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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

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Zweiunddreißigstes Kapitel: Kaiser Wilhelm I.
würde kurz und ironisch antworten, er habe durch mich nichts er¬
fahren, was er nicht schon seit 30 Jahren wisse. Umgekehrt aber
dankte er mir lebhaft für die interessante Zusammenstellung der ihm
neuen Daten.

III.

Von dem Augenblicke des Antritts der Regentschaft an hatte
Prinz Wilhelm den Mangel an geschäftlicher Vorbildung so leb¬
haft empfunden, daß er keine Arbeit Tag und Nacht scheute, um
demselben abzuhelfen. Wenn er "Staatsgeschäfte erledigte", so
arbeitete er wirklich, mit vollem Ernst und voller Gewissenhaftigkeit.
Er las alle Eingänge, nicht blos die, welche ihn anzogen, studirte
die Verträge und Gesetze, um sich ein selbständiges Urtheil zu
bilden. Er kannte keine Vergnügung, die den Staatsgeschäften Zeit
entzogen hätte. Er las niemals Romane oder sonst Bücher, die
nicht Bezug auf seinen Herrscherberuf hatten. Er rauchte nicht,
spielte nicht Karten. Wenn nach einem Jagddiner in Wusterhausen
die Gesellschaft sich in das Zimmer begab, in dem Friedrich
Wilhelm I. das Tabakscollegium zu versammeln pflegte, so ließ er
sich, damit die Anwesenden in seiner Gegenwart rauchen durften,
eine der langen holländischen Thonpfeifen reichen, that einige Züge
und legte sie mit einem krausen Gesichte aus der Hand. Als er
in Frankfurt, damals noch Prinz von Preußen, auf einem Balle
in ein Zimmer gerieth, in dem Hazard gespielt wurde, sagte
er zu mir: "Ich will doch auch einmal mein Glück versuchen, habe
aber kein Geld bei mir, geben Sie mir etwas." Da auch ich kein
Geld bei mir zu tragen pflegte, so half der Graf Theodor Stol¬
berg aus. Der Prinz setzte einige Male einen Thaler, verlor jedes
Mal und verließ das Zimmer. Seine einzige Erholung war, nach
einem arbeitsvollen Tage in seiner Theaterloge zu sitzen; aber auch
dort durfte ich als Minister ihn in dringenden Fällen aufsuchen,

Zweiunddreißigſtes Kapitel: Kaiſer Wilhelm I.
würde kurz und ironiſch antworten, er habe durch mich nichts er¬
fahren, was er nicht ſchon ſeit 30 Jahren wiſſe. Umgekehrt aber
dankte er mir lebhaft für die intereſſante Zuſammenſtellung der ihm
neuen Daten.

III.

Von dem Augenblicke des Antritts der Regentſchaft an hatte
Prinz Wilhelm den Mangel an geſchäftlicher Vorbildung ſo leb¬
haft empfunden, daß er keine Arbeit Tag und Nacht ſcheute, um
demſelben abzuhelfen. Wenn er „Staatsgeſchäfte erledigte“, ſo
arbeitete er wirklich, mit vollem Ernſt und voller Gewiſſenhaftigkeit.
Er las alle Eingänge, nicht blos die, welche ihn anzogen, ſtudirte
die Verträge und Geſetze, um ſich ein ſelbſtändiges Urtheil zu
bilden. Er kannte keine Vergnügung, die den Staatsgeſchäften Zeit
entzogen hätte. Er las niemals Romane oder ſonſt Bücher, die
nicht Bezug auf ſeinen Herrſcherberuf hatten. Er rauchte nicht,
ſpielte nicht Karten. Wenn nach einem Jagddiner in Wuſterhauſen
die Geſellſchaft ſich in das Zimmer begab, in dem Friedrich
Wilhelm I. das Tabakscollegium zu verſammeln pflegte, ſo ließ er
ſich, damit die Anweſenden in ſeiner Gegenwart rauchen durften,
eine der langen holländiſchen Thonpfeifen reichen, that einige Züge
und legte ſie mit einem krauſen Geſichte aus der Hand. Als er
in Frankfurt, damals noch Prinz von Preußen, auf einem Balle
in ein Zimmer gerieth, in dem Hazard geſpielt wurde, ſagte
er zu mir: „Ich will doch auch einmal mein Glück verſuchen, habe
aber kein Geld bei mir, geben Sie mir etwas.“ Da auch ich kein
Geld bei mir zu tragen pflegte, ſo half der Graf Theodor Stol¬
berg aus. Der Prinz ſetzte einige Male einen Thaler, verlor jedes
Mal und verließ das Zimmer. Seine einzige Erholung war, nach
einem arbeitsvollen Tage in ſeiner Theaterloge zu ſitzen; aber auch
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[280/0304] Zweiunddreißigſtes Kapitel: Kaiſer Wilhelm I. würde kurz und ironiſch antworten, er habe durch mich nichts er¬ fahren, was er nicht ſchon ſeit 30 Jahren wiſſe. Umgekehrt aber dankte er mir lebhaft für die intereſſante Zuſammenſtellung der ihm neuen Daten. III. Von dem Augenblicke des Antritts der Regentſchaft an hatte Prinz Wilhelm den Mangel an geſchäftlicher Vorbildung ſo leb¬ haft empfunden, daß er keine Arbeit Tag und Nacht ſcheute, um demſelben abzuhelfen. Wenn er „Staatsgeſchäfte erledigte“, ſo arbeitete er wirklich, mit vollem Ernſt und voller Gewiſſenhaftigkeit. Er las alle Eingänge, nicht blos die, welche ihn anzogen, ſtudirte die Verträge und Geſetze, um ſich ein ſelbſtändiges Urtheil zu bilden. Er kannte keine Vergnügung, die den Staatsgeſchäften Zeit entzogen hätte. Er las niemals Romane oder ſonſt Bücher, die nicht Bezug auf ſeinen Herrſcherberuf hatten. Er rauchte nicht, ſpielte nicht Karten. Wenn nach einem Jagddiner in Wuſterhauſen die Geſellſchaft ſich in das Zimmer begab, in dem Friedrich Wilhelm I. das Tabakscollegium zu verſammeln pflegte, ſo ließ er ſich, damit die Anweſenden in ſeiner Gegenwart rauchen durften, eine der langen holländiſchen Thonpfeifen reichen, that einige Züge und legte ſie mit einem krauſen Geſichte aus der Hand. Als er in Frankfurt, damals noch Prinz von Preußen, auf einem Balle in ein Zimmer gerieth, in dem Hazard geſpielt wurde, ſagte er zu mir: „Ich will doch auch einmal mein Glück verſuchen, habe aber kein Geld bei mir, geben Sie mir etwas.“ Da auch ich kein Geld bei mir zu tragen pflegte, ſo half der Graf Theodor Stol¬ berg aus. Der Prinz ſetzte einige Male einen Thaler, verlor jedes Mal und verließ das Zimmer. Seine einzige Erholung war, nach einem arbeitsvollen Tage in ſeiner Theaterloge zu ſitzen; aber auch dort durfte ich als Miniſter ihn in dringenden Fällen aufſuchen,

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/304>, abgerufen am 24.04.2024.