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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Siebentes Buch.
3. Minneverfahren.
481.

Wenn zwischen zwei Staten völkerrechtliche Conflichte oder Differenzen
entstehn, die sich auf friedlichem Wege schlichten lassen, so ist von Anfang
an nicht der Weg der Gewalt, sondern der Weg der Minne einzuschlagen.

Die Gewaltübung ist nur in Fällen der Nothwendigkeit gerechtfertigt,
weil sie für sich ein Uebel und eine Gefahr für die friedliche Rechtsordnung sel-
ber ist.

482.

Als Mittel des Minneverfahrens unter den Parteien sind hervorzu-
heben:

a) diplomatische Verhandlungen,
b) Verzicht auf die Durchführung eines behaupteten Rechts mit oder
ohne Protest und Rechtsverwahrung für die Zukunft,
c) die freiwillige, wenn auch nur thatsächliche Berücksichtigung der
Forderungen der Gegenpartei,
d) der Vergleich unter den Parteien.

1. Zu a. Zuweilen genügt schon die Mittheilung von Acten zur
Aufklärung, oder eine gründliche Rechtsausführung, oder eine einfache Vor-
stellung
oder Beschwerde, die Aeußerung eines freundlichen Wunsches u. dgl.

2. Zu b. und c. Der Verzicht ist ein einseitiger Act, aber mit Rücksicht
auf das Verhältniß zur Gegenpartei. Insofern gehören b) u. c) zusammen. Der
Verzicht b) bedeutet Fallenlassen eines Rechtsanspruchs, wenn auch viel-
leicht nur thatsächlich dadurch, daß demselben gegenwärtig keine Folge gegeben wird.
Dem entspricht die vielleicht ebenfalls nur thatsächliche, nicht principielle Ge-
währung der Forderungen
c) auf Seite des vermeintlich oder wirklich Verpflich-
teten. Die Rechtsverwahrung und der Protest haben den Zweck, die Ver-
zichtleistung oder Erfüllung gegen eine Auslegung sicher zu stellen, welche der Han-
delnde vermeiden will und seine durch seine Handlung zweifelhaft gewordenen Rechte
möglichst vollständig zu bewahren.

3. Zu d. Der Vergleich der Parteien setzt an die Stelle des streiti-
gen Rechts nunmehr ein sicheres Vertragsrecht. Zu der Vergleichsverhand-
lung können natürlich auch von beiden Seiten Commissäre ernannt und ermächtigt
werden.

Siebentes Buch.
3. Minneverfahren.
481.

Wenn zwiſchen zwei Staten völkerrechtliche Conflichte oder Differenzen
entſtehn, die ſich auf friedlichem Wege ſchlichten laſſen, ſo iſt von Anfang
an nicht der Weg der Gewalt, ſondern der Weg der Minne einzuſchlagen.

Die Gewaltübung iſt nur in Fällen der Nothwendigkeit gerechtfertigt,
weil ſie für ſich ein Uebel und eine Gefahr für die friedliche Rechtsordnung ſel-
ber iſt.

482.

Als Mittel des Minneverfahrens unter den Parteien ſind hervorzu-
heben:

a) diplomatiſche Verhandlungen,
b) Verzicht auf die Durchführung eines behaupteten Rechts mit oder
ohne Proteſt und Rechtsverwahrung für die Zukunft,
c) die freiwillige, wenn auch nur thatſächliche Berückſichtigung der
Forderungen der Gegenpartei,
d) der Vergleich unter den Parteien.

1. Zu a. Zuweilen genügt ſchon die Mittheilung von Acten zur
Aufklärung, oder eine gründliche Rechtsausführung, oder eine einfache Vor-
ſtellung
oder Beſchwerde, die Aeußerung eines freundlichen Wunſches u. dgl.

2. Zu b. und c. Der Verzicht iſt ein einſeitiger Act, aber mit Rückſicht
auf das Verhältniß zur Gegenpartei. Inſofern gehören b) u. c) zuſammen. Der
Verzicht b) bedeutet Fallenlaſſen eines Rechtsanſpruchs, wenn auch viel-
leicht nur thatſächlich dadurch, daß demſelben gegenwärtig keine Folge gegeben wird.
Dem entſpricht die vielleicht ebenfalls nur thatſächliche, nicht principielle Ge-
währung der Forderungen
c) auf Seite des vermeintlich oder wirklich Verpflich-
teten. Die Rechtsverwahrung und der Proteſt haben den Zweck, die Ver-
zichtleiſtung oder Erfüllung gegen eine Auslegung ſicher zu ſtellen, welche der Han-
delnde vermeiden will und ſeine durch ſeine Handlung zweifelhaft gewordenen Rechte
möglichſt vollſtändig zu bewahren.

3. Zu d. Der Vergleich der Parteien ſetzt an die Stelle des ſtreiti-
gen Rechts nunmehr ein ſicheres Vertragsrecht. Zu der Vergleichsverhand-
lung können natürlich auch von beiden Seiten Commiſſäre ernannt und ermächtigt
werden.

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[270/0292] Siebentes Buch. 3. Minneverfahren. 481. Wenn zwiſchen zwei Staten völkerrechtliche Conflichte oder Differenzen entſtehn, die ſich auf friedlichem Wege ſchlichten laſſen, ſo iſt von Anfang an nicht der Weg der Gewalt, ſondern der Weg der Minne einzuſchlagen. Die Gewaltübung iſt nur in Fällen der Nothwendigkeit gerechtfertigt, weil ſie für ſich ein Uebel und eine Gefahr für die friedliche Rechtsordnung ſel- ber iſt. 482. Als Mittel des Minneverfahrens unter den Parteien ſind hervorzu- heben: a) diplomatiſche Verhandlungen, b) Verzicht auf die Durchführung eines behaupteten Rechts mit oder ohne Proteſt und Rechtsverwahrung für die Zukunft, c) die freiwillige, wenn auch nur thatſächliche Berückſichtigung der Forderungen der Gegenpartei, d) der Vergleich unter den Parteien. 1. Zu a. Zuweilen genügt ſchon die Mittheilung von Acten zur Aufklärung, oder eine gründliche Rechtsausführung, oder eine einfache Vor- ſtellung oder Beſchwerde, die Aeußerung eines freundlichen Wunſches u. dgl. 2. Zu b. und c. Der Verzicht iſt ein einſeitiger Act, aber mit Rückſicht auf das Verhältniß zur Gegenpartei. Inſofern gehören b) u. c) zuſammen. Der Verzicht b) bedeutet Fallenlaſſen eines Rechtsanſpruchs, wenn auch viel- leicht nur thatſächlich dadurch, daß demſelben gegenwärtig keine Folge gegeben wird. Dem entſpricht die vielleicht ebenfalls nur thatſächliche, nicht principielle Ge- währung der Forderungen c) auf Seite des vermeintlich oder wirklich Verpflich- teten. Die Rechtsverwahrung und der Proteſt haben den Zweck, die Ver- zichtleiſtung oder Erfüllung gegen eine Auslegung ſicher zu ſtellen, welche der Han- delnde vermeiden will und ſeine durch ſeine Handlung zweifelhaft gewordenen Rechte möglichſt vollſtändig zu bewahren. 3. Zu d. Der Vergleich der Parteien ſetzt an die Stelle des ſtreiti- gen Rechts nunmehr ein ſicheres Vertragsrecht. Zu der Vergleichsverhand- lung können natürlich auch von beiden Seiten Commiſſäre ernannt und ermächtigt werden.

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/292>, abgerufen am 28.03.2024.