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Blumenbach, Johann Friedrich: Handbuch der Naturgeschichte. 3. Aufl. Göttingen, 1788.

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trägt. Es giebt eben so wenig ein sprachloses,
als ein vernunftloses Volk auf unserer Erde,
und wir haben nun die Wörterbücher der Es-
kimos, der Hottentotten und anderer Nationen,
denen die leichtglaubigen Reisenden der alten
Zeit die Rede abzusprechen wagten.

Zu den körperlichen Eigenschaften des Men-
schen gehört vorzüglich sein aufrechter Gang,
wozu seine breiten Fussohlen, und überhaupt
sein ganzer Körperbau eingerichtet ist, und der
Gebrauch zweyer Hände, wodurch er, selbst
vom menschenähnlichsten Affen zu unterschei-
den ist.

Das weibliche Geschlecht hat noch ein paar
eigenthümliche Chraktere, die dem männlichen
und allen übrigen Thieren abgehen, nemlich
einen periodischen Blutverlust in einer bestimm-
ten Reihe von Lebensjahren; und dann ein
körperliches Rennzeichen der unverlezten Jung-
fräulichen Unschuld.

Der Mensch ist für sich ein wehrloses hülf-
bedürftiges Geschöpf, das ohne alle Waffen
und ohne alle schützende Bedeckung auf die Welt
kommt. Kein andres Thier außer ihm ist so in-
stinctlos, keins bleibt so lange Kind, keins kriegt
so sehr späte erst sein Gebiß, lernt so sehr späte
erst auf seinen Füßen stehn, keins wird so sehr
späte mannbar u. s. w. Selbst seine großen
Vorzüge, Vernunft und Sprache, sind nur
Keime, die sich nicht von selbst, sondern erst
durch fremde Hülfe, durch Kultur und Erzie-
hung entwickeln können; so daß sich also wol
die sonderbare Frage von selbst beantwortet, ob
der Mensch bey dieser natürlichen Blöse und

trägt. Es giebt eben so wenig ein sprachloses,
als ein vernunftloses Volk auf unserer Erde,
und wir haben nun die Wörterbücher der Es-
kimos, der Hottentotten und anderer Nationen,
denen die leichtglaubigen Reisenden der alten
Zeit die Rede abzusprechen wagten.

Zu den körperlichen Eigenschaften des Men-
schen gehört vorzüglich sein aufrechter Gang,
wozu seine breiten Fussohlen, und überhaupt
sein ganzer Körperbau eingerichtet ist, und der
Gebrauch zweyer Hände, wodurch er, selbst
vom menschenähnlichsten Affen zu unterschei-
den ist.

Das weibliche Geschlecht hat noch ein paar
eigenthümliche Chraktere, die dem männlichen
und allen übrigen Thieren abgehen, nemlich
einen periodischen Blutverlust in einer bestimm-
ten Reihe von Lebensjahren; und dann ein
körperliches Rennzeichen der unverlezten Jung-
fräulichen Unschuld.

Der Mensch ist für sich ein wehrloses hülf-
bedürftiges Geschöpf, das ohne alle Waffen
und ohne alle schützende Bedeckung auf die Welt
kommt. Kein andres Thier außer ihm ist so in-
stinctlos, keins bleibt so lange Kind, keins kriegt
so sehr späte erst sein Gebiß, lernt so sehr späte
erst auf seinen Füßen stehn, keins wird so sehr
späte mannbar u. s. w. Selbst seine großen
Vorzüge, Vernunft und Sprache, sind nur
Keime, die sich nicht von selbst, sondern erst
durch fremde Hülfe, durch Kultur und Erzie-
hung entwickeln können; so daß sich also wol
die sonderbare Frage von selbst beantwortet, ob
der Mensch bey dieser natürlichen Blöse und

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[59/0079] trägt. Es giebt eben so wenig ein sprachloses, als ein vernunftloses Volk auf unserer Erde, und wir haben nun die Wörterbücher der Es- kimos, der Hottentotten und anderer Nationen, denen die leichtglaubigen Reisenden der alten Zeit die Rede abzusprechen wagten. Zu den körperlichen Eigenschaften des Men- schen gehört vorzüglich sein aufrechter Gang, wozu seine breiten Fussohlen, und überhaupt sein ganzer Körperbau eingerichtet ist, und der Gebrauch zweyer Hände, wodurch er, selbst vom menschenähnlichsten Affen zu unterschei- den ist. Das weibliche Geschlecht hat noch ein paar eigenthümliche Chraktere, die dem männlichen und allen übrigen Thieren abgehen, nemlich einen periodischen Blutverlust in einer bestimm- ten Reihe von Lebensjahren; und dann ein körperliches Rennzeichen der unverlezten Jung- fräulichen Unschuld. Der Mensch ist für sich ein wehrloses hülf- bedürftiges Geschöpf, das ohne alle Waffen und ohne alle schützende Bedeckung auf die Welt kommt. Kein andres Thier außer ihm ist so in- stinctlos, keins bleibt so lange Kind, keins kriegt so sehr späte erst sein Gebiß, lernt so sehr späte erst auf seinen Füßen stehn, keins wird so sehr späte mannbar u. s. w. Selbst seine großen Vorzüge, Vernunft und Sprache, sind nur Keime, die sich nicht von selbst, sondern erst durch fremde Hülfe, durch Kultur und Erzie- hung entwickeln können; so daß sich also wol die sonderbare Frage von selbst beantwortet, ob der Mensch bey dieser natürlichen Blöse und

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Zitationshilfe: Blumenbach, Johann Friedrich: Handbuch der Naturgeschichte. 3. Aufl. Göttingen, 1788, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/blumenbach_naturgeschichte_1788/79>, abgerufen am 20.04.2024.