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Blumenbach, Johann Friedrich: Handbuch der Naturgeschichte. Bd. 1. Göttingen, 1779.

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Der Mensch ist für sich ein wehrloses hülfbe-
dürftiges Geschöpf. Kein andres Thier außer
ihm ist so instinctlos, Keins bleibt so lange Kind,
Keins wird so sehr späte mannbar u. s. w. Selbst
seine großen Vorzüge, Vernunft und Sprache,
sind nur Keime, die sich nicht von selbst, son-
dern erst durch fremde Hülfe, durch Kultur und
Erziehung entwickeln können. Diese natürliche
Blösse von der einen Seite, und die vielfachen
Bedürfnisse von der andern, machen den Menschen
zum geselligen Thiere, so daß Hobbes den blos-
sen Nothzwang für die einzige Triebfeder anneh-
men durfte, wodurch der Mensch, so wie die
Bienen und Ameisen durch ihren Instinct, zur so-
cialen Verbindung gedrungen würde. Der
Aufenthalt und die Nahrung des Menschen
sind beide unbeschränkt; er bewohnt die ganze
Erde, und nährt sich beynabe von der ganzen or-
ganisirten Schöpfung. Er erreicht, in Rücksicht
seiner mässigen Körpermasse, und in Vergleich
mit andern Säugethieren, ein ausnehmend ho-
hes Alter, was ihn für seine lange Kindheit ent-
schädigt. Die Proportion in der Anzal der Men-
schen beyden Geschlechts, die unglücklichen Fol-
gen der Vielweiberey etc. erweisen die natürliche
Bestimmung des Menschen zur Monogamie.

Es giebt nur eine Gattung im Menschenge-
schlecht; und die Menschen aller Zeiten und aller
Himmelsstriche können von Adam abstammen.
Die Verschiedenheiten in Bildung und Farbe der
menschlichen Körper werden blos durch Clima,
Nahrung, Lebensart u. s. w. bewirkt; da der
Mensch kein Privilegium hat, warum er nicht
auch, wie jeder andere organisirte Körper, (§. 21.)
wie eine Taube oder wie eine Tulpe, ausarten
sollte? So brennt die Sonnenhitze die Mohren
schwarz, und macht sie kraushaarigt; so wie hin-

Der Mensch ist für sich ein wehrloses hülfbe-
dürftiges Geschöpf. Kein andres Thier außer
ihm ist so instinctlos, Keins bleibt so lange Kind,
Keins wird so sehr späte mannbar u. s. w. Selbst
seine großen Vorzüge, Vernunft und Sprache,
sind nur Keime, die sich nicht von selbst, son-
dern erst durch fremde Hülfe, durch Kultur und
Erziehung entwickeln können. Diese natürliche
Blösse von der einen Seite, und die vielfachen
Bedürfnisse von der andern, machen den Menschen
zum geselligen Thiere, so daß Hobbes den blos-
sen Nothzwang für die einzige Triebfeder anneh-
men durfte, wodurch der Mensch, so wie die
Bienen und Ameisen durch ihren Instinct, zur so-
cialen Verbindung gedrungen würde. Der
Aufenthalt und die Nahrung des Menschen
sind beide unbeschränkt; er bewohnt die ganze
Erde, und nährt sich beynabe von der ganzen or-
ganisirten Schöpfung. Er erreicht, in Rücksicht
seiner mässigen Körpermasse, und in Vergleich
mit andern Säugethieren, ein ausnehmend ho-
hes Alter, was ihn für seine lange Kindheit ent-
schädigt. Die Proportion in der Anzal der Men-
schen beyden Geschlechts, die unglücklichen Fol-
gen der Vielweiberey ꝛc. erweisen die natürliche
Bestimmung des Menschen zur Monogamie.

Es giebt nur eine Gattung im Menschenge-
schlecht; und die Menschen aller Zeiten und aller
Himmelsstriche können von Adam abstammen.
Die Verschiedenheiten in Bildung und Farbe der
menschlichen Körper werden blos durch Clima,
Nahrung, Lebensart u. s. w. bewirkt; da der
Mensch kein Privilegium hat, warum er nicht
auch, wie jeder andere organisirte Körper, (§. 21.)
wie eine Taube oder wie eine Tulpe, ausarten
sollte? So brennt die Sonnenhitze die Mohren
schwarz, und macht sie kraushaarigt; so wie hin-

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[62/0084] Der Mensch ist für sich ein wehrloses hülfbe- dürftiges Geschöpf. Kein andres Thier außer ihm ist so instinctlos, Keins bleibt so lange Kind, Keins wird so sehr späte mannbar u. s. w. Selbst seine großen Vorzüge, Vernunft und Sprache, sind nur Keime, die sich nicht von selbst, son- dern erst durch fremde Hülfe, durch Kultur und Erziehung entwickeln können. Diese natürliche Blösse von der einen Seite, und die vielfachen Bedürfnisse von der andern, machen den Menschen zum geselligen Thiere, so daß Hobbes den blos- sen Nothzwang für die einzige Triebfeder anneh- men durfte, wodurch der Mensch, so wie die Bienen und Ameisen durch ihren Instinct, zur so- cialen Verbindung gedrungen würde. Der Aufenthalt und die Nahrung des Menschen sind beide unbeschränkt; er bewohnt die ganze Erde, und nährt sich beynabe von der ganzen or- ganisirten Schöpfung. Er erreicht, in Rücksicht seiner mässigen Körpermasse, und in Vergleich mit andern Säugethieren, ein ausnehmend ho- hes Alter, was ihn für seine lange Kindheit ent- schädigt. Die Proportion in der Anzal der Men- schen beyden Geschlechts, die unglücklichen Fol- gen der Vielweiberey ꝛc. erweisen die natürliche Bestimmung des Menschen zur Monogamie. Es giebt nur eine Gattung im Menschenge- schlecht; und die Menschen aller Zeiten und aller Himmelsstriche können von Adam abstammen. Die Verschiedenheiten in Bildung und Farbe der menschlichen Körper werden blos durch Clima, Nahrung, Lebensart u. s. w. bewirkt; da der Mensch kein Privilegium hat, warum er nicht auch, wie jeder andere organisirte Körper, (§. 21.) wie eine Taube oder wie eine Tulpe, ausarten sollte? So brennt die Sonnenhitze die Mohren schwarz, und macht sie kraushaarigt; so wie hin-

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Zitationshilfe: Blumenbach, Johann Friedrich: Handbuch der Naturgeschichte. Bd. 1. Göttingen, 1779, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/blumenbach_naturgeschichte_1779/84>, abgerufen am 19.04.2024.