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Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.

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Siebentes Kapitel.
schwächt hat; bei dem Bauernstande läßt sich die entgegenge-
setzte Bemerkung machen, daß die allmälig erfolgte Emancipa-
tion der Person und des Grundbesitzes sein Recht erhöht, und
durch die Aufhebung oder Milderung der früheren Belastun-
gen ihn dem gemeinen Recht und der gemeinen Freiheit zu-
geführt hat. Denn wenn man sonst von einem besonderen
Bauernstande und Bauernrechte handelte, so dachte man da-
bei fast nur an die in Folge der Hörigkeit oder der Voigtei
in ihrem Rechte beschränkte ländliche Bevölkerung; die von
Alters her freien Bauern, wie die friesischen, deren Blut nach
altgermanischer Rechtsanschauung reiner und edler ist, wie das
der adeligen Familien, welche je zu den Dienstmannen gehört
haben, -- die befaßte man mit ihrem freien Communalwesen
und ihrem unbelasteten Grundbesitz wenigstens gemeinrechtlich
nicht unter dem Bauernstande. Aber gerade die Hörigkeit der
Bauern ist, was die Person betrifft, ganz aufgehoben, und
die neueren Ablösungsordnungen haben den Zweck, auch die
drückendsten Belastungen des bäuerlichen Grundbesitzes zu ent-
fernen; die Voigteipflichtigkeit aber, wenigstens insoweit sie
dem Landesherrn gegenüber bestand, ist wie die Lehenstreue
des Vasallen in die dem Souverain als Träger der höchsten
Staatsgewalt schuldige Unterthanenpflicht aufgegangen. -- Was
bildet denn jetzt noch das Charakteristische des Bauernstandes?
und ist ein solcher noch überhaupt im juristischen Sinne an-
zunehmen? Bei der Beantwortung dieser Fragen ist ein dop-
pelter Gesichtspunct ins Auge zu fassen, nämlich einmal die
persönliche Lage der Bauern, und dann die besondere Beschaf-
fenheit ihres Grundbesitzes, der Bauerngüter.

Soll nun der Bauernstand in Beziehung auf seine Be-
schäftigung und seinen nächsten Lebensberuf näher bestimmt

Siebentes Kapitel.
ſchwaͤcht hat; bei dem Bauernſtande laͤßt ſich die entgegenge-
ſetzte Bemerkung machen, daß die allmaͤlig erfolgte Emancipa-
tion der Perſon und des Grundbeſitzes ſein Recht erhoͤht, und
durch die Aufhebung oder Milderung der fruͤheren Belaſtun-
gen ihn dem gemeinen Recht und der gemeinen Freiheit zu-
gefuͤhrt hat. Denn wenn man ſonſt von einem beſonderen
Bauernſtande und Bauernrechte handelte, ſo dachte man da-
bei faſt nur an die in Folge der Hoͤrigkeit oder der Voigtei
in ihrem Rechte beſchraͤnkte laͤndliche Bevoͤlkerung; die von
Alters her freien Bauern, wie die frieſiſchen, deren Blut nach
altgermaniſcher Rechtsanſchauung reiner und edler iſt, wie das
der adeligen Familien, welche je zu den Dienſtmannen gehoͤrt
haben, — die befaßte man mit ihrem freien Communalweſen
und ihrem unbelaſteten Grundbeſitz wenigſtens gemeinrechtlich
nicht unter dem Bauernſtande. Aber gerade die Hoͤrigkeit der
Bauern iſt, was die Perſon betrifft, ganz aufgehoben, und
die neueren Abloͤſungsordnungen haben den Zweck, auch die
druͤckendſten Belaſtungen des baͤuerlichen Grundbeſitzes zu ent-
fernen; die Voigteipflichtigkeit aber, wenigſtens inſoweit ſie
dem Landesherrn gegenuͤber beſtand, iſt wie die Lehenstreue
des Vaſallen in die dem Souverain als Traͤger der hoͤchſten
Staatsgewalt ſchuldige Unterthanenpflicht aufgegangen. — Was
bildet denn jetzt noch das Charakteriſtiſche des Bauernſtandes?
und iſt ein ſolcher noch uͤberhaupt im juriſtiſchen Sinne an-
zunehmen? Bei der Beantwortung dieſer Fragen iſt ein dop-
pelter Geſichtspunct ins Auge zu faſſen, naͤmlich einmal die
perſoͤnliche Lage der Bauern, und dann die beſondere Beſchaf-
fenheit ihres Grundbeſitzes, der Bauernguͤter.

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ſchaͤftigung und ſeinen naͤchſten Lebensberuf naͤher beſtimmt

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[210/0222] Siebentes Kapitel. ſchwaͤcht hat; bei dem Bauernſtande laͤßt ſich die entgegenge- ſetzte Bemerkung machen, daß die allmaͤlig erfolgte Emancipa- tion der Perſon und des Grundbeſitzes ſein Recht erhoͤht, und durch die Aufhebung oder Milderung der fruͤheren Belaſtun- gen ihn dem gemeinen Recht und der gemeinen Freiheit zu- gefuͤhrt hat. Denn wenn man ſonſt von einem beſonderen Bauernſtande und Bauernrechte handelte, ſo dachte man da- bei faſt nur an die in Folge der Hoͤrigkeit oder der Voigtei in ihrem Rechte beſchraͤnkte laͤndliche Bevoͤlkerung; die von Alters her freien Bauern, wie die frieſiſchen, deren Blut nach altgermaniſcher Rechtsanſchauung reiner und edler iſt, wie das der adeligen Familien, welche je zu den Dienſtmannen gehoͤrt haben, — die befaßte man mit ihrem freien Communalweſen und ihrem unbelaſteten Grundbeſitz wenigſtens gemeinrechtlich nicht unter dem Bauernſtande. Aber gerade die Hoͤrigkeit der Bauern iſt, was die Perſon betrifft, ganz aufgehoben, und die neueren Abloͤſungsordnungen haben den Zweck, auch die druͤckendſten Belaſtungen des baͤuerlichen Grundbeſitzes zu ent- fernen; die Voigteipflichtigkeit aber, wenigſtens inſoweit ſie dem Landesherrn gegenuͤber beſtand, iſt wie die Lehenstreue des Vaſallen in die dem Souverain als Traͤger der hoͤchſten Staatsgewalt ſchuldige Unterthanenpflicht aufgegangen. — Was bildet denn jetzt noch das Charakteriſtiſche des Bauernſtandes? und iſt ein ſolcher noch uͤberhaupt im juriſtiſchen Sinne an- zunehmen? Bei der Beantwortung dieſer Fragen iſt ein dop- pelter Geſichtspunct ins Auge zu faſſen, naͤmlich einmal die perſoͤnliche Lage der Bauern, und dann die beſondere Beſchaf- fenheit ihres Grundbeſitzes, der Bauernguͤter. Soll nun der Bauernſtand in Beziehung auf ſeine Be- ſchaͤftigung und ſeinen naͤchſten Lebensberuf naͤher beſtimmt

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/222>, abgerufen am 25.04.2024.