Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

Neuntes Kapitel: Reisen. Regentschaft.
Schwerin, beeinflußt von dem nachmaligen Oberbürgermeister Winter
in Danzig und andern liberalen Beamten. Er trieb die ministerielle
Unabhängigkeit gegen den Regenten so weit, daß er schriftliche Be¬
fehle schriftlich damit erledigend beantwortete, dieselben seien nicht
contrasignirt. Als das Ministerium den Regenten einmal zu einer
ihm widerwärtigen Unterschrift genöthigt hatte, leistete er dieselbe
in unlesbarer Gestalt und zerstampfte die Feder darauf. Graf
Schwerin ließ eine zweite Reinschrift machen und bestand auf einer
leserlichen Unterschrift. Der Regent unterschrieb nun wie gewöhnlich,
knüllte aber das Blatt zusammen und warf es in die Ecke, aus
der es hervorgeholt und, nachdem es geglättet, zu den Acten ge¬
nommen wurde. Auch an meinem Abschiedsgesuche von 1877 war
zu sehn, daß der Kaiser es zum Knäul geballt hatte, bevor er
darauf antwortete.

V.

Ich wurde am 29. Januar 1859 zum Gesandten in Peters¬
burg ernannt, verließ Frankfurt aber erst am 6. März und ver¬
weilte bis zum 23. desselben Monats in Berlin. Während dieser
Zeit hatte ich Gelegenheit, von der Verwendung der östreichischen
geheimen Fonds, der ich bis dahin nur in der Presse begegnet
war, einen praktischen Eindruck zu gewinnen. Der Bankier Levin¬
stein, welcher seit Jahrzehnten bei meinen Vorgesetzten und in deren
vertraulichen Aufträgen in Wien und Paris mit den Leitern der
auswärtigen Politik und mit dem Kaiser Napoleon in Person
verkehrt hatte, richtete am Morgen des Tages, auf den meine
Abreise festgesetzt war, das nachstehende Schreiben an mich:

"Ew. Excellenz erlaube ich mir noch hiemit ganz ergebenst
gutes Glück zu Ihrer Reise und Ihrer Mission zu wünschen, hoffend,
daß wir Sie bald wieder hier begrüßen werden, da Sie im Vater¬
lande wohl nützlicher zu wirken vermögen, als in der Ferne.

Neuntes Kapitel: Reiſen. Regentſchaft.
Schwerin, beeinflußt von dem nachmaligen Oberbürgermeiſter Winter
in Danzig und andern liberalen Beamten. Er trieb die miniſterielle
Unabhängigkeit gegen den Regenten ſo weit, daß er ſchriftliche Be¬
fehle ſchriftlich damit erledigend beantwortete, dieſelben ſeien nicht
contraſignirt. Als das Miniſterium den Regenten einmal zu einer
ihm widerwärtigen Unterſchrift genöthigt hatte, leiſtete er dieſelbe
in unlesbarer Geſtalt und zerſtampfte die Feder darauf. Graf
Schwerin ließ eine zweite Reinſchrift machen und beſtand auf einer
leſerlichen Unterſchrift. Der Regent unterſchrieb nun wie gewöhnlich,
knüllte aber das Blatt zuſammen und warf es in die Ecke, aus
der es hervorgeholt und, nachdem es geglättet, zu den Acten ge¬
nommen wurde. Auch an meinem Abſchiedsgeſuche von 1877 war
zu ſehn, daß der Kaiſer es zum Knäul geballt hatte, bevor er
darauf antwortete.

V.

Ich wurde am 29. Januar 1859 zum Geſandten in Peters¬
burg ernannt, verließ Frankfurt aber erſt am 6. März und ver¬
weilte bis zum 23. deſſelben Monats in Berlin. Während dieſer
Zeit hatte ich Gelegenheit, von der Verwendung der öſtreichiſchen
geheimen Fonds, der ich bis dahin nur in der Preſſe begegnet
war, einen praktiſchen Eindruck zu gewinnen. Der Bankier Levin¬
ſtein, welcher ſeit Jahrzehnten bei meinen Vorgeſetzten und in deren
vertraulichen Aufträgen in Wien und Paris mit den Leitern der
auswärtigen Politik und mit dem Kaiſer Napoleon in Perſon
verkehrt hatte, richtete am Morgen des Tages, auf den meine
Abreiſe feſtgeſetzt war, das nachſtehende Schreiben an mich:

„Ew. Excellenz erlaube ich mir noch hiemit ganz ergebenſt
gutes Glück zu Ihrer Reiſe und Ihrer Miſſion zu wünſchen, hoffend,
daß wir Sie bald wieder hier begrüßen werden, da Sie im Vater¬
lande wohl nützlicher zu wirken vermögen, als in der Ferne.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0239" n="212"/><fw place="top" type="header">Neuntes Kapitel: Rei&#x017F;en. Regent&#x017F;chaft.<lb/></fw>Schwerin, beeinflußt von dem nachmaligen Oberbürgermei&#x017F;ter Winter<lb/>
in Danzig und andern liberalen Beamten. Er trieb die mini&#x017F;terielle<lb/>
Unabhängigkeit gegen den Regenten &#x017F;o weit, daß er &#x017F;chriftliche Be¬<lb/>
fehle &#x017F;chriftlich damit erledigend beantwortete, die&#x017F;elben &#x017F;eien nicht<lb/>
contra&#x017F;ignirt. Als das Mini&#x017F;terium den Regenten einmal zu einer<lb/>
ihm widerwärtigen Unter&#x017F;chrift genöthigt hatte, lei&#x017F;tete er die&#x017F;elbe<lb/>
in unlesbarer Ge&#x017F;talt und zer&#x017F;tampfte die Feder darauf. Graf<lb/>
Schwerin ließ eine zweite Rein&#x017F;chrift machen und be&#x017F;tand auf einer<lb/>
le&#x017F;erlichen Unter&#x017F;chrift. Der Regent unter&#x017F;chrieb nun wie gewöhnlich,<lb/>
knüllte aber das Blatt zu&#x017F;ammen und warf es in die Ecke, aus<lb/>
der es hervorgeholt und, nachdem es geglättet, zu den Acten ge¬<lb/>
nommen wurde. Auch an meinem Ab&#x017F;chiedsge&#x017F;uche von 1877 war<lb/>
zu &#x017F;ehn, daß der Kai&#x017F;er es zum Knäul geballt hatte, bevor er<lb/>
darauf antwortete.</p><lb/>
        </div>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#aq">V.</hi><lb/>
          </head>
          <p>Ich wurde am 29. Januar 1859 zum Ge&#x017F;andten in Peters¬<lb/>
burg ernannt, verließ Frankfurt aber er&#x017F;t am 6. März und ver¬<lb/>
weilte bis zum 23. de&#x017F;&#x017F;elben Monats in Berlin. Während die&#x017F;er<lb/>
Zeit hatte ich Gelegenheit, von der Verwendung der ö&#x017F;treichi&#x017F;chen<lb/>
geheimen Fonds, der ich bis dahin nur in der Pre&#x017F;&#x017F;e begegnet<lb/>
war, einen prakti&#x017F;chen Eindruck zu gewinnen. Der Bankier Levin¬<lb/>
&#x017F;tein, welcher &#x017F;eit Jahrzehnten bei meinen Vorge&#x017F;etzten und in deren<lb/>
vertraulichen Aufträgen in Wien und Paris mit den Leitern der<lb/>
auswärtigen Politik und mit dem Kai&#x017F;er Napoleon in Per&#x017F;on<lb/>
verkehrt hatte, richtete am Morgen des Tages, auf den meine<lb/>
Abrei&#x017F;e fe&#x017F;tge&#x017F;etzt war, das nach&#x017F;tehende Schreiben an mich:</p><lb/>
          <p>&#x201E;Ew. Excellenz erlaube ich mir noch hiemit ganz ergeben&#x017F;t<lb/>
gutes Glück zu Ihrer Rei&#x017F;e und Ihrer Mi&#x017F;&#x017F;ion zu wün&#x017F;chen, hoffend,<lb/>
daß wir Sie bald wieder hier begrüßen werden, da Sie im Vater¬<lb/>
lande wohl nützlicher zu wirken vermögen, als in der Ferne.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[212/0239] Neuntes Kapitel: Reiſen. Regentſchaft. Schwerin, beeinflußt von dem nachmaligen Oberbürgermeiſter Winter in Danzig und andern liberalen Beamten. Er trieb die miniſterielle Unabhängigkeit gegen den Regenten ſo weit, daß er ſchriftliche Be¬ fehle ſchriftlich damit erledigend beantwortete, dieſelben ſeien nicht contraſignirt. Als das Miniſterium den Regenten einmal zu einer ihm widerwärtigen Unterſchrift genöthigt hatte, leiſtete er dieſelbe in unlesbarer Geſtalt und zerſtampfte die Feder darauf. Graf Schwerin ließ eine zweite Reinſchrift machen und beſtand auf einer leſerlichen Unterſchrift. Der Regent unterſchrieb nun wie gewöhnlich, knüllte aber das Blatt zuſammen und warf es in die Ecke, aus der es hervorgeholt und, nachdem es geglättet, zu den Acten ge¬ nommen wurde. Auch an meinem Abſchiedsgeſuche von 1877 war zu ſehn, daß der Kaiſer es zum Knäul geballt hatte, bevor er darauf antwortete. V. Ich wurde am 29. Januar 1859 zum Geſandten in Peters¬ burg ernannt, verließ Frankfurt aber erſt am 6. März und ver¬ weilte bis zum 23. deſſelben Monats in Berlin. Während dieſer Zeit hatte ich Gelegenheit, von der Verwendung der öſtreichiſchen geheimen Fonds, der ich bis dahin nur in der Preſſe begegnet war, einen praktiſchen Eindruck zu gewinnen. Der Bankier Levin¬ ſtein, welcher ſeit Jahrzehnten bei meinen Vorgeſetzten und in deren vertraulichen Aufträgen in Wien und Paris mit den Leitern der auswärtigen Politik und mit dem Kaiſer Napoleon in Perſon verkehrt hatte, richtete am Morgen des Tages, auf den meine Abreiſe feſtgeſetzt war, das nachſtehende Schreiben an mich: „Ew. Excellenz erlaube ich mir noch hiemit ganz ergebenſt gutes Glück zu Ihrer Reiſe und Ihrer Miſſion zu wünſchen, hoffend, daß wir Sie bald wieder hier begrüßen werden, da Sie im Vater¬ lande wohl nützlicher zu wirken vermögen, als in der Ferne.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/239
Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/239>, abgerufen am 25.04.2024.