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Blumenbach, Johann Friedrich: Über die natürlichen Verschiedenheiten im Menschengeschlechte. Leipzig, 1798.

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turreiche, durch eine angeborne, durch die Er-
scheinungen sich offenbarende Kraft, vermöge wel-
cher er unter den erforderlichen Umständen der
Reife, der Vermischung, des Orts seiner Bestim-
mung u. s. w. erst die ihnen festgesetzte und be-
stimmte Form der Zeugung annimmt, dann durch
das Geschäft der Ernährung beständig erhält, und
falls sie etwa verstümmelt worden, soviel möglich
durch das Reproduktionsvermögen wieder herstellt.

Damit man diese Kraft nicht mit andern Arten
der Lebenskraft, oder andern schwankenden, und
unbestimmten Ausdrücken der Alten, als der plasti-
schen Kraft und andern mehr vermenge, so wollen
wir sie durch die Benennung des Bildungstriebes
unterscheiden*): wodurch ich jedoch nicht sowohl
eine Ursache, als eine gewisse, immer dauernde, sich
stets gleiche, a posteriori von der Bestandheit und
Allgemeinheit abgezogene Wirkung bezeichnen will
fast auf dieselbe Weise, als man sich der Ausdrücke
Schwere oder Anziehung bedient, gewisse Kräfte

*) Da ich gefunden habe, daß selbst sonst gute Natur-
historiker, den Nisus formativus und die vis plastica
für fast synonim hielten; so erlaube man mir hier
anzumerken, daß man unter der letztern nichts anders
zu verstehen habe, als: eine bildende oder vielmehr
zusammenordnende Kraft nach den bloß mechani-
schen Regeln und Gesetzen der Natur, z. B. der che-
mischen Affinität und daß sich Trieb von Kraft
besonders dadurch unterscheide, daß jener schon eine
gewisse Lebenskraft voraussetzt, welche nach ihren
eigenen Gesetzen wirkt, und den Begriff von Zweck-
mäßigkeit involvirt. Demnach dürfte vis plastica auf
das Mineralreich eingeschränkt werden müssen, und
nisus formativus hauptsächlich auf organisirbare We-
sen, Vegetabilien und Locomoventia gehen.G.

turreiche, durch eine angeborne, durch die Er-
scheinungen sich offenbarende Kraft, vermöge wel-
cher er unter den erforderlichen Umständen der
Reife, der Vermischung, des Orts seiner Bestim-
mung u. s. w. erst die ihnen festgesetzte und be-
stimmte Form der Zeugung annimmt, dann durch
das Geschäft der Ernährung beständig erhält, und
falls sie etwa verstümmelt worden, soviel möglich
durch das Reproduktionsvermögen wieder herstellt.

Damit man diese Kraft nicht mit andern Arten
der Lebenskraft, oder andern schwankenden, und
unbestimmten Ausdrücken der Alten, als der plasti-
schen Kraft und andern mehr vermenge, so wollen
wir sie durch die Benennung des Bildungstriebes
unterscheiden*): wodurch ich jedoch nicht sowohl
eine Ursache, als eine gewisse, immer dauernde, sich
stets gleiche, a posteriori von der Bestandheit und
Allgemeinheit abgezogene Wirkung bezeichnen will
fast auf dieselbe Weise, als man sich der Ausdrücke
Schwere oder Anziehung bedient, gewisse Kräfte

*) Da ich gefunden habe, daß selbst sonst gute Natur-
historiker, den Nisus formativus und die vis plastica
für fast synonim hielten; so erlaube man mir hier
anzumerken, daß man unter der letztern nichts anders
zu verstehen habe, als: eine bildende oder vielmehr
zusammenordnende Kraft nach den bloß mechani-
schen Regeln und Gesetzen der Natur, z. B. der che-
mischen Affinität und daß sich Trieb von Kraft
besonders dadurch unterscheide, daß jener schon eine
gewisse Lebenskraft voraussetzt, welche nach ihren
eigenen Gesetzen wirkt, und den Begriff von Zweck-
mäßigkeit involvirt. Demnach dürfte vis plastica auf
das Mineralreich eingeschränkt werden müssen, und
nisus formativus hauptsächlich auf organisirbare We-
sen, Vegetabilien und Locomoventia gehen.G.
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[70/0104] turreiche, durch eine angeborne, durch die Er- scheinungen sich offenbarende Kraft, vermöge wel- cher er unter den erforderlichen Umständen der Reife, der Vermischung, des Orts seiner Bestim- mung u. s. w. erst die ihnen festgesetzte und be- stimmte Form der Zeugung annimmt, dann durch das Geschäft der Ernährung beständig erhält, und falls sie etwa verstümmelt worden, soviel möglich durch das Reproduktionsvermögen wieder herstellt. Damit man diese Kraft nicht mit andern Arten der Lebenskraft, oder andern schwankenden, und unbestimmten Ausdrücken der Alten, als der plasti- schen Kraft und andern mehr vermenge, so wollen wir sie durch die Benennung des Bildungstriebes unterscheiden *): wodurch ich jedoch nicht sowohl eine Ursache, als eine gewisse, immer dauernde, sich stets gleiche, a posteriori von der Bestandheit und Allgemeinheit abgezogene Wirkung bezeichnen will fast auf dieselbe Weise, als man sich der Ausdrücke Schwere oder Anziehung bedient, gewisse Kräfte *) Da ich gefunden habe, daß selbst sonst gute Natur- historiker, den Nisus formativus und die vis plastica für fast synonim hielten; so erlaube man mir hier anzumerken, daß man unter der letztern nichts anders zu verstehen habe, als: eine bildende oder vielmehr zusammenordnende Kraft nach den bloß mechani- schen Regeln und Gesetzen der Natur, z. B. der che- mischen Affinität und daß sich Trieb von Kraft besonders dadurch unterscheide, daß jener schon eine gewisse Lebenskraft voraussetzt, welche nach ihren eigenen Gesetzen wirkt, und den Begriff von Zweck- mäßigkeit involvirt. Demnach dürfte vis plastica auf das Mineralreich eingeschränkt werden müssen, und nisus formativus hauptsächlich auf organisirbare We- sen, Vegetabilien und Locomoventia gehen. G.

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Zitationshilfe: Blumenbach, Johann Friedrich: Über die natürlichen Verschiedenheiten im Menschengeschlechte. Leipzig, 1798, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/blumenbach_menschengeschlecht2_1798/104>, abgerufen am 24.04.2024.