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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Sechstes Buch. Die Statsformen.
seiner Allgewalt verantwortlich sei, aber er ist nicht be-
schränkt durch die Rechte seiner Unterthanen. Vor ihm gibt
es kein anderes Recht, als was er aus Willkür und Gnade
zuläszt.

Diese Despotie musz, um sich selbst auch nur einiger-
maszen zu erklären, auf die göttliche Allmacht sich berufen.
Der Despote musz als Stellvertreter Gottes und als Inhaber
der göttlichen und deszhalb unbegrenzten Gewalt verehrt wer-
den. Darin liegt die nähere Beziehung zur Theokratie, an
deren Gebrechen auch die Despotie leidet, auch wenn sie im
übrigen zugesteht, dasz der Despot ein Mensch sei. Die
mohammedanischen Staten des Mittelalters haben alle einen
solchen Zug zur Despotie: und erst in unserer Zeit fangen
sie an, sich der europäisch-humanen Monarchie entschiedener
anzunähern.

II. Wir können die Despotie als eine barbarische Form
der Monarchie bezeichnen. Die höheren arischen Völker
haben sie schon in der Vorzeit als ihrer unwürdig verworfen.
Sie haben alle auszer den Rechten der Fürsten und Könige
auch Rechte der Stände und der Privatpersonen behauptet
und sich als Freie, nicht als Sclaven gefühlt. Wo die Ueber-
macht des Monarchen unter ihnen zuweilen der Despotie ähn-
lich überspannt wurde, da empfanden die arischen Völker das
immer als ein Unrecht, und bei günstiger Gelegenheit traten
sie dem Despoten entgegen und nöthigten ihn, auch die Rechte
der Unterthanen anzuerkennen. Die civilisirte Monarchie
ist daher immer eine durch die gemeinsame Rechts-
ordnung bedingte und beschränkte
. Die Stellung des
Monarchen wird dadurch nicht erniedrigt, sondern erhöht,
und seine Macht nicht geschwächt, sondern verstärkt, denn
es ist edler, einem freien Volke, als einer knechtischen Menge
vorzustehen und die politischen Kräfte jener zusammenzu-
fassen und zu leiten, als den stumpfen Gehorsam dieser zu
lenken. Je mehr in einem State die Einheit und Energie des

Sechstes Buch. Die Statsformen.
seiner Allgewalt verantwortlich sei, aber er ist nicht be-
schränkt durch die Rechte seiner Unterthanen. Vor ihm gibt
es kein anderes Recht, als was er aus Willkür und Gnade
zuläszt.

Diese Despotie musz, um sich selbst auch nur einiger-
maszen zu erklären, auf die göttliche Allmacht sich berufen.
Der Despote musz als Stellvertreter Gottes und als Inhaber
der göttlichen und deszhalb unbegrenzten Gewalt verehrt wer-
den. Darin liegt die nähere Beziehung zur Theokratie, an
deren Gebrechen auch die Despotie leidet, auch wenn sie im
übrigen zugesteht, dasz der Despot ein Mensch sei. Die
mohammedanischen Staten des Mittelalters haben alle einen
solchen Zug zur Despotie: und erst in unserer Zeit fangen
sie an, sich der europäisch-humanen Monarchie entschiedener
anzunähern.

II. Wir können die Despotie als eine barbarische Form
der Monarchie bezeichnen. Die höheren arischen Völker
haben sie schon in der Vorzeit als ihrer unwürdig verworfen.
Sie haben alle auszer den Rechten der Fürsten und Könige
auch Rechte der Stände und der Privatpersonen behauptet
und sich als Freie, nicht als Sclaven gefühlt. Wo die Ueber-
macht des Monarchen unter ihnen zuweilen der Despotie ähn-
lich überspannt wurde, da empfanden die arischen Völker das
immer als ein Unrecht, und bei günstiger Gelegenheit traten
sie dem Despoten entgegen und nöthigten ihn, auch die Rechte
der Unterthanen anzuerkennen. Die civilisirte Monarchie
ist daher immer eine durch die gemeinsame Rechts-
ordnung bedingte und beschränkte
. Die Stellung des
Monarchen wird dadurch nicht erniedrigt, sondern erhöht,
und seine Macht nicht geschwächt, sondern verstärkt, denn
es ist edler, einem freien Volke, als einer knechtischen Menge
vorzustehen und die politischen Kräfte jener zusammenzu-
fassen und zu leiten, als den stumpfen Gehorsam dieser zu
lenken. Je mehr in einem State die Einheit und Energie des

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[400/0418] Sechstes Buch. Die Statsformen. seiner Allgewalt verantwortlich sei, aber er ist nicht be- schränkt durch die Rechte seiner Unterthanen. Vor ihm gibt es kein anderes Recht, als was er aus Willkür und Gnade zuläszt. Diese Despotie musz, um sich selbst auch nur einiger- maszen zu erklären, auf die göttliche Allmacht sich berufen. Der Despote musz als Stellvertreter Gottes und als Inhaber der göttlichen und deszhalb unbegrenzten Gewalt verehrt wer- den. Darin liegt die nähere Beziehung zur Theokratie, an deren Gebrechen auch die Despotie leidet, auch wenn sie im übrigen zugesteht, dasz der Despot ein Mensch sei. Die mohammedanischen Staten des Mittelalters haben alle einen solchen Zug zur Despotie: und erst in unserer Zeit fangen sie an, sich der europäisch-humanen Monarchie entschiedener anzunähern. II. Wir können die Despotie als eine barbarische Form der Monarchie bezeichnen. Die höheren arischen Völker haben sie schon in der Vorzeit als ihrer unwürdig verworfen. Sie haben alle auszer den Rechten der Fürsten und Könige auch Rechte der Stände und der Privatpersonen behauptet und sich als Freie, nicht als Sclaven gefühlt. Wo die Ueber- macht des Monarchen unter ihnen zuweilen der Despotie ähn- lich überspannt wurde, da empfanden die arischen Völker das immer als ein Unrecht, und bei günstiger Gelegenheit traten sie dem Despoten entgegen und nöthigten ihn, auch die Rechte der Unterthanen anzuerkennen. Die civilisirte Monarchie ist daher immer eine durch die gemeinsame Rechts- ordnung bedingte und beschränkte. Die Stellung des Monarchen wird dadurch nicht erniedrigt, sondern erhöht, und seine Macht nicht geschwächt, sondern verstärkt, denn es ist edler, einem freien Volke, als einer knechtischen Menge vorzustehen und die politischen Kräfte jener zusammenzu- fassen und zu leiten, als den stumpfen Gehorsam dieser zu lenken. Je mehr in einem State die Einheit und Energie des

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 400. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/418>, abgerufen am 19.04.2024.