Beispiele der Art sind in der Erläuterung zu § 545 gegeben. Das muß aber sogar von der Kriegsgewalt des eigenen Landes ebenso gelten, denn "Noth kennt kein Gebot".
547.
Soweit nicht die Kriegsgewalt besondere abweichende Vorschriften erläßt, hat die bürgerliche und die Strafgerichtsbarkeit des Landes ihren regelmäßigen Fortgang.
Die Einführung einer außerordentlichen kriegsgerichtlichen Rechtspflege -- des sogenannten Standrechts -- ist nur aus dem Grunde einer ernsten und dringenden Gefahr zulässig und ist vorher öffentlich zu ver- künden.
Am. Kr. 6. 1. Die Kriegsgewalt kann z. B. die Wirksamkeit der gesetz- lichen Schutzmittel gegen Verhaftungen (Habeas-Corpusacte) suspendiren oder auch in Folge der Verkehrssperre die Durchführung des Wechselrechts hemmen u. dgl. Vgl. zu § 545.
2. Die Einsetzung von Kriegsgerichten zur Ausübung des standrecht- lichen Verfahrens ist einer der schwersten Eingriffe in die bürgerliche Freiheit und Rechtssicherheit, weil sie eine Menge von Garantien aufhebt, welche das regelmäßige Proceßrecht den Parteien gibt. Es kann daher nur durch die Noth gerechtfertigt werden. Die friedlichen Bewohner aber dürfen den Gefahren desselben nicht ausge- setzt werden ohne vorherige öffentliche Warnung.
548.
Auch die standrechtlichen Kriegsgerichte dürfen nicht nach Willkür und nicht leidenschaftlich verfahren, sondern sind verpflichtet, die Funda- mentalgesetze der Gerechtigkeit zu beachten. Insbesondere sollen sie den Angeschuldigten freie Vertheidigung gestatten, keine Tortur anwenden, den Thatbestand wenn auch summarisch doch unparteiisch prüfen und nur eine verhältnißmäßige Strafe über den Schuldigen erkennen. Aber sie sind nicht gebunden an die strengeren Vorschriften der gewöhnlichen Proceß- gesetze.
Am. Kr. 12. Die Bestellung dieser Kriegsgerichte geschieht nach den Vor- schriften der Landesverfassung oder der militärischen Vorschriften der einzel- nen Länder. Die obigen Grundsätze dagegen haben eine allgemein mensch- liche Bedeutung. Würden sie verletzt, so würde das Standrecht aufhören eine Rechtspflege zu sein und würde zu einer Bethätigung zügelloser Leidenschaft
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Das Kriegsrecht.
Beiſpiele der Art ſind in der Erläuterung zu § 545 gegeben. Das muß aber ſogar von der Kriegsgewalt des eigenen Landes ebenſo gelten, denn „Noth kennt kein Gebot“.
547.
Soweit nicht die Kriegsgewalt beſondere abweichende Vorſchriften erläßt, hat die bürgerliche und die Strafgerichtsbarkeit des Landes ihren regelmäßigen Fortgang.
Die Einführung einer außerordentlichen kriegsgerichtlichen Rechtspflege — des ſogenannten Standrechts — iſt nur aus dem Grunde einer ernſten und dringenden Gefahr zuläſſig und iſt vorher öffentlich zu ver- künden.
Am. Kr. 6. 1. Die Kriegsgewalt kann z. B. die Wirkſamkeit der geſetz- lichen Schutzmittel gegen Verhaftungen (Habeas-Corpusacte) ſuspendiren oder auch in Folge der Verkehrsſperre die Durchführung des Wechſelrechts hemmen u. dgl. Vgl. zu § 545.
2. Die Einſetzung von Kriegsgerichten zur Ausübung des ſtandrecht- lichen Verfahrens iſt einer der ſchwerſten Eingriffe in die bürgerliche Freiheit und Rechtsſicherheit, weil ſie eine Menge von Garantien aufhebt, welche das regelmäßige Proceßrecht den Parteien gibt. Es kann daher nur durch die Noth gerechtfertigt werden. Die friedlichen Bewohner aber dürfen den Gefahren desſelben nicht ausge- ſetzt werden ohne vorherige öffentliche Warnung.
548.
Auch die ſtandrechtlichen Kriegsgerichte dürfen nicht nach Willkür und nicht leidenſchaftlich verfahren, ſondern ſind verpflichtet, die Funda- mentalgeſetze der Gerechtigkeit zu beachten. Insbeſondere ſollen ſie den Angeſchuldigten freie Vertheidigung geſtatten, keine Tortur anwenden, den Thatbeſtand wenn auch ſummariſch doch unparteiiſch prüfen und nur eine verhältnißmäßige Strafe über den Schuldigen erkennen. Aber ſie ſind nicht gebunden an die ſtrengeren Vorſchriften der gewöhnlichen Proceß- geſetze.
Am. Kr. 12. Die Beſtellung dieſer Kriegsgerichte geſchieht nach den Vor- ſchriften der Landesverfaſſung oder der militäriſchen Vorſchriften der einzel- nen Länder. Die obigen Grundſätze dagegen haben eine allgemein menſch- liche Bedeutung. Würden ſie verletzt, ſo würde das Standrecht aufhören eine Rechtspflege zu ſein und würde zu einer Bethätigung zügelloſer Leidenſchaft
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Das Kriegsrecht.
Beiſpiele der Art ſind in der Erläuterung zu § 545 gegeben. Das muß
aber ſogar von der Kriegsgewalt des eigenen Landes ebenſo gelten, denn
„Noth kennt kein Gebot“.
547.
Soweit nicht die Kriegsgewalt beſondere abweichende Vorſchriften
erläßt, hat die bürgerliche und die Strafgerichtsbarkeit des Landes ihren
regelmäßigen Fortgang.
Die Einführung einer außerordentlichen kriegsgerichtlichen Rechtspflege
— des ſogenannten Standrechts — iſt nur aus dem Grunde einer
ernſten und dringenden Gefahr zuläſſig und iſt vorher öffentlich zu ver-
künden.
Am. Kr. 6. 1. Die Kriegsgewalt kann z. B. die Wirkſamkeit der geſetz-
lichen Schutzmittel gegen Verhaftungen (Habeas-Corpusacte) ſuspendiren oder auch
in Folge der Verkehrsſperre die Durchführung des Wechſelrechts hemmen u. dgl.
Vgl. zu § 545.
2. Die Einſetzung von Kriegsgerichten zur Ausübung des ſtandrecht-
lichen Verfahrens iſt einer der ſchwerſten Eingriffe in die bürgerliche Freiheit und
Rechtsſicherheit, weil ſie eine Menge von Garantien aufhebt, welche das regelmäßige
Proceßrecht den Parteien gibt. Es kann daher nur durch die Noth gerechtfertigt
werden. Die friedlichen Bewohner aber dürfen den Gefahren desſelben nicht ausge-
ſetzt werden ohne vorherige öffentliche Warnung.
548.
Auch die ſtandrechtlichen Kriegsgerichte dürfen nicht nach Willkür
und nicht leidenſchaftlich verfahren, ſondern ſind verpflichtet, die Funda-
mentalgeſetze der Gerechtigkeit zu beachten. Insbeſondere ſollen ſie den
Angeſchuldigten freie Vertheidigung geſtatten, keine Tortur anwenden, den
Thatbeſtand wenn auch ſummariſch doch unparteiiſch prüfen und nur eine
verhältnißmäßige Strafe über den Schuldigen erkennen. Aber ſie ſind
nicht gebunden an die ſtrengeren Vorſchriften der gewöhnlichen Proceß-
geſetze.
Am. Kr. 12. Die Beſtellung dieſer Kriegsgerichte geſchieht nach den Vor-
ſchriften der Landesverfaſſung oder der militäriſchen Vorſchriften der einzel-
nen Länder. Die obigen Grundſätze dagegen haben eine allgemein menſch-
liche Bedeutung. Würden ſie verletzt, ſo würde das Standrecht aufhören eine
Rechtspflege zu ſein und würde zu einer Bethätigung zügelloſer Leidenſchaft
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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/329>, abgerufen am 19.04.2024.
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