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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Erstes Buch. Der Statsbegriff.
und antiker Tendenzen bleibt doch auf einen verhältnisz-
mäszig engen Kreis von höher Gebildeten beschränkt. Die
Massen haben dafür kein Verständnisz und keine Empfäng-
lichkeit. Die ganze Einwirkung der Renaissance auf den Stat
ist nur eine theilweise und sie geht bald wieder vorüber.
Sie hilft mit den mittelalterlichen Stat auflösen und den
modernen Stat vorbereiten, aber sie bringt für sich keinen
neuen Stat hervor.



Fünftes Capitel.
III. Die moderne Statsidee.
1. Wann beginnt das moderne Weltalter?

Das heutige geschichtliche Bewusztsein der europäisch-
amerikanischen Menschheit ist einig in der Annahme eines
viele Jahrhunderte umfassenden Lebensalters der Menschheit,
welches wir das Mittelalter nennen; ebenso in der Wahr-
nehmung, dass wir gegenwärtig in einem neuen Weltalter
leben. Aber noch sind die Meinungen getheilt über den Zeit-
punkt, in welchem sich die Neuzeit von dem Mittelalter ent-
schieden abhebt. Wir wissen längst, dasz die Vergangenheit
mit der Zukunft verbunden bleibt. Die Ahnungen und die
ersten Triebe der kommenden Zeiten regen sich schon lange
zuvor in den früheren Zeiten und unzählige Nachwirkungen
vergangener Tage werden forterhalten in der veränderten
Altersperiode. Mitten im Mittelalter sprachen einzelne Geister
Gedanken aus, die erst in unserm Jahrhundert verstanden
werden und in den heutigen Zuständen noch sehen wir
manche Ueberreste der mittelalterlichen Bildung und zwar nicht
blosz in Klöstern und auf adelichen Schlössern sorgfältig erhalten.
Dieser Zusammenhang, der jeden scharfen Schnitt zwischen
Altem und Neuem wie eine unsinnige Verwundung empfindet.

Erstes Buch. Der Statsbegriff.
und antiker Tendenzen bleibt doch auf einen verhältnisz-
mäszig engen Kreis von höher Gebildeten beschränkt. Die
Massen haben dafür kein Verständnisz und keine Empfäng-
lichkeit. Die ganze Einwirkung der Renaissance auf den Stat
ist nur eine theilweise und sie geht bald wieder vorüber.
Sie hilft mit den mittelalterlichen Stat auflösen und den
modernen Stat vorbereiten, aber sie bringt für sich keinen
neuen Stat hervor.



Fünftes Capitel.
III. Die moderne Statsidee.
1. Wann beginnt das moderne Weltalter?

Das heutige geschichtliche Bewusztsein der europäisch-
amerikanischen Menschheit ist einig in der Annahme eines
viele Jahrhunderte umfassenden Lebensalters der Menschheit,
welches wir das Mittelalter nennen; ebenso in der Wahr-
nehmung, dass wir gegenwärtig in einem neuen Weltalter
leben. Aber noch sind die Meinungen getheilt über den Zeit-
punkt, in welchem sich die Neuzeit von dem Mittelalter ent-
schieden abhebt. Wir wissen längst, dasz die Vergangenheit
mit der Zukunft verbunden bleibt. Die Ahnungen und die
ersten Triebe der kommenden Zeiten regen sich schon lange
zuvor in den früheren Zeiten und unzählige Nachwirkungen
vergangener Tage werden forterhalten in der veränderten
Altersperiode. Mitten im Mittelalter sprachen einzelne Geister
Gedanken aus, die erst in unserm Jahrhundert verstanden
werden und in den heutigen Zuständen noch sehen wir
manche Ueberreste der mittelalterlichen Bildung und zwar nicht
blosz in Klöstern und auf adelichen Schlössern sorgfältig erhalten.
Dieser Zusammenhang, der jeden scharfen Schnitt zwischen
Altem und Neuem wie eine unsinnige Verwundung empfindet.

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[52/0070] Erstes Buch. Der Statsbegriff. und antiker Tendenzen bleibt doch auf einen verhältnisz- mäszig engen Kreis von höher Gebildeten beschränkt. Die Massen haben dafür kein Verständnisz und keine Empfäng- lichkeit. Die ganze Einwirkung der Renaissance auf den Stat ist nur eine theilweise und sie geht bald wieder vorüber. Sie hilft mit den mittelalterlichen Stat auflösen und den modernen Stat vorbereiten, aber sie bringt für sich keinen neuen Stat hervor. Fünftes Capitel. III. Die moderne Statsidee. 1. Wann beginnt das moderne Weltalter? Das heutige geschichtliche Bewusztsein der europäisch- amerikanischen Menschheit ist einig in der Annahme eines viele Jahrhunderte umfassenden Lebensalters der Menschheit, welches wir das Mittelalter nennen; ebenso in der Wahr- nehmung, dass wir gegenwärtig in einem neuen Weltalter leben. Aber noch sind die Meinungen getheilt über den Zeit- punkt, in welchem sich die Neuzeit von dem Mittelalter ent- schieden abhebt. Wir wissen längst, dasz die Vergangenheit mit der Zukunft verbunden bleibt. Die Ahnungen und die ersten Triebe der kommenden Zeiten regen sich schon lange zuvor in den früheren Zeiten und unzählige Nachwirkungen vergangener Tage werden forterhalten in der veränderten Altersperiode. Mitten im Mittelalter sprachen einzelne Geister Gedanken aus, die erst in unserm Jahrhundert verstanden werden und in den heutigen Zuständen noch sehen wir manche Ueberreste der mittelalterlichen Bildung und zwar nicht blosz in Klöstern und auf adelichen Schlössern sorgfältig erhalten. Dieser Zusammenhang, der jeden scharfen Schnitt zwischen Altem und Neuem wie eine unsinnige Verwundung empfindet.

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/70>, abgerufen am 25.04.2024.