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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Drittes Capitel. Allgemeine und besondere Statswissenschaft.
Drittes Capitel.
Allgemeine und besondere Statswissenschaft.

Die besondere Statswissenschaft beschränkt die Unter-
suchung und Darstellung des Stats auf ein bestimmtes Volk
und einen einzelnen Stat, z. B. die alte römische Republik,
die neuere englische Verfassung, das heutige deutsche Reich.

Die allgemeine Statswissenschaft dagegen beruht auf uni-
verseller
Auffassung nicht eines einzelnen, sondern des
States. Der besondere Stat geht von einem bestimmten
Volke
aus, der allgemeine sieht voraus auf die menschliche
Natur und von der Menschheit aus. 1

Man faszt die allgemeine Statslehre und insbesondere das
allgemeine Statsrecht sehr oft als das Product idealer Spe-
culation
auf und versucht dasselbe aus einer speculativen
Weltanschauung durch einfache logische Schluszfolgerung her-
zuleiten. Es sind so mancherlei Systeme entstanden eines
sogenannten philosophischen oder natürlichen Statsrechtes,
welches sodann dem sogenannten positiven und historischen
Statsrechte entgegengesetzt wurde.

Ich verstehe den Gegensatz anders. Der Stat musz so-
wohl philosophisch begriffen als historisch erkannt werden:
und das allgemeine Statsrecht kann so wenig als das beson-
dere dieser zweiseitigen Arbeit entbehren.

Die besondere Statslehre setzt die allgemeine voraus, wie
die besondere Volksart die gemeinsame Menschennatur vor-
aussetzt. Die allgemeine Statswissenschaft stellt die Grund-

1 Derselbe Gedanke liegt der römischen Anschauungsweise zu
Grunde. L 9. (Gajus) D. de Justitia et Iure:"Omnes populi, qui legi-
bus et moribus reguntur, partim suo proprio partim communi omnium
hominum jure
utuntur. Nam quod quisque populus ipse sibi jus consti-
tuit, id ipsius proprium civitatis est, vocaturque jus civile; quod vero
naturalis ratio inter omnes homines constituit, id apud omnes peraeque
custoditur, vocaturque jus gentium, quasi quo jure omnes gentes utuntur."
Drittes Capitel. Allgemeine und besondere Statswissenschaft.
Drittes Capitel.
Allgemeine und besondere Statswissenschaft.

Die besondere Statswissenschaft beschränkt die Unter-
suchung und Darstellung des Stats auf ein bestimmtes Volk
und einen einzelnen Stat, z. B. die alte römische Republik,
die neuere englische Verfassung, das heutige deutsche Reich.

Die allgemeine Statswissenschaft dagegen beruht auf uni-
verseller
Auffassung nicht eines einzelnen, sondern des
States. Der besondere Stat geht von einem bestimmten
Volke
aus, der allgemeine sieht voraus auf die menschliche
Natur und von der Menschheit aus. 1

Man faszt die allgemeine Statslehre und insbesondere das
allgemeine Statsrecht sehr oft als das Product idealer Spe-
culation
auf und versucht dasselbe aus einer speculativen
Weltanschauung durch einfache logische Schluszfolgerung her-
zuleiten. Es sind so mancherlei Systeme entstanden eines
sogenannten philosophischen oder natürlichen Statsrechtes,
welches sodann dem sogenannten positiven und historischen
Statsrechte entgegengesetzt wurde.

Ich verstehe den Gegensatz anders. Der Stat musz so-
wohl philosophisch begriffen als historisch erkannt werden:
und das allgemeine Statsrecht kann so wenig als das beson-
dere dieser zweiseitigen Arbeit entbehren.

Die besondere Statslehre setzt die allgemeine voraus, wie
die besondere Volksart die gemeinsame Menschennatur vor-
aussetzt. Die allgemeine Statswissenschaft stellt die Grund-

1 Derselbe Gedanke liegt der römischen Anschauungsweise zu
Grunde. L 9. (Gajus) D. de Justitia et Iure:„Omnes populi, qui legi-
bus et moribus reguntur, partim suo proprio partim communi omnium
hominum jure
utuntur. Nam quod quisque populus ipse sibi jus consti-
tuit, id ipsius proprium civitatis est, vocaturque jus civile; quod vero
naturalis ratio inter omnes homines constituit, id apud omnes peraeque
custoditur, vocaturque jus gentium, quasi quo jure omnes gentes utuntur.“
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[11/0029] Drittes Capitel. Allgemeine und besondere Statswissenschaft. Drittes Capitel. Allgemeine und besondere Statswissenschaft. Die besondere Statswissenschaft beschränkt die Unter- suchung und Darstellung des Stats auf ein bestimmtes Volk und einen einzelnen Stat, z. B. die alte römische Republik, die neuere englische Verfassung, das heutige deutsche Reich. Die allgemeine Statswissenschaft dagegen beruht auf uni- verseller Auffassung nicht eines einzelnen, sondern des States. Der besondere Stat geht von einem bestimmten Volke aus, der allgemeine sieht voraus auf die menschliche Natur und von der Menschheit aus. 1 Man faszt die allgemeine Statslehre und insbesondere das allgemeine Statsrecht sehr oft als das Product idealer Spe- culation auf und versucht dasselbe aus einer speculativen Weltanschauung durch einfache logische Schluszfolgerung her- zuleiten. Es sind so mancherlei Systeme entstanden eines sogenannten philosophischen oder natürlichen Statsrechtes, welches sodann dem sogenannten positiven und historischen Statsrechte entgegengesetzt wurde. Ich verstehe den Gegensatz anders. Der Stat musz so- wohl philosophisch begriffen als historisch erkannt werden: und das allgemeine Statsrecht kann so wenig als das beson- dere dieser zweiseitigen Arbeit entbehren. Die besondere Statslehre setzt die allgemeine voraus, wie die besondere Volksart die gemeinsame Menschennatur vor- aussetzt. Die allgemeine Statswissenschaft stellt die Grund- 1 Derselbe Gedanke liegt der römischen Anschauungsweise zu Grunde. L 9. (Gajus) D. de Justitia et Iure:„Omnes populi, qui legi- bus et moribus reguntur, partim suo proprio partim communi omnium hominum jure utuntur. Nam quod quisque populus ipse sibi jus consti- tuit, id ipsius proprium civitatis est, vocaturque jus civile; quod vero naturalis ratio inter omnes homines constituit, id apud omnes peraeque custoditur, vocaturque jus gentium, quasi quo jure omnes gentes utuntur.“

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/29>, abgerufen am 28.03.2024.