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Blumenbach, Johann Friedrich: Handbuch der Naturgeschichte. 12. Aufl. Wien, 1832.

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tung zu sorgen*), in einem tiefen Winterschlaf zubringen.
Sie verkriechen sich, wenn diese Zeit kommt an sichere, schau-
rige Orte; und fallen mit einbrechender Kälte in eine Art von
Erstarrung, aus der sie erst durch die erwärmende Frühlings-
sonne wieder erweckt werden. Diese Erstarrung ist so stark,
daß die warmblütigen Thiere während dieses Todtenschlafs nur
unmerkliche Wärme übrig behalten (- s. oben S. 22. -),
und daß die Puppen vieler Insecten, die zu gleicher Zeit ihre
Verwandlung bestehen, im Winter oft so durchfroren sind, daß
sie, dem Leben des darin schlafenden Thieres unbeschadet, wie
Eiszapfen oder Glas klingen, wenn man sie auf die Erde fal-
len läßt.

So viel bekannt, hält doch kein einziger Vogel, hingegen
die mehresten Amphibien, Winterschlaf.

§. 33.

Von den Seelenfähigkeiten sind manche dem Menschen
mit den mehresten übrigen Thieren gemein, wie z. B. die Vor-
stellungskraft, die Aufmerksamkeit, und so auch die
beiden so genannten innern Sinne, Gedächtniß nähmlich und
Einbildungskraft.

§. 34.

Andere sind fast bloß den übrigen Thieren eigen, so daß
sich beim Menschen nur wenige Spuren davon finden, nähm-
lich die so genannten Naturtriebe oder Instincte. Da-
gegen er hinwiederum im ausschließlichen Besitze der Ver-
nunft
ist.

§. 35.

Der Instinct**) ist das Vermögen der Thiere, aus einem
angebohrnen, unwillkürlichen, inneren Drange, ohne allen Un-
terricht, von freien Stücken, sich zweckmäßigen, und zu ihrer
und ihres Geschlechts Erhaltung abzielenden Handlungen zu un-
terziehen.

Daß diese wichtigen Handlungen wirklich ganz unüberlegt,
bloß nach ursprünglichen Gesetzen der Nothwendigkeit, und
gleichsam maschinenmäßig vollzogen werden, wird durch zahl-

*) "Ergo in hiemes aliis provisum pabulum, aliis pro ci-
bo somnus
."
Plinius.
**) Herm. Sam. Reimarus Betr. über die Triebe der
Thiere. 4te Ausg. Hamb. 1798. 8. Dupont de Nemours in seinen Memoires sur differens sujets
etc. Par. 1807. 8. S. 147-373. The Percy Anecdotes of Instinct. by Sholto and Reuben
Percy.
Lond
. 1821. 12.

tung zu sorgen*), in einem tiefen Winterschlaf zubringen.
Sie verkriechen sich, wenn diese Zeit kommt an sichere, schau-
rige Orte; und fallen mit einbrechender Kälte in eine Art von
Erstarrung, aus der sie erst durch die erwärmende Frühlings-
sonne wieder erweckt werden. Diese Erstarrung ist so stark,
daß die warmblütigen Thiere während dieses Todtenschlafs nur
unmerkliche Wärme übrig behalten (– s. oben S. 22. –),
und daß die Puppen vieler Insecten, die zu gleicher Zeit ihre
Verwandlung bestehen, im Winter oft so durchfroren sind, daß
sie, dem Leben des darin schlafenden Thieres unbeschadet, wie
Eiszapfen oder Glas klingen, wenn man sie auf die Erde fal-
len läßt.

So viel bekannt, hält doch kein einziger Vogel, hingegen
die mehresten Amphibien, Winterschlaf.

§. 33.

Von den Seelenfähigkeiten sind manche dem Menschen
mit den mehresten übrigen Thieren gemein, wie z. B. die Vor-
stellungskraft, die Aufmerksamkeit, und so auch die
beiden so genannten innern Sinne, Gedächtniß nähmlich und
Einbildungskraft.

§. 34.

Andere sind fast bloß den übrigen Thieren eigen, so daß
sich beim Menschen nur wenige Spuren davon finden, nähm-
lich die so genannten Naturtriebe oder Instincte. Da-
gegen er hinwiederum im ausschließlichen Besitze der Ver-
nunft
ist.

§. 35.

Der Instinct**) ist das Vermögen der Thiere, aus einem
angebohrnen, unwillkürlichen, inneren Drange, ohne allen Un-
terricht, von freien Stücken, sich zweckmäßigen, und zu ihrer
und ihres Geschlechts Erhaltung abzielenden Handlungen zu un-
terziehen.

Daß diese wichtigen Handlungen wirklich ganz unüberlegt,
bloß nach ursprünglichen Gesetzen der Nothwendigkeit, und
gleichsam maschinenmäßig vollzogen werden, wird durch zahl-

*) Ergo in hiemes aliis provisum pabulum, aliis pro ci-
bo somnus
.“
Plinius.
**) Herm. Sam. Reimarus Betr. über die Triebe der
Thiere. 4te Ausg. Hamb. 1798. 8. Dupont de Nemours in seinen Mémoires sur différens sujets
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[25/0035] tung zu sorgen *), in einem tiefen Winterschlaf zubringen. Sie verkriechen sich, wenn diese Zeit kommt an sichere, schau- rige Orte; und fallen mit einbrechender Kälte in eine Art von Erstarrung, aus der sie erst durch die erwärmende Frühlings- sonne wieder erweckt werden. Diese Erstarrung ist so stark, daß die warmblütigen Thiere während dieses Todtenschlafs nur unmerkliche Wärme übrig behalten (– s. oben S. 22. –), und daß die Puppen vieler Insecten, die zu gleicher Zeit ihre Verwandlung bestehen, im Winter oft so durchfroren sind, daß sie, dem Leben des darin schlafenden Thieres unbeschadet, wie Eiszapfen oder Glas klingen, wenn man sie auf die Erde fal- len läßt. So viel bekannt, hält doch kein einziger Vogel, hingegen die mehresten Amphibien, Winterschlaf. §. 33. Von den Seelenfähigkeiten sind manche dem Menschen mit den mehresten übrigen Thieren gemein, wie z. B. die Vor- stellungskraft, die Aufmerksamkeit, und so auch die beiden so genannten innern Sinne, Gedächtniß nähmlich und Einbildungskraft. §. 34. Andere sind fast bloß den übrigen Thieren eigen, so daß sich beim Menschen nur wenige Spuren davon finden, nähm- lich die so genannten Naturtriebe oder Instincte. Da- gegen er hinwiederum im ausschließlichen Besitze der Ver- nunft ist. §. 35. Der Instinct **) ist das Vermögen der Thiere, aus einem angebohrnen, unwillkürlichen, inneren Drange, ohne allen Un- terricht, von freien Stücken, sich zweckmäßigen, und zu ihrer und ihres Geschlechts Erhaltung abzielenden Handlungen zu un- terziehen. Daß diese wichtigen Handlungen wirklich ganz unüberlegt, bloß nach ursprünglichen Gesetzen der Nothwendigkeit, und gleichsam maschinenmäßig vollzogen werden, wird durch zahl- *) „Ergo in hiemes aliis provisum pabulum, aliis pro ci- bo somnus.“ Plinius. **) Herm. Sam. Reimarus Betr. über die Triebe der Thiere. 4te Ausg. Hamb. 1798. 8. Dupont de Nemours in seinen Mémoires sur différens sujets ꝛc. Par. 1807. 8. S. 147-373. The Percy Anecdotes of Instinct. by Sholto and Reuben Percy. Lond. 1821. 12.

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Zitationshilfe: Blumenbach, Johann Friedrich: Handbuch der Naturgeschichte. 12. Aufl. Wien, 1832, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/blumenbach_naturgeschichte_1832/35>, abgerufen am 29.03.2024.