Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Statshoheit im Verhältniß zum Land. Gebietshoheit.
316.

Die Binnenseen gehören ebenso dem Statsgebiete zu, von dem sie
umschlossen werden. Liegen dieselben zwischen mehreren Staten, so werden
sie analog den Strömen behandelt. Abgesehen von besondern Verträgen
und Verhältnissen breitet jeder Uferstat seine Statshoheit vom Ufer aus
bis in die Mitte des Sees. Die Benutzung des Sees ist jedoch gemein-
sam für die Schiffahrt aller Uferbewohner und wenn der See mit dem
Meere in schiffbarer Verbindung steht, auch für die Schiffahrt aller
Nationen.

Die Binnenseen sind gewöhnlich nur ausgebreitete und in Folge der Aus-
breitung ruhig gewordene Flußbecken. Daher ist das Flußrecht auf diese Seen analog
auszudehnen, und der Zusammenhang mit Fluß und Meer wohl zu beachten. Eine
Abgrenzung der Mittellinie ist freilich hier noch schwieriger als auf Flüssen und man
ist aus practischen Gründen genöthigt, eine concurrirende Gewalt leichter zu-
zugestehen oder die Nationalität der Schiffe zu berücksichtigen. Vgl. oben zu § 300.


4. Schiffsrecht.
317.

Die Schiffe werden als schwimmende Gebietstheile des Landes be-
trachtet, dem sie nach ihrer Nationalität angehören und dessen Flagge sie
zu führen berechtigt sind.

Die völkerrechtliche Annahme, daß die Schiffe, welche von dem Lande her,
welchem sie angehören, auf die offene See hinausfahren, gleichsam wandernde
oder schwimmende Theile des Territoriums seien, ist schon ziemlich alt,
und hat einen natürlichen Grund in dem fortwirkenden nationalen Zusammen-
hang
des Schiffs mit dem Land, der in der Flagge symbolisch dargestellt wird, in
dem Schutzbedürfniß des Schiffs gegen feindliche Angriffe und in der Ausdehnung
der nationalen Macht und des nationalen Verkehrs durch die Kriegs- und Handels-
marine. Daher ist es auch sehr wichtig, die Nationalität der Schiffe klar zu stellen.
Die englischen Juristen sträubten sich einige Zeit gegen die Anerkennung jenes Satzes
bezüglich der Handelsschiffe. Für Kriegsschiffe war dieselbe unvermeidlich, weil
in dem Kriegsschiff die bestimmte Statsmacht handgreiflich fühlbar war.

Die Statshoheit im Verhältniß zum Land. Gebietshoheit.
316.

Die Binnenſeen gehören ebenſo dem Statsgebiete zu, von dem ſie
umſchloſſen werden. Liegen dieſelben zwiſchen mehreren Staten, ſo werden
ſie analog den Strömen behandelt. Abgeſehen von beſondern Verträgen
und Verhältniſſen breitet jeder Uferſtat ſeine Statshoheit vom Ufer aus
bis in die Mitte des Sees. Die Benutzung des Sees iſt jedoch gemein-
ſam für die Schiffahrt aller Uferbewohner und wenn der See mit dem
Meere in ſchiffbarer Verbindung ſteht, auch für die Schiffahrt aller
Nationen.

Die Binnenſeen ſind gewöhnlich nur ausgebreitete und in Folge der Aus-
breitung ruhig gewordene Flußbecken. Daher iſt das Flußrecht auf dieſe Seen analog
auszudehnen, und der Zuſammenhang mit Fluß und Meer wohl zu beachten. Eine
Abgrenzung der Mittellinie iſt freilich hier noch ſchwieriger als auf Flüſſen und man
iſt aus practiſchen Gründen genöthigt, eine concurrirende Gewalt leichter zu-
zugeſtehen oder die Nationalität der Schiffe zu berückſichtigen. Vgl. oben zu § 300.


4. Schiffsrecht.
317.

Die Schiffe werden als ſchwimmende Gebietstheile des Landes be-
trachtet, dem ſie nach ihrer Nationalität angehören und deſſen Flagge ſie
zu führen berechtigt ſind.

Die völkerrechtliche Annahme, daß die Schiffe, welche von dem Lande her,
welchem ſie angehören, auf die offene See hinausfahren, gleichſam wandernde
oder ſchwimmende Theile des Territoriums ſeien, iſt ſchon ziemlich alt,
und hat einen natürlichen Grund in dem fortwirkenden nationalen Zuſammen-
hang
des Schiffs mit dem Land, der in der Flagge ſymboliſch dargeſtellt wird, in
dem Schutzbedürfniß des Schiffs gegen feindliche Angriffe und in der Ausdehnung
der nationalen Macht und des nationalen Verkehrs durch die Kriegs- und Handels-
marine. Daher iſt es auch ſehr wichtig, die Nationalität der Schiffe klar zu ſtellen.
Die engliſchen Juriſten ſträubten ſich einige Zeit gegen die Anerkennung jenes Satzes
bezüglich der Handelsſchiffe. Für Kriegsſchiffe war dieſelbe unvermeidlich, weil
in dem Kriegsſchiff die beſtimmte Statsmacht handgreiflich fühlbar war.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0207" n="185"/>
            <fw place="top" type="header">Die Statshoheit im Verhältniß zum Land. Gebietshoheit.</fw><lb/>
            <div n="4">
              <head>316.</head><lb/>
              <p>Die Binnen&#x017F;een gehören eben&#x017F;o dem Statsgebiete zu, von dem &#x017F;ie<lb/>
um&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en werden. Liegen die&#x017F;elben zwi&#x017F;chen mehreren Staten, &#x017F;o werden<lb/>
&#x017F;ie analog den Strömen behandelt. Abge&#x017F;ehen von be&#x017F;ondern Verträgen<lb/>
und Verhältni&#x017F;&#x017F;en breitet jeder Ufer&#x017F;tat &#x017F;eine Statshoheit vom Ufer aus<lb/>
bis in die Mitte des Sees. Die Benutzung des Sees i&#x017F;t jedoch gemein-<lb/>
&#x017F;am für die Schiffahrt aller Uferbewohner und wenn der See mit dem<lb/>
Meere in &#x017F;chiffbarer Verbindung &#x017F;teht, auch für die Schiffahrt aller<lb/>
Nationen.</p><lb/>
              <p>Die Binnen&#x017F;een &#x017F;ind gewöhnlich nur ausgebreitete und in Folge der Aus-<lb/>
breitung ruhig gewordene Flußbecken. Daher i&#x017F;t das Flußrecht auf die&#x017F;e Seen analog<lb/>
auszudehnen, und der Zu&#x017F;ammenhang mit Fluß und Meer wohl zu beachten. Eine<lb/>
Abgrenzung der Mittellinie i&#x017F;t freilich hier noch &#x017F;chwieriger als auf Flü&#x017F;&#x017F;en und man<lb/>
i&#x017F;t aus practi&#x017F;chen Gründen genöthigt, eine <hi rendition="#g">concurrirende Gewalt</hi> leichter zu-<lb/>
zuge&#x017F;tehen oder die Nationalität der Schiffe zu berück&#x017F;ichtigen. Vgl. oben zu § 300.</p>
            </div>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b">4. Schiffsrecht.</hi> </head><lb/>
            <div n="4">
              <head>317.</head><lb/>
              <p>Die Schiffe werden als &#x017F;chwimmende Gebietstheile des Landes be-<lb/>
trachtet, dem &#x017F;ie nach ihrer Nationalität angehören und de&#x017F;&#x017F;en Flagge &#x017F;ie<lb/>
zu führen berechtigt &#x017F;ind.</p><lb/>
              <p>Die völkerrechtliche Annahme, daß die Schiffe, welche von dem Lande her,<lb/>
welchem &#x017F;ie angehören, auf die offene See hinausfahren, gleich&#x017F;am <hi rendition="#g">wandernde</hi><lb/>
oder <hi rendition="#g">&#x017F;chwimmende Theile des Territoriums</hi> &#x017F;eien, i&#x017F;t &#x017F;chon ziemlich alt,<lb/>
und hat einen natürlichen Grund in dem fortwirkenden <hi rendition="#g">nationalen Zu&#x017F;ammen-<lb/>
hang</hi> des Schiffs mit dem Land, der in der Flagge &#x017F;ymboli&#x017F;ch darge&#x017F;tellt wird, in<lb/>
dem Schutzbedürfniß des Schiffs gegen feindliche Angriffe und in der Ausdehnung<lb/>
der nationalen Macht und des nationalen Verkehrs durch die Kriegs- und Handels-<lb/>
marine. Daher i&#x017F;t es auch &#x017F;ehr wichtig, die Nationalität der Schiffe klar zu &#x017F;tellen.<lb/>
Die engli&#x017F;chen Juri&#x017F;ten &#x017F;träubten &#x017F;ich einige Zeit gegen die Anerkennung jenes Satzes<lb/>
bezüglich der <hi rendition="#g">Handels&#x017F;chiffe</hi>. Für Kriegs&#x017F;chiffe war die&#x017F;elbe unvermeidlich, weil<lb/>
in dem Kriegs&#x017F;chiff die <hi rendition="#g">be&#x017F;timmte Statsmacht</hi> handgreiflich fühlbar war.<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[185/0207] Die Statshoheit im Verhältniß zum Land. Gebietshoheit. 316. Die Binnenſeen gehören ebenſo dem Statsgebiete zu, von dem ſie umſchloſſen werden. Liegen dieſelben zwiſchen mehreren Staten, ſo werden ſie analog den Strömen behandelt. Abgeſehen von beſondern Verträgen und Verhältniſſen breitet jeder Uferſtat ſeine Statshoheit vom Ufer aus bis in die Mitte des Sees. Die Benutzung des Sees iſt jedoch gemein- ſam für die Schiffahrt aller Uferbewohner und wenn der See mit dem Meere in ſchiffbarer Verbindung ſteht, auch für die Schiffahrt aller Nationen. Die Binnenſeen ſind gewöhnlich nur ausgebreitete und in Folge der Aus- breitung ruhig gewordene Flußbecken. Daher iſt das Flußrecht auf dieſe Seen analog auszudehnen, und der Zuſammenhang mit Fluß und Meer wohl zu beachten. Eine Abgrenzung der Mittellinie iſt freilich hier noch ſchwieriger als auf Flüſſen und man iſt aus practiſchen Gründen genöthigt, eine concurrirende Gewalt leichter zu- zugeſtehen oder die Nationalität der Schiffe zu berückſichtigen. Vgl. oben zu § 300. 4. Schiffsrecht. 317. Die Schiffe werden als ſchwimmende Gebietstheile des Landes be- trachtet, dem ſie nach ihrer Nationalität angehören und deſſen Flagge ſie zu führen berechtigt ſind. Die völkerrechtliche Annahme, daß die Schiffe, welche von dem Lande her, welchem ſie angehören, auf die offene See hinausfahren, gleichſam wandernde oder ſchwimmende Theile des Territoriums ſeien, iſt ſchon ziemlich alt, und hat einen natürlichen Grund in dem fortwirkenden nationalen Zuſammen- hang des Schiffs mit dem Land, der in der Flagge ſymboliſch dargeſtellt wird, in dem Schutzbedürfniß des Schiffs gegen feindliche Angriffe und in der Ausdehnung der nationalen Macht und des nationalen Verkehrs durch die Kriegs- und Handels- marine. Daher iſt es auch ſehr wichtig, die Nationalität der Schiffe klar zu ſtellen. Die engliſchen Juriſten ſträubten ſich einige Zeit gegen die Anerkennung jenes Satzes bezüglich der Handelsſchiffe. Für Kriegsſchiffe war dieſelbe unvermeidlich, weil in dem Kriegsſchiff die beſtimmte Statsmacht handgreiflich fühlbar war.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/207
Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/207>, abgerufen am 29.03.2024.