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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Zweites Buch. Die Grundbedingungen des Stats in d. Menschen- u. Volksnatur.
Zweiundzwanzigstes Capitel.
2. Die Statsbürger im engeren Sinne.

Aus der Masse der Volks- und Landesangehörigen erhebt
sich die höhere Stufe der Statsbürger im eigentlichen Sinne.
Die Statsbürger als solche haben Theil an den politischen
Rechten
, und insbesondere in der Repräsentativverfassung an
dem Stimmrechte für die Wahlen der Volksvertreter. Das
Statsbürgerrecht in diesem Sinne setzt die Volksgenossenschaft
als Grundbedingung voraus, verbindet aber mit derselben über-
dem die politische Vollberechtigung im State, und in
ihm vorzüglich erhält die politische Beziehung der Individuen
zum State ihren vollen Ausdruck.

In dem griechischen und in dem römischen Stat des Alter-
thums war diese Eigenschaft mit dem Bürgerthum der regie-
renden Stadt, in dem ältern Mittelalter mit dem Stande der
Volksfreiheit in dem spätern Mittelalter mit ständischem Recht
und Grundbesitz verbunden. In dem modernen State hat die-
selbe einen weiteren Umfang gewonnen und sich in manchen
Ländern der Volksgenossenschaft an Ausdehnung sehr ange-
nähert.

Als allgemein anerkannte Beschränkungen des neuen
Statsrechts sind anerkannt:

1. Ausschlieszung des weiblichen Geschlechts. Die
Politik ist Sache des Mannes, die politischen Rechte stehen
daher auch nur den Männern zu. Vgl. oben Capitel XX.

2. Ausschlieszung der Minderjährigen. Die selbstän-
dige Ausübung der politischen Rechte erfordert eine gewisse
geistige Reife. Weil es ihnen daran gebricht, sind die Un-
mündigen und die Minderjährigen ausgeschlossen.

In einzelnen neuern Staten wird die politische Voll-
jährigkeit von der privatrechtlichen unterschieden. Eher
läszt es sich rechtfertigen, wenn jene nach dieser, als wenn

Zweites Buch. Die Grundbedingungen des Stats in d. Menschen- u. Volksnatur.
Zweiundzwanzigstes Capitel.
2. Die Statsbürger im engeren Sinne.

Aus der Masse der Volks- und Landesangehörigen erhebt
sich die höhere Stufe der Statsbürger im eigentlichen Sinne.
Die Statsbürger als solche haben Theil an den politischen
Rechten
, und insbesondere in der Repräsentativverfassung an
dem Stimmrechte für die Wahlen der Volksvertreter. Das
Statsbürgerrecht in diesem Sinne setzt die Volksgenossenschaft
als Grundbedingung voraus, verbindet aber mit derselben über-
dem die politische Vollberechtigung im State, und in
ihm vorzüglich erhält die politische Beziehung der Individuen
zum State ihren vollen Ausdruck.

In dem griechischen und in dem römischen Stat des Alter-
thums war diese Eigenschaft mit dem Bürgerthum der regie-
renden Stadt, in dem ältern Mittelalter mit dem Stande der
Volksfreiheit in dem spätern Mittelalter mit ständischem Recht
und Grundbesitz verbunden. In dem modernen State hat die-
selbe einen weiteren Umfang gewonnen und sich in manchen
Ländern der Volksgenossenschaft an Ausdehnung sehr ange-
nähert.

Als allgemein anerkannte Beschränkungen des neuen
Statsrechts sind anerkannt:

1. Ausschlieszung des weiblichen Geschlechts. Die
Politik ist Sache des Mannes, die politischen Rechte stehen
daher auch nur den Männern zu. Vgl. oben Capitel XX.

2. Ausschlieszung der Minderjährigen. Die selbstän-
dige Ausübung der politischen Rechte erfordert eine gewisse
geistige Reife. Weil es ihnen daran gebricht, sind die Un-
mündigen und die Minderjährigen ausgeschlossen.

In einzelnen neuern Staten wird die politische Voll-
jährigkeit von der privatrechtlichen unterschieden. Eher
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[246/0264] Zweites Buch. Die Grundbedingungen des Stats in d. Menschen- u. Volksnatur. Zweiundzwanzigstes Capitel. 2. Die Statsbürger im engeren Sinne. Aus der Masse der Volks- und Landesangehörigen erhebt sich die höhere Stufe der Statsbürger im eigentlichen Sinne. Die Statsbürger als solche haben Theil an den politischen Rechten, und insbesondere in der Repräsentativverfassung an dem Stimmrechte für die Wahlen der Volksvertreter. Das Statsbürgerrecht in diesem Sinne setzt die Volksgenossenschaft als Grundbedingung voraus, verbindet aber mit derselben über- dem die politische Vollberechtigung im State, und in ihm vorzüglich erhält die politische Beziehung der Individuen zum State ihren vollen Ausdruck. In dem griechischen und in dem römischen Stat des Alter- thums war diese Eigenschaft mit dem Bürgerthum der regie- renden Stadt, in dem ältern Mittelalter mit dem Stande der Volksfreiheit in dem spätern Mittelalter mit ständischem Recht und Grundbesitz verbunden. In dem modernen State hat die- selbe einen weiteren Umfang gewonnen und sich in manchen Ländern der Volksgenossenschaft an Ausdehnung sehr ange- nähert. Als allgemein anerkannte Beschränkungen des neuen Statsrechts sind anerkannt: 1. Ausschlieszung des weiblichen Geschlechts. Die Politik ist Sache des Mannes, die politischen Rechte stehen daher auch nur den Männern zu. Vgl. oben Capitel XX. 2. Ausschlieszung der Minderjährigen. Die selbstän- dige Ausübung der politischen Rechte erfordert eine gewisse geistige Reife. Weil es ihnen daran gebricht, sind die Un- mündigen und die Minderjährigen ausgeschlossen. In einzelnen neuern Staten wird die politische Voll- jährigkeit von der privatrechtlichen unterschieden. Eher läszt es sich rechtfertigen, wenn jene nach dieser, als wenn

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/264>, abgerufen am 28.03.2024.