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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

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Fünfundzwanzigstes Kapitel: Bruch mit den Conservativen.
kannten richtig sei, hat für jeden gewissenhaften und ehrliebenden
Menschen etwas Aufreibendes; es wird verstärkt durch die Thatsache,
daß lange Zeit vergeht, oft viele Jahre, bevor man in der Politik
sich selbst überzeugt, ob das Gewollte und Geschehene das Richtige
war oder nicht. Nicht die Arbeit ist das Aufreibende, die Zweifel
und Sorgen sind es und das Ehrgefühl, die Verantwortlichkeit, ohne
daß man zur Unterstützung der letztern etwas andres als die
eigne Ueberzeugung und den eignen Willen anführen kann, wie
das grade in den wichtigsten Krisen am schärfsten Platz greift.

Der Verkehr mit Andern, die man für gleichgestellt hält, er¬
leichtert die Ueberwindung solcher Krisen, und wenn er plötzlich
aufhört und aus Motiven, die mehr persönlich als sachlich, mehr
mißgünstig als ehrlich, und so weit sie ehrlich, ganz banau¬
sischer Natur sind, der betheiligte verantwortliche Minister plötzlich
von allen bisherigen Freunden boycottirt, als Feind behandelt, also
mit sich und seinen Erwägungen vereinsamt wird, so muß das den
Eingriff seiner amtlichen Sorgen in seine Nerven und seine Ge¬
sundheit verschärfen.

VI.

Man hätte glauben sollen, daß die nationalliberale Partei,
durch deren Begünstigung ich mir das Uebelwollen meiner frühern
conservativen Parteigenossen zugezogen hatte, durch die rohen und
unwürdigen Angriffe auf meine persönliche Ehrenhaftigkeit bewogen
worden wäre, mir in der Abwehr irgendwie beizustehn, oder doch
zu erkennen zu geben, daß sie die Angriffe nicht billigte und die
Ansicht meiner Verleumder über mich nicht theilte; ich erinnere
mich aber nicht, in jener Zeit irgend einen nationalliberalen
Versuch, mir zur Hülfe zu kommen, in der Presse oder sonst
im öffentlichen Leben, wahrgenommen zu haben. Es schien im
Gegentheil, als ob im nationalliberalen Lager eine gewisse Genug¬
thuung darüber herrschte, daß die conservative Partei mich angriff

Fünfundzwanzigſtes Kapitel: Bruch mit den Conſervativen.
kannten richtig ſei, hat für jeden gewiſſenhaften und ehrliebenden
Menſchen etwas Aufreibendes; es wird verſtärkt durch die Thatſache,
daß lange Zeit vergeht, oft viele Jahre, bevor man in der Politik
ſich ſelbſt überzeugt, ob das Gewollte und Geſchehene das Richtige
war oder nicht. Nicht die Arbeit iſt das Aufreibende, die Zweifel
und Sorgen ſind es und das Ehrgefühl, die Verantwortlichkeit, ohne
daß man zur Unterſtützung der letztern etwas andres als die
eigne Ueberzeugung und den eignen Willen anführen kann, wie
das grade in den wichtigſten Kriſen am ſchärfſten Platz greift.

Der Verkehr mit Andern, die man für gleichgeſtellt hält, er¬
leichtert die Ueberwindung ſolcher Kriſen, und wenn er plötzlich
aufhört und aus Motiven, die mehr perſönlich als ſachlich, mehr
mißgünſtig als ehrlich, und ſo weit ſie ehrlich, ganz banau¬
ſiſcher Natur ſind, der betheiligte verantwortliche Miniſter plötzlich
von allen bisherigen Freunden boycottirt, als Feind behandelt, alſo
mit ſich und ſeinen Erwägungen vereinſamt wird, ſo muß das den
Eingriff ſeiner amtlichen Sorgen in ſeine Nerven und ſeine Ge¬
ſundheit verſchärfen.

VI.

Man hätte glauben ſollen, daß die nationalliberale Partei,
durch deren Begünſtigung ich mir das Uebelwollen meiner frühern
conſervativen Parteigenoſſen zugezogen hatte, durch die rohen und
unwürdigen Angriffe auf meine perſönliche Ehrenhaftigkeit bewogen
worden wäre, mir in der Abwehr irgendwie beizuſtehn, oder doch
zu erkennen zu geben, daß ſie die Angriffe nicht billigte und die
Anſicht meiner Verleumder über mich nicht theilte; ich erinnere
mich aber nicht, in jener Zeit irgend einen nationalliberalen
Verſuch, mir zur Hülfe zu kommen, in der Preſſe oder ſonſt
im öffentlichen Leben, wahrgenommen zu haben. Es ſchien im
Gegentheil, als ob im nationalliberalen Lager eine gewiſſe Genug¬
thuung darüber herrſchte, daß die conſervative Partei mich angriff

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[158/0182] Fünfundzwanzigſtes Kapitel: Bruch mit den Conſervativen. kannten richtig ſei, hat für jeden gewiſſenhaften und ehrliebenden Menſchen etwas Aufreibendes; es wird verſtärkt durch die Thatſache, daß lange Zeit vergeht, oft viele Jahre, bevor man in der Politik ſich ſelbſt überzeugt, ob das Gewollte und Geſchehene das Richtige war oder nicht. Nicht die Arbeit iſt das Aufreibende, die Zweifel und Sorgen ſind es und das Ehrgefühl, die Verantwortlichkeit, ohne daß man zur Unterſtützung der letztern etwas andres als die eigne Ueberzeugung und den eignen Willen anführen kann, wie das grade in den wichtigſten Kriſen am ſchärfſten Platz greift. Der Verkehr mit Andern, die man für gleichgeſtellt hält, er¬ leichtert die Ueberwindung ſolcher Kriſen, und wenn er plötzlich aufhört und aus Motiven, die mehr perſönlich als ſachlich, mehr mißgünſtig als ehrlich, und ſo weit ſie ehrlich, ganz banau¬ ſiſcher Natur ſind, der betheiligte verantwortliche Miniſter plötzlich von allen bisherigen Freunden boycottirt, als Feind behandelt, alſo mit ſich und ſeinen Erwägungen vereinſamt wird, ſo muß das den Eingriff ſeiner amtlichen Sorgen in ſeine Nerven und ſeine Ge¬ ſundheit verſchärfen. VI. Man hätte glauben ſollen, daß die nationalliberale Partei, durch deren Begünſtigung ich mir das Uebelwollen meiner frühern conſervativen Parteigenoſſen zugezogen hatte, durch die rohen und unwürdigen Angriffe auf meine perſönliche Ehrenhaftigkeit bewogen worden wäre, mir in der Abwehr irgendwie beizuſtehn, oder doch zu erkennen zu geben, daß ſie die Angriffe nicht billigte und die Anſicht meiner Verleumder über mich nicht theilte; ich erinnere mich aber nicht, in jener Zeit irgend einen nationalliberalen Verſuch, mir zur Hülfe zu kommen, in der Preſſe oder ſonſt im öffentlichen Leben, wahrgenommen zu haben. Es ſchien im Gegentheil, als ob im nationalliberalen Lager eine gewiſſe Genug¬ thuung darüber herrſchte, daß die conſervative Partei mich angriff

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/182>, abgerufen am 24.04.2024.