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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Viertes Capitel. II. Die Fürstensouveränetät.
sammlung von 1789 gewöhnlich nicht das Princip der Statssouveränetät,
sondern das der Volkssouveränetät im Rousseau'schen Sinne zu dem
Grundgedanken ihrer Politik erhoben. Rousseau selber geht indessen
noch weiter, indem er keiner repräsentativen Versammlung die volle
Souveränetät beilegt, sondern den Volksmassen verstattet, in jedem Mo-
ment auch diese ihrem Willen zu unterwerfen und durch unmittelbare
Acte einzugreifen. Auch die Consequenz seiner Doctrin ist jedesmal in
roher Gestalt neben und auszer jenen constituirenden Versammlungen,
dem rothen Schweife der Kometen ähnlich, an dem politischen Horizonte
sichtbar geworden, oft zum Schrecken jener "souveränen" Körper selbst,
welche die chaotischen Massen um sie her entzündet hatten.



Viertes Capitel.
II. Die Fürstensouveränetät.

Die zweite dem Statsoberhaupte für sich allein zu-
kommende Souveränetät findet sich in dem modernen Stats-
rechte nur noch in der Monarchie anerkannt. Nur der
Monarch, nicht auch der Präsident der Republik, obwohl auch
dieser Souveränetätsrechte ausübt, hat nach demselben einen
persönlichen Anspruch, als Souverän geachtet zu werden.

Das alte Statsrecht der römischen Republik ging
weiter. Auch den Consuln, die sich in die alte königliche
Gewalt getheilt hatten, und später auch dem Senate wurde
"Majestät" zugeschrieben. Die neueren Republiken aber
sind eifersüchtiger auf die ausschlieszliche Volkshoheit, und
betrachten die republikanischen Häupter der Statsregierung
lediglich als Mandatare des souveränen Volkes, auf welche
die demselben innewohnende Majestät nicht zu selbständigem
Rechte übertragen sei. 1


1 Rousseau (Contr. soc. II. 2) begründet die Unzulässigkeit einer
Regentensouveränetät überdem damit, dasz der "allgemeine Wille"
nur dem ganzen Volk zustehen könne; ein Theil des Volkes dagegen
könne nur einen besonderen Willen äuszern, nur jenes daher Gesetze,

Viertes Capitel. II. Die Fürstensouveränetät.
sammlung von 1789 gewöhnlich nicht das Princip der Statssouveränetät,
sondern das der Volkssouveränetät im Rousseau'schen Sinne zu dem
Grundgedanken ihrer Politik erhoben. Rousseau selber geht indessen
noch weiter, indem er keiner repräsentativen Versammlung die volle
Souveränetät beilegt, sondern den Volksmassen verstattet, in jedem Mo-
ment auch diese ihrem Willen zu unterwerfen und durch unmittelbare
Acte einzugreifen. Auch die Consequenz seiner Doctrin ist jedesmal in
roher Gestalt neben und auszer jenen constituirenden Versammlungen,
dem rothen Schweife der Kometen ähnlich, an dem politischen Horizonte
sichtbar geworden, oft zum Schrecken jener „souveränen“ Körper selbst,
welche die chaotischen Massen um sie her entzündet hatten.



Viertes Capitel.
II. Die Fürstensouveränetät.

Die zweite dem Statsoberhaupte für sich allein zu-
kommende Souveränetät findet sich in dem modernen Stats-
rechte nur noch in der Monarchie anerkannt. Nur der
Monarch, nicht auch der Präsident der Republik, obwohl auch
dieser Souveränetätsrechte ausübt, hat nach demselben einen
persönlichen Anspruch, als Souverän geachtet zu werden.

Das alte Statsrecht der römischen Republik ging
weiter. Auch den Consuln, die sich in die alte königliche
Gewalt getheilt hatten, und später auch dem Senate wurde
Majestät“ zugeschrieben. Die neueren Republiken aber
sind eifersüchtiger auf die ausschlieszliche Volkshoheit, und
betrachten die republikanischen Häupter der Statsregierung
lediglich als Mandatare des souveränen Volkes, auf welche
die demselben innewohnende Majestät nicht zu selbständigem
Rechte übertragen sei. 1


1 Rousseau (Contr. soc. II. 2) begründet die Unzulässigkeit einer
Regentensouveränetät überdem damit, dasz der „allgemeine Wille“
nur dem ganzen Volk zustehen könne; ein Theil des Volkes dagegen
könne nur einen besonderen Willen äuszern, nur jenes daher Gesetze,
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[581/0599] Viertes Capitel. II. Die Fürstensouveränetät. sammlung von 1789 gewöhnlich nicht das Princip der Statssouveränetät, sondern das der Volkssouveränetät im Rousseau'schen Sinne zu dem Grundgedanken ihrer Politik erhoben. Rousseau selber geht indessen noch weiter, indem er keiner repräsentativen Versammlung die volle Souveränetät beilegt, sondern den Volksmassen verstattet, in jedem Mo- ment auch diese ihrem Willen zu unterwerfen und durch unmittelbare Acte einzugreifen. Auch die Consequenz seiner Doctrin ist jedesmal in roher Gestalt neben und auszer jenen constituirenden Versammlungen, dem rothen Schweife der Kometen ähnlich, an dem politischen Horizonte sichtbar geworden, oft zum Schrecken jener „souveränen“ Körper selbst, welche die chaotischen Massen um sie her entzündet hatten. Viertes Capitel. II. Die Fürstensouveränetät. Die zweite dem Statsoberhaupte für sich allein zu- kommende Souveränetät findet sich in dem modernen Stats- rechte nur noch in der Monarchie anerkannt. Nur der Monarch, nicht auch der Präsident der Republik, obwohl auch dieser Souveränetätsrechte ausübt, hat nach demselben einen persönlichen Anspruch, als Souverän geachtet zu werden. Das alte Statsrecht der römischen Republik ging weiter. Auch den Consuln, die sich in die alte königliche Gewalt getheilt hatten, und später auch dem Senate wurde „Majestät“ zugeschrieben. Die neueren Republiken aber sind eifersüchtiger auf die ausschlieszliche Volkshoheit, und betrachten die republikanischen Häupter der Statsregierung lediglich als Mandatare des souveränen Volkes, auf welche die demselben innewohnende Majestät nicht zu selbständigem Rechte übertragen sei. 1 1 Rousseau (Contr. soc. II. 2) begründet die Unzulässigkeit einer Regentensouveränetät überdem damit, dasz der „allgemeine Wille“ nur dem ganzen Volk zustehen könne; ein Theil des Volkes dagegen könne nur einen besonderen Willen äuszern, nur jenes daher Gesetze,

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 581. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/599>, abgerufen am 29.03.2024.