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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Preußens günstige Lage im Krimkriege. "Liebeken, das is sehr schöne!"
östreichisch-französischen Allianz und Vergewaltigung der zwischen¬
liegenden Mittelstaaten. Während des Krimkrieges sagte mir der
alte König Wilhelm von Würtemberg in vertraulicher Audienz am
Kamin in Stuttgart: "Wir deutschen Südstaaten können nicht gleich¬
zeitig die Feindschaft Oestreichs und Frankreichs auf uns nehmen,
wir sind zu nahe unter der Ausfallpforte Straßburg und vom
Westen her occupirt, bevor uns von Berlin Hülfe kommen kann.
Würtemberg wird überfallen, und wenn ich ehrlich mich in das
preußische Lager zurückziehe, so werden die Klagen meiner vom
Feinde bedrückten Unterthanen mich zurückrufen; das würtember¬
gische Hemd ist mir näher als der Rock des Bundes"1).

Die nicht unbegründete Hoffnungslosigkeit, welche in dieser
Aeußerung den gescheidten alten Herrn lag, und die mehr oder
weniger zornige Empfindung in andern Bundesstaaten -- nur
nicht in Darmstadt, wo Herr von Dalwigk-Coehorn sicher auf
Frankreich baute -- diese Stimmungen würden sich wohl geändert
haben, wenn ein nachdrückliches Auftreten Preußens in Oberschlesien
den Beweis lieferte, daß weder Oestreich noch Frankreich uns
damals überlegnen Widerstand zu leisten vermochten, wenn wir
ihre entblößte und gefährdete Situation entschlossen benutzten. Der
König war nicht unempfänglich für die überzeugte Stimmung, in
welcher ich ihm die Sachlage und die Eventualitäten darstellte; er
lächelte wohlgefällig und sagte im Berliner Dialekt: "Liebeken,
das is sehr schöne, aber es is mich zu theuer. Solche Gewalt¬
streiche kann ein Mann von der Sorte Napoleon wohl machen,
ich aber nicht."

II.

Der zögernde Beitritt der deutschen Mittelstaaten, die sich in
Bamberg berathen hatten, zu dem Vertrage vom 20. April, die

1) Vgl. die Aeußerungen Bismarck's in den Reden vom 22. Januar 1864
und 2. Mai 1871, Politische Reden II 276, V 52.

Preußens günſtige Lage im Krimkriege. „Liebeken, das is ſehr ſchöne!“
öſtreichiſch-franzöſiſchen Allianz und Vergewaltigung der zwiſchen¬
liegenden Mittelſtaaten. Während des Krimkrieges ſagte mir der
alte König Wilhelm von Würtemberg in vertraulicher Audienz am
Kamin in Stuttgart: „Wir deutſchen Südſtaaten können nicht gleich¬
zeitig die Feindſchaft Oeſtreichs und Frankreichs auf uns nehmen,
wir ſind zu nahe unter der Ausfallpforte Straßburg und vom
Weſten her occupirt, bevor uns von Berlin Hülfe kommen kann.
Würtemberg wird überfallen, und wenn ich ehrlich mich in das
preußiſche Lager zurückziehe, ſo werden die Klagen meiner vom
Feinde bedrückten Unterthanen mich zurückrufen; das würtember¬
giſche Hemd iſt mir näher als der Rock des Bundes“1).

Die nicht unbegründete Hoffnungsloſigkeit, welche in dieſer
Aeußerung den geſcheidten alten Herrn lag, und die mehr oder
weniger zornige Empfindung in andern Bundesſtaaten — nur
nicht in Darmſtadt, wo Herr von Dalwigk-Coehorn ſicher auf
Frankreich baute — dieſe Stimmungen würden ſich wohl geändert
haben, wenn ein nachdrückliches Auftreten Preußens in Oberſchleſien
den Beweis lieferte, daß weder Oeſtreich noch Frankreich uns
damals überlegnen Widerſtand zu leiſten vermochten, wenn wir
ihre entblößte und gefährdete Situation entſchloſſen benutzten. Der
König war nicht unempfänglich für die überzeugte Stimmung, in
welcher ich ihm die Sachlage und die Eventualitäten darſtellte; er
lächelte wohlgefällig und ſagte im Berliner Dialekt: „Liebeken,
das is ſehr ſchöne, aber es is mich zu theuer. Solche Gewalt¬
ſtreiche kann ein Mann von der Sorte Napoleon wohl machen,
ich aber nicht.“

II.

Der zögernde Beitritt der deutſchen Mittelſtaaten, die ſich in
Bamberg berathen hatten, zu dem Vertrage vom 20. April, die

1) Vgl. die Aeußerungen Bismarck's in den Reden vom 22. Januar 1864
und 2. Mai 1871, Politiſche Reden II 276, V 52.
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[99/0126] Preußens günſtige Lage im Krimkriege. „Liebeken, das is ſehr ſchöne!“ öſtreichiſch-franzöſiſchen Allianz und Vergewaltigung der zwiſchen¬ liegenden Mittelſtaaten. Während des Krimkrieges ſagte mir der alte König Wilhelm von Würtemberg in vertraulicher Audienz am Kamin in Stuttgart: „Wir deutſchen Südſtaaten können nicht gleich¬ zeitig die Feindſchaft Oeſtreichs und Frankreichs auf uns nehmen, wir ſind zu nahe unter der Ausfallpforte Straßburg und vom Weſten her occupirt, bevor uns von Berlin Hülfe kommen kann. Würtemberg wird überfallen, und wenn ich ehrlich mich in das preußiſche Lager zurückziehe, ſo werden die Klagen meiner vom Feinde bedrückten Unterthanen mich zurückrufen; das würtember¬ giſche Hemd iſt mir näher als der Rock des Bundes“ 1). Die nicht unbegründete Hoffnungsloſigkeit, welche in dieſer Aeußerung den geſcheidten alten Herrn lag, und die mehr oder weniger zornige Empfindung in andern Bundesſtaaten — nur nicht in Darmſtadt, wo Herr von Dalwigk-Coehorn ſicher auf Frankreich baute — dieſe Stimmungen würden ſich wohl geändert haben, wenn ein nachdrückliches Auftreten Preußens in Oberſchleſien den Beweis lieferte, daß weder Oeſtreich noch Frankreich uns damals überlegnen Widerſtand zu leiſten vermochten, wenn wir ihre entblößte und gefährdete Situation entſchloſſen benutzten. Der König war nicht unempfänglich für die überzeugte Stimmung, in welcher ich ihm die Sachlage und die Eventualitäten darſtellte; er lächelte wohlgefällig und ſagte im Berliner Dialekt: „Liebeken, das is ſehr ſchöne, aber es is mich zu theuer. Solche Gewalt¬ ſtreiche kann ein Mann von der Sorte Napoleon wohl machen, ich aber nicht.“ II. Der zögernde Beitritt der deutſchen Mittelſtaaten, die ſich in Bamberg berathen hatten, zu dem Vertrage vom 20. April, die 1) Vgl. die Aeußerungen Bismarck's in den Reden vom 22. Januar 1864 und 2. Mai 1871, Politiſche Reden II 276, V 52.

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/126>, abgerufen am 25.04.2024.