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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Völkerrechtliche Organe.

Mit einem entthronten Fürsten können keine den Stat verbindliche
Verträge abgeschlossen werden.

Das nicht mehr wirkliche Statshaupt, außer Stande zu regieren, kann eben
deßhalb den Stat auch nicht repräsentiren. Jakob II. konnte nach seiner Flucht
und nachdem das Parlament seine Absetzung in Form der angenommenen Abdankung
erklärt hatte, nicht mehr England vertreten, noch die Bourbonen Frankreich wäh-
rend ihres Exils. Dasselbe gilt von den vertriebenen italienischen und deutschen
Fürsten dieser Tage. Selbst wenn man annimmt, daß das Recht solcher entthronten
Fürsten noch nicht erloschen und je nach Umständen wieder herzustellen sei, so muß
doch, so lange dieses Recht nicht ausgeübt werden kann, auch die daraus abgeleitete
Repräsentation ruhen. Die Zumuthung an ein Volk, daß es durch einen Fürsten
sich verpflichten lasse, der keine Macht mehr über dasselbe besitzt und außer Stande
ist, für den Vollzug seiner Zusagen zu sorgen, ist ungereimt.

119.

Daraus, daß ein Stat mit dem thatsächlichen Haupte eines States
in regelmäßigen Verkehr tritt, folgt nicht, daß er die Rechtmäßigkeit seiner
Erhebung, wohl aber, daß er die rechtliche Wirksamkeit seiner gegenwär-
tigen Statsstellung anerkenne.

Vgl. zu § 117. Es ist daher möglich, obwohl nicht zweckmäßig, daß ein
Stat, wenn er eine neue Regierung anerkennt, zugleich seine Meinung über den
revolutionären Anfang der neuen Gewalt ausspricht, wie das im Jahr 1861 in
einer Preußischen Note an das neue Königreich Italien geschehen ist.

120.

Die Legitimität oder Illegitimität des Ursprungs einer Statsregierung
ist eine Rechtsfrage, voraus des Stats-, erst in zweiter Linie des Völker-
rechts. Auch eine ursprünglich durch Rechtsbruch erhobene Regierung kann
aber rechtmäßig werden, wenn sie im State dauernden Bestand gewinnt
und allgemeine Anerkennung findet.

Im Gegensatz zu dieser Wahrheit hatte die Legitimitätspolitik der Congresse
von Laibach und Verona es für eine Aufgabe der europäischen Völkerfamilie erklärt
überall einzuschreiten, wo in einem State der Geist der Revolution sich rege und die
legitimen Fürsten in ihrem Besitze der Gewalt auch wider die Völker zu schützen und
wiederherzustellen. Am klarsten spricht die damalige Tendenz die Circulardepesche
des Fürsten von Metternich aus, datirt Laibach 12. Mai 1821. Es heißt
darin: "Les Souverains allies n'out pu meconnaeitre, qu'il il n'y avait qu'une
barriere a opposer a ce torrent devastateur" (-- de la conjuration impie,

Völkerrechtliche Organe.

Mit einem entthronten Fürſten können keine den Stat verbindliche
Verträge abgeſchloſſen werden.

Das nicht mehr wirkliche Statshaupt, außer Stande zu regieren, kann eben
deßhalb den Stat auch nicht repräſentiren. Jakob II. konnte nach ſeiner Flucht
und nachdem das Parlament ſeine Abſetzung in Form der angenommenen Abdankung
erklärt hatte, nicht mehr England vertreten, noch die Bourbonen Frankreich wäh-
rend ihres Exils. Dasſelbe gilt von den vertriebenen italieniſchen und deutſchen
Fürſten dieſer Tage. Selbſt wenn man annimmt, daß das Recht ſolcher entthronten
Fürſten noch nicht erloſchen und je nach Umſtänden wieder herzuſtellen ſei, ſo muß
doch, ſo lange dieſes Recht nicht ausgeübt werden kann, auch die daraus abgeleitete
Repräſentation ruhen. Die Zumuthung an ein Volk, daß es durch einen Fürſten
ſich verpflichten laſſe, der keine Macht mehr über dasſelbe beſitzt und außer Stande
iſt, für den Vollzug ſeiner Zuſagen zu ſorgen, iſt ungereimt.

119.

Daraus, daß ein Stat mit dem thatſächlichen Haupte eines States
in regelmäßigen Verkehr tritt, folgt nicht, daß er die Rechtmäßigkeit ſeiner
Erhebung, wohl aber, daß er die rechtliche Wirkſamkeit ſeiner gegenwär-
tigen Statsſtellung anerkenne.

Vgl. zu § 117. Es iſt daher möglich, obwohl nicht zweckmäßig, daß ein
Stat, wenn er eine neue Regierung anerkennt, zugleich ſeine Meinung über den
revolutionären Anfang der neuen Gewalt ausſpricht, wie das im Jahr 1861 in
einer Preußiſchen Note an das neue Königreich Italien geſchehen iſt.

120.

Die Legitimität oder Illegitimität des Urſprungs einer Statsregierung
iſt eine Rechtsfrage, voraus des Stats-, erſt in zweiter Linie des Völker-
rechts. Auch eine urſprünglich durch Rechtsbruch erhobene Regierung kann
aber rechtmäßig werden, wenn ſie im State dauernden Beſtand gewinnt
und allgemeine Anerkennung findet.

Im Gegenſatz zu dieſer Wahrheit hatte die Legitimitätspolitik der Congreſſe
von Laibach und Verona es für eine Aufgabe der europäiſchen Völkerfamilie erklärt
überall einzuſchreiten, wo in einem State der Geiſt der Revolution ſich rege und die
legitimen Fürſten in ihrem Beſitze der Gewalt auch wider die Völker zu ſchützen und
wiederherzuſtellen. Am klarſten ſpricht die damalige Tendenz die Circulardepeſche
des Fürſten von Metternich aus, datirt Laibach 12. Mai 1821. Es heißt
darin: „Les Souverains alliés n’out pu méconnaître, qu’il il n’y avait qu’une
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[109/0131] Völkerrechtliche Organe. Mit einem entthronten Fürſten können keine den Stat verbindliche Verträge abgeſchloſſen werden. Das nicht mehr wirkliche Statshaupt, außer Stande zu regieren, kann eben deßhalb den Stat auch nicht repräſentiren. Jakob II. konnte nach ſeiner Flucht und nachdem das Parlament ſeine Abſetzung in Form der angenommenen Abdankung erklärt hatte, nicht mehr England vertreten, noch die Bourbonen Frankreich wäh- rend ihres Exils. Dasſelbe gilt von den vertriebenen italieniſchen und deutſchen Fürſten dieſer Tage. Selbſt wenn man annimmt, daß das Recht ſolcher entthronten Fürſten noch nicht erloſchen und je nach Umſtänden wieder herzuſtellen ſei, ſo muß doch, ſo lange dieſes Recht nicht ausgeübt werden kann, auch die daraus abgeleitete Repräſentation ruhen. Die Zumuthung an ein Volk, daß es durch einen Fürſten ſich verpflichten laſſe, der keine Macht mehr über dasſelbe beſitzt und außer Stande iſt, für den Vollzug ſeiner Zuſagen zu ſorgen, iſt ungereimt. 119. Daraus, daß ein Stat mit dem thatſächlichen Haupte eines States in regelmäßigen Verkehr tritt, folgt nicht, daß er die Rechtmäßigkeit ſeiner Erhebung, wohl aber, daß er die rechtliche Wirkſamkeit ſeiner gegenwär- tigen Statsſtellung anerkenne. Vgl. zu § 117. Es iſt daher möglich, obwohl nicht zweckmäßig, daß ein Stat, wenn er eine neue Regierung anerkennt, zugleich ſeine Meinung über den revolutionären Anfang der neuen Gewalt ausſpricht, wie das im Jahr 1861 in einer Preußiſchen Note an das neue Königreich Italien geſchehen iſt. 120. Die Legitimität oder Illegitimität des Urſprungs einer Statsregierung iſt eine Rechtsfrage, voraus des Stats-, erſt in zweiter Linie des Völker- rechts. Auch eine urſprünglich durch Rechtsbruch erhobene Regierung kann aber rechtmäßig werden, wenn ſie im State dauernden Beſtand gewinnt und allgemeine Anerkennung findet. Im Gegenſatz zu dieſer Wahrheit hatte die Legitimitätspolitik der Congreſſe von Laibach und Verona es für eine Aufgabe der europäiſchen Völkerfamilie erklärt überall einzuſchreiten, wo in einem State der Geiſt der Revolution ſich rege und die legitimen Fürſten in ihrem Beſitze der Gewalt auch wider die Völker zu ſchützen und wiederherzuſtellen. Am klarſten ſpricht die damalige Tendenz die Circulardepeſche des Fürſten von Metternich aus, datirt Laibach 12. Mai 1821. Es heißt darin: „Les Souverains alliés n’out pu méconnaître, qu’il il n’y avait qu’une barrière à opposer a ce torrent devastateur“ (— de la conjuration impie,

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/131>, abgerufen am 29.03.2024.