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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Zwölftes Capitel. II. Monarch. Statsformen. E. Die Lehensmonarchie etc.
Zwölftes Capitel.
E. Die Lehensmonarchie und die ständische beschränkte Monarchie.

I. Lehensmonarchie.

Die fränkische Monarchie hatte zwar in ihrer organischen
Anlage alle Bedingungen einer wahren Monarchie in sich, und
insofern ist sie der Anfang einer neuen, der modernen Stats-
entwicklung. Allein die widerstrebenden Kräfte und Leiden-
schaften waren damals in der Nation noch so mächtig, und
die alten einer jeden starken Statsgewalt abgeneigten Gewohn-
heiten des Adels und der freien Germanen noch so fest, dasz
es nur ausnahmsweise einzelnen groszen Regenten gelang, den
öffentlichen Charakter des neuen Königthums und die darin
liegende Statsmacht groszartig zu entfalten. Saszen schwache
Individuen auf dem Throne, so wurde sofort die Ohnmacht
derselben spürbar und auf allen Seiten zeigten sich die Ten-
denzen zur Auflösung der Statseinheit, zur Beschränkung und
Nichtachtung der Centralgewalt, zu selbständig particulärer
Herrschaft in kleinen Kreisen.

Die Abschwächung und das Erlöschen der Karolinger
bezeichnet zugleich die Verdunkelung der königlichen Macht
und das Wachsthum der in den einzelnen Stämmen, Ländern
und Gebietstheilen sich erhebenden Fürsten- und Herren-
gewalt
. An die Stelle der früheren romano-germanischen
Weltmonarchie trat nun das Lehenskönigthum. In ihm
erlangte der Charakter des Mittelalters in Vorzügen und
Mängeln einen angemessenen politischen Ausdruck.

Die hervorragenden Eigenschaften der Feudalmon-
archie
sind:

1. Alles bisherige Königthum beruhte auf den Volks-
stämmen oder ganzen Nationen oder einem zur Einheit ver-
bundenen Volke. Man darf dasselbe wohl eine volksthüm-
liche
oder nationale Institution nennen. Das feudale

Zwölftes Capitel. II. Monarch. Statsformen. E. Die Lehensmonarchie etc.
Zwölftes Capitel.
E. Die Lehensmonarchie und die ständische beschränkte Monarchie.

I. Lehensmonarchie.

Die fränkische Monarchie hatte zwar in ihrer organischen
Anlage alle Bedingungen einer wahren Monarchie in sich, und
insofern ist sie der Anfang einer neuen, der modernen Stats-
entwicklung. Allein die widerstrebenden Kräfte und Leiden-
schaften waren damals in der Nation noch so mächtig, und
die alten einer jeden starken Statsgewalt abgeneigten Gewohn-
heiten des Adels und der freien Germanen noch so fest, dasz
es nur ausnahmsweise einzelnen groszen Regenten gelang, den
öffentlichen Charakter des neuen Königthums und die darin
liegende Statsmacht groszartig zu entfalten. Saszen schwache
Individuen auf dem Throne, so wurde sofort die Ohnmacht
derselben spürbar und auf allen Seiten zeigten sich die Ten-
denzen zur Auflösung der Statseinheit, zur Beschränkung und
Nichtachtung der Centralgewalt, zu selbständig particulärer
Herrschaft in kleinen Kreisen.

Die Abschwächung und das Erlöschen der Karolinger
bezeichnet zugleich die Verdunkelung der königlichen Macht
und das Wachsthum der in den einzelnen Stämmen, Ländern
und Gebietstheilen sich erhebenden Fürsten- und Herren-
gewalt
. An die Stelle der früheren romano-germanischen
Weltmonarchie trat nun das Lehenskönigthum. In ihm
erlangte der Charakter des Mittelalters in Vorzügen und
Mängeln einen angemessenen politischen Ausdruck.

Die hervorragenden Eigenschaften der Feudalmon-
archie
sind:

1. Alles bisherige Königthum beruhte auf den Volks-
stämmen oder ganzen Nationen oder einem zur Einheit ver-
bundenen Volke. Man darf dasselbe wohl eine volksthüm-
liche
oder nationale Institution nennen. Das feudale

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[429/0447] Zwölftes Capitel. II. Monarch. Statsformen. E. Die Lehensmonarchie etc. Zwölftes Capitel. E. Die Lehensmonarchie und die ständische beschränkte Monarchie. I. Lehensmonarchie. Die fränkische Monarchie hatte zwar in ihrer organischen Anlage alle Bedingungen einer wahren Monarchie in sich, und insofern ist sie der Anfang einer neuen, der modernen Stats- entwicklung. Allein die widerstrebenden Kräfte und Leiden- schaften waren damals in der Nation noch so mächtig, und die alten einer jeden starken Statsgewalt abgeneigten Gewohn- heiten des Adels und der freien Germanen noch so fest, dasz es nur ausnahmsweise einzelnen groszen Regenten gelang, den öffentlichen Charakter des neuen Königthums und die darin liegende Statsmacht groszartig zu entfalten. Saszen schwache Individuen auf dem Throne, so wurde sofort die Ohnmacht derselben spürbar und auf allen Seiten zeigten sich die Ten- denzen zur Auflösung der Statseinheit, zur Beschränkung und Nichtachtung der Centralgewalt, zu selbständig particulärer Herrschaft in kleinen Kreisen. Die Abschwächung und das Erlöschen der Karolinger bezeichnet zugleich die Verdunkelung der königlichen Macht und das Wachsthum der in den einzelnen Stämmen, Ländern und Gebietstheilen sich erhebenden Fürsten- und Herren- gewalt. An die Stelle der früheren romano-germanischen Weltmonarchie trat nun das Lehenskönigthum. In ihm erlangte der Charakter des Mittelalters in Vorzügen und Mängeln einen angemessenen politischen Ausdruck. Die hervorragenden Eigenschaften der Feudalmon- archie sind: 1. Alles bisherige Königthum beruhte auf den Volks- stämmen oder ganzen Nationen oder einem zur Einheit ver- bundenen Volke. Man darf dasselbe wohl eine volksthüm- liche oder nationale Institution nennen. Das feudale

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 429. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/447>, abgerufen am 20.04.2024.