene Vereine gewannen, indem ſie zum Da-
ſeyn gelangten, einen betraͤchtlichen Antheil an der oͤffentlichen
Gewalt, welche noch nicht in einer geordneten Staatsverfaſ-
ſung ihre volle Ausbildung erlangt hatte; oder ſie ſetzten ſich
mit den herrſchenden Maͤchten in ein beſtimmtes Verhaͤltniß,
indem ſie bald durch Kampf auf ihre Koſten ſich ſtaͤrkten,
bald durch Unterwerfung Anerkennung und Schutz ſo wie
Freiheiten und Rechte mancher Art ſich zu verſchaffen wußten. —
Anders als durch eine ſolche allmaͤlige Entwicklung ſind
manche Genoſſenſchaften ſofort durch einen beſtimmten juriſti-
ſchen Act conſtituirt worden, indem Einzelne zu einem gemein-
ſamen Zweck, wie weit oder eng dieſer nun war, ſich auf die
Dauer vereinigten, und durch die ganze Anlage ihrer Verbin-
dung und durch die Verfaſſung, welche ſie ſich gaben, es
gleichfalls zur Corporation brachten, welche denn, je nach den
Umſtaͤnden, ganz unabhaͤngig da ſtand, inſofern die Genoſſen
ſich innerhalb ihrer Rechtsſphaͤre hielten, und kraͤftig genug
waren, dieſe ſelbſtaͤndig zu ſchirmen, oder der Anerkennung
und dem Schutz der Oberen unterworfen ward, wie es eben
nothwendig oder raͤthlich erſchien. Auf dieſe Weiſe ſehen wir
Staͤdtebuͤndniſſe, landſchaftliche Corporationen, Erbverbruͤderun-

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[170/0182] Sechſtes Kapitel. Corporationen, die Familien des hohen Adels u. ſ. w. in lang- ſamer Entwicklung, oft unter Kampf und Noth, ſich zur ge- noſſenſchaftlichen Verbindung geſtalten, und in feſten Formen ſich abſchließend endlich eine beſtimmte corporative Stellung gewinnen. Es laͤßt ſich dieſer Entwicklungsproceß mit der allmaͤligen, zum Theil unbewußten Entfaltung des Gemeinde- und Staatsweſens vergleichen, und gerade die Genoſſenſchaft war es, welche im Mittelalter nicht wenig von dem an ſich zog, was jetzt dem Staate und deſſen allgemeiner Organiſa- tion gebuͤhrt. Jene Vereine gewannen, indem ſie zum Da- ſeyn gelangten, einen betraͤchtlichen Antheil an der oͤffentlichen Gewalt, welche noch nicht in einer geordneten Staatsverfaſ- ſung ihre volle Ausbildung erlangt hatte; oder ſie ſetzten ſich mit den herrſchenden Maͤchten in ein beſtimmtes Verhaͤltniß, indem ſie bald durch Kampf auf ihre Koſten ſich ſtaͤrkten, bald durch Unterwerfung Anerkennung und Schutz ſo wie Freiheiten und Rechte mancher Art ſich zu verſchaffen wußten. — Anders als durch eine ſolche allmaͤlige Entwicklung ſind manche Genoſſenſchaften ſofort durch einen beſtimmten juriſti- ſchen Act conſtituirt worden, indem Einzelne zu einem gemein- ſamen Zweck, wie weit oder eng dieſer nun war, ſich auf die Dauer vereinigten, und durch die ganze Anlage ihrer Verbin- dung und durch die Verfaſſung, welche ſie ſich gaben, es gleichfalls zur Corporation brachten, welche denn, je nach den Umſtaͤnden, ganz unabhaͤngig da ſtand, inſofern die Genoſſen ſich innerhalb ihrer Rechtsſphaͤre hielten, und kraͤftig genug waren, dieſe ſelbſtaͤndig zu ſchirmen, oder der Anerkennung und dem Schutz der Oberen unterworfen ward, wie es eben nothwendig oder raͤthlich erſchien. Auf dieſe Weiſe ſehen wir Staͤdtebuͤndniſſe, landſchaftliche Corporationen, Erbverbruͤderun-

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/182>, abgerufen am 25.04.2024.