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Blumenbach, Johann Friedrich: Handbuch der Naturgeschichte. 12. Aufl. Wien, 1832.

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macht hat*), darauf an, sie so zu bestimmen, wie sie dem
Begriff von organisirten Körpern, und dann den Phänomenen,
die uns die Beobachtung bei Entstehung derselben lehrt, am un-
gezwungensten entspricht.

§. 9.

Und dieß geschieht, wenn man annimmt, daß der reife, vor-
her zwar umgeformte, aber organisirbare Zeugungsstoff der Ael-
tern, wenn er zu seiner Zeit, und unter den erforderlichen Um-
ständen an den Ort seiner Bestimmung gelangt, dann für eine
in demselben nun zweckmäßig wirkende Lebenskraft, nähmlich
den Bildungstrieb (nisus formativus), zuerst empfäng-
lich wird; - für einen Trieb, der sich von aller bloß mecha-
nischen bildenden Kraft [als welche auch im unorganischen Rei-
che Krystallisationen**) und dergl. hervorbringt] dadurch aus-
zeichnet, daß er nach der endlos mannichfaltig verschiedenen Be-
stimmung der organisirten Körper und ihrer Theile, die vielar-
tig organisirbaren Zeugungsstoffe auf eben so mannichfaltig
aber zweckmäßig modificirte Weise in bestimmte Gestalten zu for-
men vermag - und so [- durch die Verbindung des mecha-
nischen mit dem zweckmäßig Modificirbaren in diesem Triebe***)
-] zuerst bei der Empfängniß die allmähliche Ausbildung;

*) Denn wenn z. B. Mazini meinte, daß die Kinder bey ih-
rer Empfängniß im Mutterleibe bloß anschössen (ungefähr wie der Can-
dis-Zucker), so war das auch eine Art Epigenese. Aber das schlechterdings Unstatthafte aller solchen bloß mechani-
schen
Erklärungsarten der allmählichen Ausbildung organisirter
Körper durch eine so genannte vis plastica (wie es unsere ehrlichen
Alten nannten), als welche eben so gut im Mineralreich Statt hat,
ergibt sich von selbst aus dem Begriff von organisirten Körpern, als
welcher durchaus zugleich Zweckmäßigkeit involvirt. - s. Kant
a. a. O. S. 292.
**) Die Krystallisationen unterscheiden sich von den organisirten
Körpern selbst schon durch die geometrische Regularität ihrer fast im-
mer geradlinichten Umrisse, die auf wenige Fundamentalformen re-
ducirbar sind; da hingegen die Gestaltungen der Thiere und Gewächse
eben wegen ihrer unübersehbar vielartigen Zweckmäßigkeit zu bestimm-
ten Verrichtungen auch in unübersehlich vielartige Formen (von endlos
variirenden Umrissen) gebildet werden mußten.
***) Von dieser Verbindung der beiden Principien, - des mecha-
nischen mit dem teleologischen, - die man sonst bei Erklärung der
Entstehungsart organisirter Körper für unvereinbar gehalten, und wor-
in gerade das Auszeichnende im Begriffe von Bildungstrieb
liegt; davon gibt zumahl die vergleichende Anatomie auffallend ein-
leuchtende Beyspiele in Menge, deren ich in meinem Handbuche der-
selben manche angeführt habe; - s. auch Voigt's neues Magazin
II. B. S. 213.

macht hat*), darauf an, sie so zu bestimmen, wie sie dem
Begriff von organisirten Körpern, und dann den Phänomenen,
die uns die Beobachtung bei Entstehung derselben lehrt, am un-
gezwungensten entspricht.

§. 9.

Und dieß geschieht, wenn man annimmt, daß der reife, vor-
her zwar umgeformte, aber organisirbare Zeugungsstoff der Ael-
tern, wenn er zu seiner Zeit, und unter den erforderlichen Um-
ständen an den Ort seiner Bestimmung gelangt, dann für eine
in demselben nun zweckmäßig wirkende Lebenskraft, nähmlich
den Bildungstrieb (nisus formativus), zuerst empfäng-
lich wird; – für einen Trieb, der sich von aller bloß mecha-
nischen bildenden Kraft [als welche auch im unorganischen Rei-
che Krystallisationen**) und dergl. hervorbringt] dadurch aus-
zeichnet, daß er nach der endlos mannichfaltig verschiedenen Be-
stimmung der organisirten Körper und ihrer Theile, die vielar-
tig organisirbaren Zeugungsstoffe auf eben so mannichfaltig
aber zweckmäßig modificirte Weise in bestimmte Gestalten zu for-
men vermag – und so [– durch die Verbindung des mecha-
nischen mit dem zweckmäßig Modificirbaren in diesem Triebe***)
–] zuerst bei der Empfängniß die allmähliche Ausbildung;

*) Denn wenn z. B. Mazini meinte, daß die Kinder bey ih-
rer Empfängniß im Mutterleibe bloß anschössen (ungefähr wie der Can-
dis-Zucker), so war das auch eine Art Epigenese. Aber das schlechterdings Unstatthafte aller solchen bloß mechani-
schen
Erklärungsarten der allmählichen Ausbildung organisirter
Körper durch eine so genannte vis plastica (wie es unsere ehrlichen
Alten nannten), als welche eben so gut im Mineralreich Statt hat,
ergibt sich von selbst aus dem Begriff von organisirten Körpern, als
welcher durchaus zugleich Zweckmäßigkeit involvirt. – s. Kant
a. a. O. S. 292.
**) Die Krystallisationen unterscheiden sich von den organisirten
Körpern selbst schon durch die geometrische Regularität ihrer fast im-
mer geradlinichten Umrisse, die auf wenige Fundamentalformen re-
ducirbar sind; da hingegen die Gestaltungen der Thiere und Gewächse
eben wegen ihrer unübersehbar vielartigen Zweckmäßigkeit zu bestimm-
ten Verrichtungen auch in unübersehlich vielartige Formen (von endlos
variirenden Umrissen) gebildet werden mußten.
***) Von dieser Verbindung der beiden Principien, – des mecha-
nischen mit dem teleologischen, – die man sonst bei Erklärung der
Entstehungsart organisirter Körper für unvereinbar gehalten, und wor-
in gerade das Auszeichnende im Begriffe von Bildungstrieb
liegt; davon gibt zumahl die vergleichende Anatomie auffallend ein-
leuchtende Beyspiele in Menge, deren ich in meinem Handbuche der-
selben manche angeführt habe; – s. auch Voigt's neues Magazin
II. B. S. 213.
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[11/0021] macht hat *), darauf an, sie so zu bestimmen, wie sie dem Begriff von organisirten Körpern, und dann den Phänomenen, die uns die Beobachtung bei Entstehung derselben lehrt, am un- gezwungensten entspricht. §. 9. Und dieß geschieht, wenn man annimmt, daß der reife, vor- her zwar umgeformte, aber organisirbare Zeugungsstoff der Ael- tern, wenn er zu seiner Zeit, und unter den erforderlichen Um- ständen an den Ort seiner Bestimmung gelangt, dann für eine in demselben nun zweckmäßig wirkende Lebenskraft, nähmlich den Bildungstrieb (nisus formativus), zuerst empfäng- lich wird; – für einen Trieb, der sich von aller bloß mecha- nischen bildenden Kraft [als welche auch im unorganischen Rei- che Krystallisationen **) und dergl. hervorbringt] dadurch aus- zeichnet, daß er nach der endlos mannichfaltig verschiedenen Be- stimmung der organisirten Körper und ihrer Theile, die vielar- tig organisirbaren Zeugungsstoffe auf eben so mannichfaltig aber zweckmäßig modificirte Weise in bestimmte Gestalten zu for- men vermag – und so [– durch die Verbindung des mecha- nischen mit dem zweckmäßig Modificirbaren in diesem Triebe ***) –] zuerst bei der Empfängniß die allmähliche Ausbildung; *) Denn wenn z. B. Mazini meinte, daß die Kinder bey ih- rer Empfängniß im Mutterleibe bloß anschössen (ungefähr wie der Can- dis-Zucker), so war das auch eine Art Epigenese. Aber das schlechterdings Unstatthafte aller solchen bloß mechani- schen Erklärungsarten der allmählichen Ausbildung organisirter Körper durch eine so genannte vis plastica (wie es unsere ehrlichen Alten nannten), als welche eben so gut im Mineralreich Statt hat, ergibt sich von selbst aus dem Begriff von organisirten Körpern, als welcher durchaus zugleich Zweckmäßigkeit involvirt. – s. Kant a. a. O. S. 292. **) Die Krystallisationen unterscheiden sich von den organisirten Körpern selbst schon durch die geometrische Regularität ihrer fast im- mer geradlinichten Umrisse, die auf wenige Fundamentalformen re- ducirbar sind; da hingegen die Gestaltungen der Thiere und Gewächse eben wegen ihrer unübersehbar vielartigen Zweckmäßigkeit zu bestimm- ten Verrichtungen auch in unübersehlich vielartige Formen (von endlos variirenden Umrissen) gebildet werden mußten. ***) Von dieser Verbindung der beiden Principien, – des mecha- nischen mit dem teleologischen, – die man sonst bei Erklärung der Entstehungsart organisirter Körper für unvereinbar gehalten, und wor- in gerade das Auszeichnende im Begriffe von Bildungstrieb liegt; davon gibt zumahl die vergleichende Anatomie auffallend ein- leuchtende Beyspiele in Menge, deren ich in meinem Handbuche der- selben manche angeführt habe; – s. auch Voigt's neues Magazin II. B. S. 213.

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  • Langes ſ: als s transkribiert.
  • Hochgestellte e über Vokalen: in moderner Schreibweise erfasst.



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Zitationshilfe: Blumenbach, Johann Friedrich: Handbuch der Naturgeschichte. 12. Aufl. Wien, 1832, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/blumenbach_naturgeschichte_1832/21>, abgerufen am 29.03.2024.