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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Viertes Buch. Von der Entstehung und dem Untergang des States.
geschichte der Menschheit, als der von Anfang an ihr ein-
gepflanzte Keim zur Statenbildung sich entfaltete und zur Er-
scheinung kam.



Siebentes Capitel.
II. Der Stat als göttliche Institution.

In dem Alterthum sowohl als während des Mittelalters
war der Glaube an die göttliche Institution des States viel
verbreiteter und intensiver als in unserer Zeit. Auch damals
aber war in ganz verschiedenem Sinne von einer göttlichen
Begründung des States die Rede.

1. Nach der einen Vorstellung war der Stat das unmit-
telbare Werk
Gottes, die directe Offenbarung der
göttlichen Herrschaft auf Erden.

Diese Vorstellung lag der jüdischen Theokratie zu Grunde,
und die volle Consequenz derselben führt jederzeit zu der
theokratischen Statsform, zu welcher sie allein paszt.
Wenn Gott den Stat unmittelbar geschaffen hat, so ist es
natürlich, dasz er denselben unmittelbar erhalte und regiere.

2. Nach der andern Vorstellung dagegen ist der Stat
nur mittelbar von Gott gegründet, und wird auch nur
mittelbar von Gott geleitet. 1

Diese Ansicht wurde auch von den Griechen und Römern
getheilt, deren Statsformen keineswegs theokratisch waren,
sondern durch und durch einen menschlichen Charakter hatten.
Kein Statsgeschäft von irgend welcher Bedeutung wurde im

1 In diesem Sinne nun nennt Niebuhr (Gesch. d. Zeit der Revol.
I. 214.) den Stat "eine von Gott geordnete Institution, die zum Wesen
des Menschen nothwendig gehört, wie die Ehe und das väterliche Ver-
hältnisz. Diese Institution kann sich aber auf dieser Erde nicht voll-
kommen darstellen. Was wir in der Wirklichkeit vom State sehen, ist
nur ein Schatten der göttlichen Idee des States."

Viertes Buch. Von der Entstehung und dem Untergang des States.
geschichte der Menschheit, als der von Anfang an ihr ein-
gepflanzte Keim zur Statenbildung sich entfaltete und zur Er-
scheinung kam.



Siebentes Capitel.
II. Der Stat als göttliche Institution.

In dem Alterthum sowohl als während des Mittelalters
war der Glaube an die göttliche Institution des States viel
verbreiteter und intensiver als in unserer Zeit. Auch damals
aber war in ganz verschiedenem Sinne von einer göttlichen
Begründung des States die Rede.

1. Nach der einen Vorstellung war der Stat das unmit-
telbare Werk
Gottes, die directe Offenbarung der
göttlichen Herrschaft auf Erden.

Diese Vorstellung lag der jüdischen Theokratie zu Grunde,
und die volle Consequenz derselben führt jederzeit zu der
theokratischen Statsform, zu welcher sie allein paszt.
Wenn Gott den Stat unmittelbar geschaffen hat, so ist es
natürlich, dasz er denselben unmittelbar erhalte und regiere.

2. Nach der andern Vorstellung dagegen ist der Stat
nur mittelbar von Gott gegründet, und wird auch nur
mittelbar von Gott geleitet. 1

Diese Ansicht wurde auch von den Griechen und Römern
getheilt, deren Statsformen keineswegs theokratisch waren,
sondern durch und durch einen menschlichen Charakter hatten.
Kein Statsgeschäft von irgend welcher Bedeutung wurde im

1 In diesem Sinne nun nennt Niebuhr (Gesch. d. Zeit der Revol.
I. 214.) den Stat „eine von Gott geordnete Institution, die zum Wesen
des Menschen nothwendig gehört, wie die Ehe und das väterliche Ver-
hältnisz. Diese Institution kann sich aber auf dieser Erde nicht voll-
kommen darstellen. Was wir in der Wirklichkeit vom State sehen, ist
nur ein Schatten der göttlichen Idee des States.“
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[326/0344] Viertes Buch. Von der Entstehung und dem Untergang des States. geschichte der Menschheit, als der von Anfang an ihr ein- gepflanzte Keim zur Statenbildung sich entfaltete und zur Er- scheinung kam. Siebentes Capitel. II. Der Stat als göttliche Institution. In dem Alterthum sowohl als während des Mittelalters war der Glaube an die göttliche Institution des States viel verbreiteter und intensiver als in unserer Zeit. Auch damals aber war in ganz verschiedenem Sinne von einer göttlichen Begründung des States die Rede. 1. Nach der einen Vorstellung war der Stat das unmit- telbare Werk Gottes, die directe Offenbarung der göttlichen Herrschaft auf Erden. Diese Vorstellung lag der jüdischen Theokratie zu Grunde, und die volle Consequenz derselben führt jederzeit zu der theokratischen Statsform, zu welcher sie allein paszt. Wenn Gott den Stat unmittelbar geschaffen hat, so ist es natürlich, dasz er denselben unmittelbar erhalte und regiere. 2. Nach der andern Vorstellung dagegen ist der Stat nur mittelbar von Gott gegründet, und wird auch nur mittelbar von Gott geleitet. 1 Diese Ansicht wurde auch von den Griechen und Römern getheilt, deren Statsformen keineswegs theokratisch waren, sondern durch und durch einen menschlichen Charakter hatten. Kein Statsgeschäft von irgend welcher Bedeutung wurde im 1 In diesem Sinne nun nennt Niebuhr (Gesch. d. Zeit der Revol. I. 214.) den Stat „eine von Gott geordnete Institution, die zum Wesen des Menschen nothwendig gehört, wie die Ehe und das väterliche Ver- hältnisz. Diese Institution kann sich aber auf dieser Erde nicht voll- kommen darstellen. Was wir in der Wirklichkeit vom State sehen, ist nur ein Schatten der göttlichen Idee des States.“

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/344>, abgerufen am 19.04.2024.