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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Sechstes Kapitel: Sanssouci und Coblenz.
von Bülow, die Kaiserin habe von dem Minister Falk eine Reise¬
unterstützung für einen ultramontanen Maler verlangen lassen, der
nicht nur selbst nicht darum bitten wolle, sondern mit Gemälden
zur Verherrlichung von Marpingen beschäftigt sei. Unter dem
25. Januar 1878 berichtete er mir: "Vor seiner Abreise (nach
Italien) hat der Kronprinz eine sehr heftige Scene mit der Kaiserin
gehabt, welche verlangte, daß er, der künftige Herrscher über acht
Millionen Katholiken, den alten ehrwürdigen Papst besuchen solle.
Als der Kronprinz nach der Rückkehr sich beim Kaiser meldete, war
auch die Kaiserin (aus ihren Zimmern) hinuntergekommen. Als
das Gespräch eine Wendung nahm, die ihr nicht gefiel, betreffend
die Stellung des Königs Humbert, und dann stockte, ist sie mit
den Worten aufgestanden: ,Il paraeit que je suis de trop ici',
und der Kaiser hatte dann ganz wehmüthig zum Kronprinzen ge¬
sagt: ,Ueber diese Dinge ist Deine Mutter in dieser Zeit wieder
unzurechnungsfähig.'"

Zu den Nebenwirkungen, durch welche diese höfischen Kämpfe
complicirt wurden, gehörte auch das Mißverhältniß, in das die
Prinzessin mit dem Oberpräsidenten von Kleist-Retzow gerieth, der
das Erdgeschoß des Schlosses unter der prinzlichen Wohnung inne
hatte und an sich, als äußre Erscheinung, als Redner der äußersten
Rechten und durch seine ländliche Gewohnheit, häusliche Andachten
mit Gesang täglich mit seinen Hausgenossen abzuhalten, der Prin¬
zessin lästig fiel. Mehr an amtliche als an höfische Beziehungen
gewöhnt, betrachtete der Oberpräsident seine Existenz im Schlosse
und im Schloßgarten als eine Vertretung der königlichen Prärogative
im Gegenhalt zu angeblichen Uebergriffen des prinzlichen Haushalts
und glaubte ehrlich, dem Könige, seinem Herrn, etwas zu ver¬
geben, wenn er der Gemalin des Thronerben gegenüber in Betreff
der wirthschaftlichen Nutzung häuslicher Locale die oberpräsidialen
Ansprüche gegen die des prinzlichen Hofes nicht energisch vertrat.

Der Chef des Generalstabs von Sanssouci war, nachdem der
General von Rauch gestorben, Leopold von Gerlach, und seine Bei¬

Sechſtes Kapitel: Sansſouci und Coblenz.
von Bülow, die Kaiſerin habe von dem Miniſter Falk eine Reiſe¬
unterſtützung für einen ultramontanen Maler verlangen laſſen, der
nicht nur ſelbſt nicht darum bitten wolle, ſondern mit Gemälden
zur Verherrlichung von Marpingen beſchäftigt ſei. Unter dem
25. Januar 1878 berichtete er mir: „Vor ſeiner Abreiſe (nach
Italien) hat der Kronprinz eine ſehr heftige Scene mit der Kaiſerin
gehabt, welche verlangte, daß er, der künftige Herrſcher über acht
Millionen Katholiken, den alten ehrwürdigen Papſt beſuchen ſolle.
Als der Kronprinz nach der Rückkehr ſich beim Kaiſer meldete, war
auch die Kaiſerin (aus ihren Zimmern) hinuntergekommen. Als
das Geſpräch eine Wendung nahm, die ihr nicht gefiel, betreffend
die Stellung des Königs Humbert, und dann ſtockte, iſt ſie mit
den Worten aufgeſtanden: ,Il paraît que je suis de trop ici‘,
und der Kaiſer hatte dann ganz wehmüthig zum Kronprinzen ge¬
ſagt: ,Ueber dieſe Dinge iſt Deine Mutter in dieſer Zeit wieder
unzurechnungsfähig.‘“

Zu den Nebenwirkungen, durch welche dieſe höfiſchen Kämpfe
complicirt wurden, gehörte auch das Mißverhältniß, in das die
Prinzeſſin mit dem Oberpräſidenten von Kleiſt-Retzow gerieth, der
das Erdgeſchoß des Schloſſes unter der prinzlichen Wohnung inne
hatte und an ſich, als äußre Erſcheinung, als Redner der äußerſten
Rechten und durch ſeine ländliche Gewohnheit, häusliche Andachten
mit Geſang täglich mit ſeinen Hausgenoſſen abzuhalten, der Prin¬
zeſſin läſtig fiel. Mehr an amtliche als an höfiſche Beziehungen
gewöhnt, betrachtete der Oberpräſident ſeine Exiſtenz im Schloſſe
und im Schloßgarten als eine Vertretung der königlichen Prärogative
im Gegenhalt zu angeblichen Uebergriffen des prinzlichen Haushalts
und glaubte ehrlich, dem Könige, ſeinem Herrn, etwas zu ver¬
geben, wenn er der Gemalin des Thronerben gegenüber in Betreff
der wirthſchaftlichen Nutzung häuslicher Locale die oberpräſidialen
Anſprüche gegen die des prinzlichen Hofes nicht energiſch vertrat.

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[126/0153] Sechſtes Kapitel: Sansſouci und Coblenz. von Bülow, die Kaiſerin habe von dem Miniſter Falk eine Reiſe¬ unterſtützung für einen ultramontanen Maler verlangen laſſen, der nicht nur ſelbſt nicht darum bitten wolle, ſondern mit Gemälden zur Verherrlichung von Marpingen beſchäftigt ſei. Unter dem 25. Januar 1878 berichtete er mir: „Vor ſeiner Abreiſe (nach Italien) hat der Kronprinz eine ſehr heftige Scene mit der Kaiſerin gehabt, welche verlangte, daß er, der künftige Herrſcher über acht Millionen Katholiken, den alten ehrwürdigen Papſt beſuchen ſolle. Als der Kronprinz nach der Rückkehr ſich beim Kaiſer meldete, war auch die Kaiſerin (aus ihren Zimmern) hinuntergekommen. Als das Geſpräch eine Wendung nahm, die ihr nicht gefiel, betreffend die Stellung des Königs Humbert, und dann ſtockte, iſt ſie mit den Worten aufgeſtanden: ,Il paraît que je suis de trop ici‘, und der Kaiſer hatte dann ganz wehmüthig zum Kronprinzen ge¬ ſagt: ,Ueber dieſe Dinge iſt Deine Mutter in dieſer Zeit wieder unzurechnungsfähig.‘“ Zu den Nebenwirkungen, durch welche dieſe höfiſchen Kämpfe complicirt wurden, gehörte auch das Mißverhältniß, in das die Prinzeſſin mit dem Oberpräſidenten von Kleiſt-Retzow gerieth, der das Erdgeſchoß des Schloſſes unter der prinzlichen Wohnung inne hatte und an ſich, als äußre Erſcheinung, als Redner der äußerſten Rechten und durch ſeine ländliche Gewohnheit, häusliche Andachten mit Geſang täglich mit ſeinen Hausgenoſſen abzuhalten, der Prin¬ zeſſin läſtig fiel. Mehr an amtliche als an höfiſche Beziehungen gewöhnt, betrachtete der Oberpräſident ſeine Exiſtenz im Schloſſe und im Schloßgarten als eine Vertretung der königlichen Prärogative im Gegenhalt zu angeblichen Uebergriffen des prinzlichen Haushalts und glaubte ehrlich, dem Könige, ſeinem Herrn, etwas zu ver¬ geben, wenn er der Gemalin des Thronerben gegenüber in Betreff der wirthſchaftlichen Nutzung häuslicher Locale die oberpräſidialen Anſprüche gegen die des prinzlichen Hofes nicht energiſch vertrat. Der Chef des Generalſtabs von Sansſouci war, nachdem der General von Rauch geſtorben, Leopold von Gerlach, und ſeine Bei¬

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/153>, abgerufen am 25.04.2024.