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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Die Statshoheit im Verhältniß zum Land. Gebietshoheit.
fremden Schiffe und der Begünstigung der eigenen Schiffe befreit. Man wollte jenen
doch noch den Verkehr erschweren, wenn gleich man denselben nicht mehr verhindern
wollte. Die englische zur Zeit der Republik unter Cromwell erlassene Navi-
gationsacte
, damals für die Entwicklung der englischen Marine nützlich, war aus-
schließlich in dem Sonderinteresse der englischen Rhederei und Schiffahrt erlassen.
Andere Staten ahmten dieselbe nach und so hinderte jeder hinwieder den andern in
der freien Thätigkeit. Die neuere englische Navigationsacte vom
29. Juni 1849 beseitigt einen Theil der alten Schranken, aber fordert immer noch
Nationalität des Schiffscapitäns und von 3/4 der Mannschaft, wofür es keine zurei-
chenden Rechtsgründe gibt. Es ist nicht einzusehen, weßhalb ein nationaler Rheder
nicht auch einen Fremden als Capitän oder fremde Matrosen anstellen dürfte, indem
die Nationalität einer Fabrik oder einer Handelsfirma auch keinen Abbruch erleidet,
wenn fremde Techniker, Commis und Arbeiter von derselben beschäftigt werden. Die-
selbe weitgehende Forderung hat die französische Gesetzgebung. Die Vereinigten
Staten
von Nordamerika fordern die Nationalität von 2/3 der Mannschaft, Ruß-
land
dagegen nur 1/4, und Preußen sieht ganz ab von diesem Erforderniß. Schon
diese Vergleichung zeigt, wie willkürlich diese Beschränkung ist. Am liberalsten ist
das Preußische Seerecht, welches nur Angehörigkeit des Capitäns und
nationales Eigenthum des Schiffs fordert.

328.

Es besteht kein völkerrechtliches Hinderniß für die einzelnen Staten,
auch ursprünglich fremden Schiffen in Friedenszeiten Aufnahme in die
eigene Nationalität zu gewähren oder dieselben vorübergehend unter den
Schutz der eigenen Flagge zu stellen. Nur darf das nicht in betrügerischer
Absicht geschehen, noch zur Schädigung bestehender Rechtsverhältnisse damit
Mißbrauch getrieben werden.

Wie der Uebergang der Person aus einem Statsverband in einen an-
dern möglich ist, so auch der Uebergang eines Schiffes in eine andere Nationa-
lität. Dem State kommt das Recht zu, die Bedingungen festzusetzen, unter denen
er die Aufnahme eines bisher fremden Schiffes in seinen Verband gestattet. Aber
auch hier, wie überhaupt im Staten- und Völkerverkehr ist die bona fides zu be-
achten. Würde ein Stat fremden Schiffen nur in der Absicht vorübergehend seine
Flagge gestatten und dieselben als seine Schiffe bezeichnen, um die Zollgesetze des
befahrenen States zu umgehen und diesen Schiffen Zollbefreiungen zuzuwenden, an
denen sie ihrer wahren Nationalität nach keinen Antheil haben, so würde sich der
letztere Stat das nicht gefallen lassen müssen.

In früherer Zeit wurden im Mittelländischen Meer oft die Schiffe der nord-
deutschen Seestädte unter den Schutz der Dänischen Flagge gestellt, um dieselben
gegen die Piratenschiffe der muhammedanischen Küstenstaten zu sichern, mit welchen
Dänemark, aber nicht die Hansestädte Verträge hatten. Diese Leihe des Schutzes

Die Statshoheit im Verhältniß zum Land. Gebietshoheit.
fremden Schiffe und der Begünſtigung der eigenen Schiffe befreit. Man wollte jenen
doch noch den Verkehr erſchweren, wenn gleich man denſelben nicht mehr verhindern
wollte. Die engliſche zur Zeit der Republik unter Cromwell erlaſſene Navi-
gationsacte
, damals für die Entwicklung der engliſchen Marine nützlich, war aus-
ſchließlich in dem Sonderintereſſe der engliſchen Rhederei und Schiffahrt erlaſſen.
Andere Staten ahmten dieſelbe nach und ſo hinderte jeder hinwieder den andern in
der freien Thätigkeit. Die neuere engliſche Navigationsacte vom
29. Juni 1849 beſeitigt einen Theil der alten Schranken, aber fordert immer noch
Nationalität des Schiffscapitäns und von ¾ der Mannſchaft, wofür es keine zurei-
chenden Rechtsgründe gibt. Es iſt nicht einzuſehen, weßhalb ein nationaler Rheder
nicht auch einen Fremden als Capitän oder fremde Matroſen anſtellen dürfte, indem
die Nationalität einer Fabrik oder einer Handelsfirma auch keinen Abbruch erleidet,
wenn fremde Techniker, Commis und Arbeiter von derſelben beſchäftigt werden. Die-
ſelbe weitgehende Forderung hat die franzöſiſche Geſetzgebung. Die Vereinigten
Staten
von Nordamerika fordern die Nationalität von ⅔ der Mannſchaft, Ruß-
land
dagegen nur ¼, und Preußen ſieht ganz ab von dieſem Erforderniß. Schon
dieſe Vergleichung zeigt, wie willkürlich dieſe Beſchränkung iſt. Am liberalſten iſt
das Preußiſche Seerecht, welches nur Angehörigkeit des Capitäns und
nationales Eigenthum des Schiffs fordert.

328.

Es beſteht kein völkerrechtliches Hinderniß für die einzelnen Staten,
auch urſprünglich fremden Schiffen in Friedenszeiten Aufnahme in die
eigene Nationalität zu gewähren oder dieſelben vorübergehend unter den
Schutz der eigenen Flagge zu ſtellen. Nur darf das nicht in betrügeriſcher
Abſicht geſchehen, noch zur Schädigung beſtehender Rechtsverhältniſſe damit
Mißbrauch getrieben werden.

Wie der Uebergang der Perſon aus einem Statsverband in einen an-
dern möglich iſt, ſo auch der Uebergang eines Schiffes in eine andere Nationa-
lität. Dem State kommt das Recht zu, die Bedingungen feſtzuſetzen, unter denen
er die Aufnahme eines bisher fremden Schiffes in ſeinen Verband geſtattet. Aber
auch hier, wie überhaupt im Staten- und Völkerverkehr iſt die bona fides zu be-
achten. Würde ein Stat fremden Schiffen nur in der Abſicht vorübergehend ſeine
Flagge geſtatten und dieſelben als ſeine Schiffe bezeichnen, um die Zollgeſetze des
befahrenen States zu umgehen und dieſen Schiffen Zollbefreiungen zuzuwenden, an
denen ſie ihrer wahren Nationalität nach keinen Antheil haben, ſo würde ſich der
letztere Stat das nicht gefallen laſſen müſſen.

In früherer Zeit wurden im Mittelländiſchen Meer oft die Schiffe der nord-
deutſchen Seeſtädte unter den Schutz der Däniſchen Flagge geſtellt, um dieſelben
gegen die Piratenſchiffe der muhammedaniſchen Küſtenſtaten zu ſichern, mit welchen
Dänemark, aber nicht die Hanſeſtädte Verträge hatten. Dieſe Leihe des Schutzes

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[191/0213] Die Statshoheit im Verhältniß zum Land. Gebietshoheit. fremden Schiffe und der Begünſtigung der eigenen Schiffe befreit. Man wollte jenen doch noch den Verkehr erſchweren, wenn gleich man denſelben nicht mehr verhindern wollte. Die engliſche zur Zeit der Republik unter Cromwell erlaſſene Navi- gationsacte, damals für die Entwicklung der engliſchen Marine nützlich, war aus- ſchließlich in dem Sonderintereſſe der engliſchen Rhederei und Schiffahrt erlaſſen. Andere Staten ahmten dieſelbe nach und ſo hinderte jeder hinwieder den andern in der freien Thätigkeit. Die neuere engliſche Navigationsacte vom 29. Juni 1849 beſeitigt einen Theil der alten Schranken, aber fordert immer noch Nationalität des Schiffscapitäns und von ¾ der Mannſchaft, wofür es keine zurei- chenden Rechtsgründe gibt. Es iſt nicht einzuſehen, weßhalb ein nationaler Rheder nicht auch einen Fremden als Capitän oder fremde Matroſen anſtellen dürfte, indem die Nationalität einer Fabrik oder einer Handelsfirma auch keinen Abbruch erleidet, wenn fremde Techniker, Commis und Arbeiter von derſelben beſchäftigt werden. Die- ſelbe weitgehende Forderung hat die franzöſiſche Geſetzgebung. Die Vereinigten Staten von Nordamerika fordern die Nationalität von ⅔ der Mannſchaft, Ruß- land dagegen nur ¼, und Preußen ſieht ganz ab von dieſem Erforderniß. Schon dieſe Vergleichung zeigt, wie willkürlich dieſe Beſchränkung iſt. Am liberalſten iſt das Preußiſche Seerecht, welches nur Angehörigkeit des Capitäns und nationales Eigenthum des Schiffs fordert. 328. Es beſteht kein völkerrechtliches Hinderniß für die einzelnen Staten, auch urſprünglich fremden Schiffen in Friedenszeiten Aufnahme in die eigene Nationalität zu gewähren oder dieſelben vorübergehend unter den Schutz der eigenen Flagge zu ſtellen. Nur darf das nicht in betrügeriſcher Abſicht geſchehen, noch zur Schädigung beſtehender Rechtsverhältniſſe damit Mißbrauch getrieben werden. Wie der Uebergang der Perſon aus einem Statsverband in einen an- dern möglich iſt, ſo auch der Uebergang eines Schiffes in eine andere Nationa- lität. Dem State kommt das Recht zu, die Bedingungen feſtzuſetzen, unter denen er die Aufnahme eines bisher fremden Schiffes in ſeinen Verband geſtattet. Aber auch hier, wie überhaupt im Staten- und Völkerverkehr iſt die bona fides zu be- achten. Würde ein Stat fremden Schiffen nur in der Abſicht vorübergehend ſeine Flagge geſtatten und dieſelben als ſeine Schiffe bezeichnen, um die Zollgeſetze des befahrenen States zu umgehen und dieſen Schiffen Zollbefreiungen zuzuwenden, an denen ſie ihrer wahren Nationalität nach keinen Antheil haben, ſo würde ſich der letztere Stat das nicht gefallen laſſen müſſen. In früherer Zeit wurden im Mittelländiſchen Meer oft die Schiffe der nord- deutſchen Seeſtädte unter den Schutz der Däniſchen Flagge geſtellt, um dieſelben gegen die Piratenſchiffe der muhammedaniſchen Küſtenſtaten zu ſichern, mit welchen Dänemark, aber nicht die Hanſeſtädte Verträge hatten. Dieſe Leihe des Schutzes

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/213>, abgerufen am 23.04.2024.