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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Erstes Capitel. Statsbegriff u. Statsidee. Der allgemeine Statsbegriff.
Glück desselben zu fördern, ist überall als eine der ehren-
vollsten Aufgaben der begabten Männer angesehen worden.
An den Freuden und Leiden des States haben jederzeit alle
Bürger desselben Antheil genommen. Die ganze grosze Idee
des Vaterlandes und die Liebe zum Vaterlande wäre undenk-
bar, wenn dem State nicht diese hohe sittlich-persönliche Natur
zukäme.

Die Anerkennung der Persönlichkeit des States ist
denn auch für das Statsrecht nicht weniger unerläszlich als
für das Völkerrecht.

Person im rechtlichen Sinn ist ein Wesen, dem wir einen
Rechtswillen zuschreiben, welches Rechte erwerben, schaffen,
haben kann. Auf dem Gebiete des öffentlichen Rechts ist
dieser Begriff ebenso bedeutsam, wie auf dem Gebiete des
Privatrechts. Doch ist der Stat die öffentlich-rechtliche
Person
im höchsten Sinne. Die ganze Statsverfassung ist
dazu eingerichtet, dasz die Person des Stats ihren Stats-
willen
, der verschieden ist von dem Individualwillen
aller Einzelnen und etwas anderes ist als die Summe der
Einzelwillen, einheitlich gestalten und bethätigen kann.

Allerdings ist die Persönlichkeit des States nur von freien
Völkern erkannt und nur in dem civilisirten Volksstat zur
vollen Wirksamkeit gelangt. Auf den Vorstufen der Staten-
bildung stellt sich noch der Fürst vor, er allein sei Person
und der Stat lediglich der Bereich seiner persönlichen Herr-
schaft.

7. Aehnlich verhält es sich mit der männlichen Eigen-
schaft des modernen States, welche erst im Gegensatze zu der
weiblichen Kirche erkannt worden ist. Es kann eine religiöse
Gemeinschaft alle andern Merkmale einer Statsgemeinschaft
an sich tragen; dennoch will sie nicht Stat sein und ist nicht
Stat, eben weil sie nicht in selbsbewuszter Weise sich männ-
lich selber beherrscht und im äuszern Leben frei bethätigt,
sondern nur Gott dienen und ihre religiösen Pflichten üben will.


Erstes Capitel. Statsbegriff u. Statsidee. Der allgemeine Statsbegriff.
Glück desselben zu fördern, ist überall als eine der ehren-
vollsten Aufgaben der begabten Männer angesehen worden.
An den Freuden und Leiden des States haben jederzeit alle
Bürger desselben Antheil genommen. Die ganze grosze Idee
des Vaterlandes und die Liebe zum Vaterlande wäre undenk-
bar, wenn dem State nicht diese hohe sittlich-persönliche Natur
zukäme.

Die Anerkennung der Persönlichkeit des States ist
denn auch für das Statsrecht nicht weniger unerläszlich als
für das Völkerrecht.

Person im rechtlichen Sinn ist ein Wesen, dem wir einen
Rechtswillen zuschreiben, welches Rechte erwerben, schaffen,
haben kann. Auf dem Gebiete des öffentlichen Rechts ist
dieser Begriff ebenso bedeutsam, wie auf dem Gebiete des
Privatrechts. Doch ist der Stat die öffentlich-rechtliche
Person
im höchsten Sinne. Die ganze Statsverfassung ist
dazu eingerichtet, dasz die Person des Stats ihren Stats-
willen
, der verschieden ist von dem Individualwillen
aller Einzelnen und etwas anderes ist als die Summe der
Einzelwillen, einheitlich gestalten und bethätigen kann.

Allerdings ist die Persönlichkeit des States nur von freien
Völkern erkannt und nur in dem civilisirten Volksstat zur
vollen Wirksamkeit gelangt. Auf den Vorstufen der Staten-
bildung stellt sich noch der Fürst vor, er allein sei Person
und der Stat lediglich der Bereich seiner persönlichen Herr-
schaft.

7. Aehnlich verhält es sich mit der männlichen Eigen-
schaft des modernen States, welche erst im Gegensatze zu der
weiblichen Kirche erkannt worden ist. Es kann eine religiöse
Gemeinschaft alle andern Merkmale einer Statsgemeinschaft
an sich tragen; dennoch will sie nicht Stat sein und ist nicht
Stat, eben weil sie nicht in selbsbewuszter Weise sich männ-
lich selber beherrscht und im äuszern Leben frei bethätigt,
sondern nur Gott dienen und ihre religiösen Pflichten üben will.


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[23/0041] Erstes Capitel. Statsbegriff u. Statsidee. Der allgemeine Statsbegriff. Glück desselben zu fördern, ist überall als eine der ehren- vollsten Aufgaben der begabten Männer angesehen worden. An den Freuden und Leiden des States haben jederzeit alle Bürger desselben Antheil genommen. Die ganze grosze Idee des Vaterlandes und die Liebe zum Vaterlande wäre undenk- bar, wenn dem State nicht diese hohe sittlich-persönliche Natur zukäme. Die Anerkennung der Persönlichkeit des States ist denn auch für das Statsrecht nicht weniger unerläszlich als für das Völkerrecht. Person im rechtlichen Sinn ist ein Wesen, dem wir einen Rechtswillen zuschreiben, welches Rechte erwerben, schaffen, haben kann. Auf dem Gebiete des öffentlichen Rechts ist dieser Begriff ebenso bedeutsam, wie auf dem Gebiete des Privatrechts. Doch ist der Stat die öffentlich-rechtliche Person im höchsten Sinne. Die ganze Statsverfassung ist dazu eingerichtet, dasz die Person des Stats ihren Stats- willen, der verschieden ist von dem Individualwillen aller Einzelnen und etwas anderes ist als die Summe der Einzelwillen, einheitlich gestalten und bethätigen kann. Allerdings ist die Persönlichkeit des States nur von freien Völkern erkannt und nur in dem civilisirten Volksstat zur vollen Wirksamkeit gelangt. Auf den Vorstufen der Staten- bildung stellt sich noch der Fürst vor, er allein sei Person und der Stat lediglich der Bereich seiner persönlichen Herr- schaft. 7. Aehnlich verhält es sich mit der männlichen Eigen- schaft des modernen States, welche erst im Gegensatze zu der weiblichen Kirche erkannt worden ist. Es kann eine religiöse Gemeinschaft alle andern Merkmale einer Statsgemeinschaft an sich tragen; dennoch will sie nicht Stat sein und ist nicht Stat, eben weil sie nicht in selbsbewuszter Weise sich männ- lich selber beherrscht und im äuszern Leben frei bethätigt, sondern nur Gott dienen und ihre religiösen Pflichten üben will.

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/41>, abgerufen am 29.03.2024.