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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Zwölftes Kapitel.
Rückblick auf die preußische Politik.

Die Königliche Autorität hatte bei uns unter dem Mangel
an Selbständigkeit und Energie unsrer auswärtigen und nament¬
lich unsrer deutschen Politik gelitten; in demselben Boden wurzelte
die Ungerechtigkeit der bürgerlichen Meinung über die Armee und
deren Offiziere und die Abneigung gegen militärische Vorlagen
und Ausgaben. In den parlamentarischen Fractionen fand der
Ehrgeiz der Führer, Redner und Minister-Candidaten Nahrung
und Deckung hinter der nationalen Verstimmung. Klare Ziele
hatten unsrer Politik seit dem Tode Friedrichs des Großen entweder
gefehlt oder sie waren ungeschickt gewählt oder betrieben; letztres
von 1786 bis 1806, wo unsre Politik planlos begann und traurig
endete. Man entdeckt in ihr bis zum vollen Ausbruch der fran¬
zösischen Revolution keine Andeutung einer national-deutschen Rich¬
tung. Die ersten Spuren einer solchen, die sich im Fürstenbunde
in den Ideen von einem preußischen Kaiserthum, in der Demar¬
cationslinie, in der Erwerbung deutscher Landstriche finden, sind
Ergebnisse nicht nationaler, sondern preußisch-particularistischer Be¬
strebungen. Im Jahr 1786 lag das stärkere Interesse noch nicht
auf deutsch-nationalem Gebiete, sondern in dem Gedanken polnischer
territorialer Erwerbungen, und bis in den Krieg von 1792 hinein
war das Mißtrauen zwischen Preußen und Oestreich weniger durch
die deutsche als durch die polnische Rivalität beider Mächte genährt.
In den Händeln der Thugut-Lehrbach'schen Periode spielte der Streit

Zwölftes Kapitel.
Rückblick auf die preußiſche Politik.

Die Königliche Autorität hatte bei uns unter dem Mangel
an Selbſtändigkeit und Energie unſrer auswärtigen und nament¬
lich unſrer deutſchen Politik gelitten; in demſelben Boden wurzelte
die Ungerechtigkeit der bürgerlichen Meinung über die Armee und
deren Offiziere und die Abneigung gegen militäriſche Vorlagen
und Ausgaben. In den parlamentariſchen Fractionen fand der
Ehrgeiz der Führer, Redner und Miniſter-Candidaten Nahrung
und Deckung hinter der nationalen Verſtimmung. Klare Ziele
hatten unſrer Politik ſeit dem Tode Friedrichs des Großen entweder
gefehlt oder ſie waren ungeſchickt gewählt oder betrieben; letztres
von 1786 bis 1806, wo unſre Politik planlos begann und traurig
endete. Man entdeckt in ihr bis zum vollen Ausbruch der fran¬
zöſiſchen Revolution keine Andeutung einer national-deutſchen Rich¬
tung. Die erſten Spuren einer ſolchen, die ſich im Fürſtenbunde
in den Ideen von einem preußiſchen Kaiſerthum, in der Demar¬
cationslinie, in der Erwerbung deutſcher Landſtriche finden, ſind
Ergebniſſe nicht nationaler, ſondern preußiſch-particulariſtiſcher Be¬
ſtrebungen. Im Jahr 1786 lag das ſtärkere Intereſſe noch nicht
auf deutſch-nationalem Gebiete, ſondern in dem Gedanken polniſcher
territorialer Erwerbungen, und bis in den Krieg von 1792 hinein
war das Mißtrauen zwiſchen Preußen und Oeſtreich weniger durch
die deutſche als durch die polniſche Rivalität beider Mächte genährt.
In den Händeln der Thugut-Lehrbach'ſchen Periode ſpielte der Streit

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[[270]/0297] Zwölftes Kapitel. Rückblick auf die preußiſche Politik. Die Königliche Autorität hatte bei uns unter dem Mangel an Selbſtändigkeit und Energie unſrer auswärtigen und nament¬ lich unſrer deutſchen Politik gelitten; in demſelben Boden wurzelte die Ungerechtigkeit der bürgerlichen Meinung über die Armee und deren Offiziere und die Abneigung gegen militäriſche Vorlagen und Ausgaben. In den parlamentariſchen Fractionen fand der Ehrgeiz der Führer, Redner und Miniſter-Candidaten Nahrung und Deckung hinter der nationalen Verſtimmung. Klare Ziele hatten unſrer Politik ſeit dem Tode Friedrichs des Großen entweder gefehlt oder ſie waren ungeſchickt gewählt oder betrieben; letztres von 1786 bis 1806, wo unſre Politik planlos begann und traurig endete. Man entdeckt in ihr bis zum vollen Ausbruch der fran¬ zöſiſchen Revolution keine Andeutung einer national-deutſchen Rich¬ tung. Die erſten Spuren einer ſolchen, die ſich im Fürſtenbunde in den Ideen von einem preußiſchen Kaiſerthum, in der Demar¬ cationslinie, in der Erwerbung deutſcher Landſtriche finden, ſind Ergebniſſe nicht nationaler, ſondern preußiſch-particulariſtiſcher Be¬ ſtrebungen. Im Jahr 1786 lag das ſtärkere Intereſſe noch nicht auf deutſch-nationalem Gebiete, ſondern in dem Gedanken polniſcher territorialer Erwerbungen, und bis in den Krieg von 1792 hinein war das Mißtrauen zwiſchen Preußen und Oeſtreich weniger durch die deutſche als durch die polniſche Rivalität beider Mächte genährt. In den Händeln der Thugut-Lehrbach'ſchen Periode ſpielte der Streit

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. [270]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/297>, abgerufen am 28.03.2024.