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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Die Statshoheit im Verhältniß zum Land. Gebietshoheit.
Competenz über ein verübtes Vergehen zu ermitteln ist, sondern nimmt im Zweifel
an, daß je nachdem das Schiff dem einen oder andern Uferstat angehöre oder auch
nur da stationirt sei, die Gerichtsbarkeit des betreffenden Stats im Zweifel begrün-
det sei. Der Thalweg selbst gilt dann als eine gemeinsame Grenze. Mit
Unrecht wird er als neutral bezeichnet. Er gehört nicht keinem der beiden, sondern
eher jedem der beiden Gebiete an, soweit das überhaupt möglich ist. Er wird
daher von beiden Nationen frei zur Schiffahrt benützt, und keiner der beiden Staten
darf diesen Gebrauch hemmen. Vgl. unten § 303.

2. Die Mitte des Flusses kann auch von dem festen Uferrand aus be-
messen werden. In neuerer Zeit aber zieht man bei schiffbaren Flüssen den Thalweg
vor, weil eben da der Hauptfluß sich bewegt, welcher als Grenze dient. Der Aus-
druck ist sogar in den französisch geschriebenen Friedensvertrag von Luneville vom
9. Febr. 1801 Art. III. übergegangen: "le Thalweg de l'Adige servant de ligne
de demarcation"
und ist auch für die Rheingrenze zwischen Frankreich und Deutsch-
land anerkannt. Reichsdeputationsbeschluß von 1853 § 30.

299.

Die Flußgrenze ist insofern veränderlich, als der Fluß sein Bett
und seinen Thalweg gelegentlich verändert.

Wenn aber der Fluß sein Bett ganz verläßt und eine neue Richtung
einschlägt, dann bleibt das alte Flußbett die Grenze.

Die Veränderung des Thalwegs kann auch künstlich durch Wasserbauten be-
wirkt werden. Schon deßhalb, weil dadurch die gemeinsame Grenze afficirt wird,
darf kein Uferstat willkürlich solche Uferbauten vornehmen, welche jene Aenderung
nach sich ziehen. Wird dagegen die Flußcorrection in wechselseitigem Einverständniß
vollzogen, so wird unbedenklich auch der künstlich veränderte Thalweg als Grenze
anerkannt.

Wenn der Fluß eine ganz andere Richtung nimmt und ein neues Bett gräbt,
so ist das nicht mehr die unvermeidliche Wandelbarkeit der Flußgrenze, sondern ein
neuer Einschnitt in das eine oder andere unzweifelhafte Statsgebiet hinein in
Abweichung von der bisherigen Landesgrenze. Das darf natürlich keinen Gebiets-
verlust des einen und keine Gebietserweiterung des andern Stats begründen. Vgl.
Hugo Grotius II. 3. § 16.

300.

Insoweit nicht die Nationalität eines Schiffes entscheidend einwirkt,
steht beiden Uferstaten eine concurrirende Gebietshoheit (Policeigewalt und
Gerichtsbarkeit) über die auf der Grenzlinie hinfahrenden Schiffe zu.

Vgl. zu § 298. 316.

301.

Ebenso wird die Mitte eines Landsees als Grenze zwischen den ent-

Bluntschli, Das Völkerrecht. 12

Die Statshoheit im Verhältniß zum Land. Gebietshoheit.
Competenz über ein verübtes Vergehen zu ermitteln iſt, ſondern nimmt im Zweifel
an, daß je nachdem das Schiff dem einen oder andern Uferſtat angehöre oder auch
nur da ſtationirt ſei, die Gerichtsbarkeit des betreffenden Stats im Zweifel begrün-
det ſei. Der Thalweg ſelbſt gilt dann als eine gemeinſame Grenze. Mit
Unrecht wird er als neutral bezeichnet. Er gehört nicht keinem der beiden, ſondern
eher jedem der beiden Gebiete an, ſoweit das überhaupt möglich iſt. Er wird
daher von beiden Nationen frei zur Schiffahrt benützt, und keiner der beiden Staten
darf dieſen Gebrauch hemmen. Vgl. unten § 303.

2. Die Mitte des Fluſſes kann auch von dem feſten Uferrand aus be-
meſſen werden. In neuerer Zeit aber zieht man bei ſchiffbaren Flüſſen den Thalweg
vor, weil eben da der Hauptfluß ſich bewegt, welcher als Grenze dient. Der Aus-
druck iſt ſogar in den franzöſiſch geſchriebenen Friedensvertrag von Luneville vom
9. Febr. 1801 Art. III. übergegangen: „le Thalweg de l’Adige servant de ligne
de démarcation“
und iſt auch für die Rheingrenze zwiſchen Frankreich und Deutſch-
land anerkannt. Reichsdeputationsbeſchluß von 1853 § 30.

299.

Die Flußgrenze iſt inſofern veränderlich, als der Fluß ſein Bett
und ſeinen Thalweg gelegentlich verändert.

Wenn aber der Fluß ſein Bett ganz verläßt und eine neue Richtung
einſchlägt, dann bleibt das alte Flußbett die Grenze.

Die Veränderung des Thalwegs kann auch künſtlich durch Waſſerbauten be-
wirkt werden. Schon deßhalb, weil dadurch die gemeinſame Grenze afficirt wird,
darf kein Uferſtat willkürlich ſolche Uferbauten vornehmen, welche jene Aenderung
nach ſich ziehen. Wird dagegen die Flußcorrection in wechſelſeitigem Einverſtändniß
vollzogen, ſo wird unbedenklich auch der künſtlich veränderte Thalweg als Grenze
anerkannt.

Wenn der Fluß eine ganz andere Richtung nimmt und ein neues Bett gräbt,
ſo iſt das nicht mehr die unvermeidliche Wandelbarkeit der Flußgrenze, ſondern ein
neuer Einſchnitt in das eine oder andere unzweifelhafte Statsgebiet hinein in
Abweichung von der bisherigen Landesgrenze. Das darf natürlich keinen Gebiets-
verluſt des einen und keine Gebietserweiterung des andern Stats begründen. Vgl.
Hugo Grotius II. 3. § 16.

300.

Inſoweit nicht die Nationalität eines Schiffes entſcheidend einwirkt,
ſteht beiden Uferſtaten eine concurrirende Gebietshoheit (Policeigewalt und
Gerichtsbarkeit) über die auf der Grenzlinie hinfahrenden Schiffe zu.

Vgl. zu § 298. 316.

301.

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Bluntſchli, Das Völkerrecht. 12
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[177/0199] Die Statshoheit im Verhältniß zum Land. Gebietshoheit. Competenz über ein verübtes Vergehen zu ermitteln iſt, ſondern nimmt im Zweifel an, daß je nachdem das Schiff dem einen oder andern Uferſtat angehöre oder auch nur da ſtationirt ſei, die Gerichtsbarkeit des betreffenden Stats im Zweifel begrün- det ſei. Der Thalweg ſelbſt gilt dann als eine gemeinſame Grenze. Mit Unrecht wird er als neutral bezeichnet. Er gehört nicht keinem der beiden, ſondern eher jedem der beiden Gebiete an, ſoweit das überhaupt möglich iſt. Er wird daher von beiden Nationen frei zur Schiffahrt benützt, und keiner der beiden Staten darf dieſen Gebrauch hemmen. Vgl. unten § 303. 2. Die Mitte des Fluſſes kann auch von dem feſten Uferrand aus be- meſſen werden. In neuerer Zeit aber zieht man bei ſchiffbaren Flüſſen den Thalweg vor, weil eben da der Hauptfluß ſich bewegt, welcher als Grenze dient. Der Aus- druck iſt ſogar in den franzöſiſch geſchriebenen Friedensvertrag von Luneville vom 9. Febr. 1801 Art. III. übergegangen: „le Thalweg de l’Adige servant de ligne de démarcation“ und iſt auch für die Rheingrenze zwiſchen Frankreich und Deutſch- land anerkannt. Reichsdeputationsbeſchluß von 1853 § 30. 299. Die Flußgrenze iſt inſofern veränderlich, als der Fluß ſein Bett und ſeinen Thalweg gelegentlich verändert. Wenn aber der Fluß ſein Bett ganz verläßt und eine neue Richtung einſchlägt, dann bleibt das alte Flußbett die Grenze. Die Veränderung des Thalwegs kann auch künſtlich durch Waſſerbauten be- wirkt werden. Schon deßhalb, weil dadurch die gemeinſame Grenze afficirt wird, darf kein Uferſtat willkürlich ſolche Uferbauten vornehmen, welche jene Aenderung nach ſich ziehen. Wird dagegen die Flußcorrection in wechſelſeitigem Einverſtändniß vollzogen, ſo wird unbedenklich auch der künſtlich veränderte Thalweg als Grenze anerkannt. Wenn der Fluß eine ganz andere Richtung nimmt und ein neues Bett gräbt, ſo iſt das nicht mehr die unvermeidliche Wandelbarkeit der Flußgrenze, ſondern ein neuer Einſchnitt in das eine oder andere unzweifelhafte Statsgebiet hinein in Abweichung von der bisherigen Landesgrenze. Das darf natürlich keinen Gebiets- verluſt des einen und keine Gebietserweiterung des andern Stats begründen. Vgl. Hugo Grotius II. 3. § 16. 300. Inſoweit nicht die Nationalität eines Schiffes entſcheidend einwirkt, ſteht beiden Uferſtaten eine concurrirende Gebietshoheit (Policeigewalt und Gerichtsbarkeit) über die auf der Grenzlinie hinfahrenden Schiffe zu. Vgl. zu § 298. 316. 301. Ebenſo wird die Mitte eines Landſees als Grenze zwiſchen den ent- Bluntſchli, Das Völkerrecht. 12

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/199>, abgerufen am 25.04.2024.