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Blumenbach, Johann Friedrich: Handbuch der Naturgeschichte. 12. Aufl. Wien, 1832.

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2. Eben so ausgemacht und bekannt ist aber auch, daß
hingegen das Wort Gattung von dem Zeitworte
sich gatten, abstammt; und da nun im freien Na-
turzustande wohl nur die Thiere von einer species sich
mit einander fruchtbar gatten, so versteht sich also von
selbst, daß das Wort species, in dem Sinne, wovon
hier die Rede ist, durch kein anderes deutsches Wort
passender und bezeichnender und bestimmter ausgedrückt
werden konnte, als durch Gattung.

3. Daß aber die Homonymie des deutschen Wortes
Geschlecht, indem es sowohl genus als sexus bedeutet,
zu Irrung Anlaß geben werde, ist wohl eben so wenig
im Ernst zu befürchten, als bei dem lateinischen Worte
genus, das, wie wir in den Knabenjahren in der Gra-
matik beim Unterschied der Worte generis masculini
oder feminini lernen, auch statt sexus gebraucht wird.

4. Und wenn aber auch obbesagter Reformator im
Ernste so etwas befürchten zu müssen meinte, so hätte er
immerhin mögen wer weiß was für ein Wort von eige-
ner Fabrik statt des ihm bedenklichen Geschlechts
vorschlagen; aber nichts konnte ihn berechtigen, die
Landessprache - d. h. den bestimmten einmal festgesetz-
ten Sinn der deutschen Worte - (da man z. B. Men-
schen geschlecht etc. sagt, so gut wie genus humanum)
zu verkehren! Denn, wie unser sel. Lichtenberg bei
einem ähnlichen Anlaß sich ausdrückt:

"Hypothesen zu machen, und sie als seine Stim-
me der Welt vorzulegen, darf niemand gewehrt
seyn, sie gehören dem Verfasser. Aber die
Sprache
gehört der Nation, und mit
dieser darf man nicht umspringen
,
wie man will."

Die gleiche schuldige Achtung gegen dieses der Na-
tion gehörige Eigenthum, habe ich auch bei den deut-
schen Namen der Naturalien beobachtet, und mich daher
immer der allgemein angenommenen und allgemein ver-

2. Eben so ausgemacht und bekannt ist aber auch, daß
hingegen das Wort Gattung von dem Zeitworte
sich gatten, abstammt; und da nun im freien Na-
turzustande wohl nur die Thiere von einer species sich
mit einander fruchtbar gatten, so versteht sich also von
selbst, daß das Wort species, in dem Sinne, wovon
hier die Rede ist, durch kein anderes deutsches Wort
passender und bezeichnender und bestimmter ausgedrückt
werden konnte, als durch Gattung.

3. Daß aber die Homonymie des deutschen Wortes
Geschlecht, indem es sowohl genus als sexus bedeutet,
zu Irrung Anlaß geben werde, ist wohl eben so wenig
im Ernst zu befürchten, als bei dem lateinischen Worte
genus, das, wie wir in den Knabenjahren in der Gra-
matik beim Unterschied der Worte generis masculini
oder feminini lernen, auch statt sexus gebraucht wird.

4. Und wenn aber auch obbesagter Reformator im
Ernste so etwas befürchten zu müssen meinte, so hätte er
immerhin mögen wer weiß was für ein Wort von eige-
ner Fabrik statt des ihm bedenklichen Geschlechts
vorschlagen; aber nichts konnte ihn berechtigen, die
Landessprache – d. h. den bestimmten einmal festgesetz-
ten Sinn der deutschen Worte – (da man z. B. Men-
schen geschlecht ꝛc. sagt, so gut wie genus humanum)
zu verkehren! Denn, wie unser sel. Lichtenberg bei
einem ähnlichen Anlaß sich ausdrückt:

„Hypothesen zu machen, und sie als seine Stim-
me der Welt vorzulegen, darf niemand gewehrt
seyn, sie gehören dem Verfasser. Aber die
Sprache
gehört der Nation, und mit
dieser darf man nicht umspringen
,
wie man will.“

Die gleiche schuldige Achtung gegen dieses der Na-
tion gehörige Eigenthum, habe ich auch bei den deut-
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Zitationshilfe: Blumenbach, Johann Friedrich: Handbuch der Naturgeschichte. 12. Aufl. Wien, 1832, S. V. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/blumenbach_naturgeschichte_1832/7>, abgerufen am 25.04.2024.