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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Das Kriegsrecht.
Schulen, Universitäten, Akademien, Observatorien, Museen und anderer
Culturanstalten ist möglichst zu schonen und das dazu gehörige bewegliche
Vermögen ist nicht als öffentliche Habe des Feindes im Sinne des § 644
zu betrachten. Indessen übt der siegende Stat auch in dieser Hinsicht einst-
weilen die Rechte der verdrängten Statsgewalt aus.

Am. 34. Diese Anstalten haben durchweg einen öffentlich-rechtlichen
Charakter und gehören großentheils auch dem State zu Eigenthum. Aber ihre Be-
stimmung ist so entschieden friedlich und sie dienen so sehr den örtlichen und den
allgemeinen Culturbedürfnissen, daß es der civilisirten Kriegsführung nicht
würdig und dem humaneren Rechtsbewußtsein der Gegenwart nicht zulässig erscheint,
dieselben feindlich zu behandeln. Vielmehr ist ihre Schonung und Achtung hier die
Regel; und nur ausnahmsweise, soweit die Noth, z. B. das Bedürfniß Verwundete
unterzubringen, einen Eingriff erfordert, ist derselbe gerechtfertigt. Das Völkerrecht
kann nur den humanen Grundsatz aussprechen, im Gegensatz zu brutaler Gewalt-
übung. Im Einzelnen muß natürlich Vieles der Einsicht und dem Rechtsgefühl
der Commandirenden überlassen werden.

649.

Die muthwillige Zerstörung oder Schädigung wissenschaftlicher In-
strumente oder Sammlungen, der Denkmäler und Kunstwerke in dem ein-
genommenen Gebiete wird durch das civilisirte Kriegsrecht nicht entschuldigt,
sondern ist offenbare Barbarei.

Am. 35. Es ist die Pflicht der Führer, welche nicht als Barbaren, sondern als
civilisirte Männer den Krieg leiten, daß sie derartige Brutalität, welche die edeln
Güter der Menschheit schädigt, ohne dem Kriegszweck irgend zu nützen, verhindern.
Niemals ist zwecklose Zerstörung und Schädigung zu entschuldigen.
Wenn sogar noch in unserm Jahrhundert Soldaten im Dienste von europäischen
Culturvölkern durch gemalte Fresken Nägel in die Wand geschlagen, Oelgemälde
zerschnitten, Statuen verstümmelt, Denkmäler zerstört haben u. dgl., so hat unsere
Zeit Ursache, sich dessen zu schämen. Den Barbaren mag man das verzeihen, weil
sie nicht wissen, was sie thun, eine civilisirte Armee darf ihre Ehre nicht damit be-
flecken. Vielleicht erscheint die Aufnahme solcher Sätze in das Völkerrecht manchen
zu wenig juristisch, und zu sehr moralisch. Ueber dieses Bedenken kommen
wir leicht durch den Gedanken hinweg, daß die Rettung auch nur eines wahren Kunst-
werks durch Verbreitung solcher humaner Grundsätze einen größern Werth hat, als die
juristische Enthaltsamkeit, welche dieselben ruhig verstümmeln und zerstören läßt.

650.

Das heutige Völkerrecht verwehrt dem Sieger noch nicht, Kunstwerke,

Das Kriegsrecht.
Schulen, Univerſitäten, Akademien, Obſervatorien, Muſeen und anderer
Culturanſtalten iſt möglichſt zu ſchonen und das dazu gehörige bewegliche
Vermögen iſt nicht als öffentliche Habe des Feindes im Sinne des § 644
zu betrachten. Indeſſen übt der ſiegende Stat auch in dieſer Hinſicht einſt-
weilen die Rechte der verdrängten Statsgewalt aus.

Am. 34. Dieſe Anſtalten haben durchweg einen öffentlich-rechtlichen
Charakter und gehören großentheils auch dem State zu Eigenthum. Aber ihre Be-
ſtimmung iſt ſo entſchieden friedlich und ſie dienen ſo ſehr den örtlichen und den
allgemeinen Culturbedürfniſſen, daß es der civiliſirten Kriegsführung nicht
würdig und dem humaneren Rechtsbewußtſein der Gegenwart nicht zuläſſig erſcheint,
dieſelben feindlich zu behandeln. Vielmehr iſt ihre Schonung und Achtung hier die
Regel; und nur ausnahmsweiſe, ſoweit die Noth, z. B. das Bedürfniß Verwundete
unterzubringen, einen Eingriff erfordert, iſt derſelbe gerechtfertigt. Das Völkerrecht
kann nur den humanen Grundſatz ausſprechen, im Gegenſatz zu brutaler Gewalt-
übung. Im Einzelnen muß natürlich Vieles der Einſicht und dem Rechtsgefühl
der Commandirenden überlaſſen werden.

649.

Die muthwillige Zerſtörung oder Schädigung wiſſenſchaftlicher In-
ſtrumente oder Sammlungen, der Denkmäler und Kunſtwerke in dem ein-
genommenen Gebiete wird durch das civiliſirte Kriegsrecht nicht entſchuldigt,
ſondern iſt offenbare Barbarei.

Am. 35. Es iſt die Pflicht der Führer, welche nicht als Barbaren, ſondern als
civiliſirte Männer den Krieg leiten, daß ſie derartige Brutalität, welche die edeln
Güter der Menſchheit ſchädigt, ohne dem Kriegszweck irgend zu nützen, verhindern.
Niemals iſt zweckloſe Zerſtörung und Schädigung zu entſchuldigen.
Wenn ſogar noch in unſerm Jahrhundert Soldaten im Dienſte von europäiſchen
Culturvölkern durch gemalte Fresken Nägel in die Wand geſchlagen, Oelgemälde
zerſchnitten, Statuen verſtümmelt, Denkmäler zerſtört haben u. dgl., ſo hat unſere
Zeit Urſache, ſich deſſen zu ſchämen. Den Barbaren mag man das verzeihen, weil
ſie nicht wiſſen, was ſie thun, eine civiliſirte Armee darf ihre Ehre nicht damit be-
flecken. Vielleicht erſcheint die Aufnahme ſolcher Sätze in das Völkerrecht manchen
zu wenig juriſtiſch, und zu ſehr moraliſch. Ueber dieſes Bedenken kommen
wir leicht durch den Gedanken hinweg, daß die Rettung auch nur eines wahren Kunſt-
werks durch Verbreitung ſolcher humaner Grundſätze einen größern Werth hat, als die
juriſtiſche Enthaltſamkeit, welche dieſelben ruhig verſtümmeln und zerſtören läßt.

650.

Das heutige Völkerrecht verwehrt dem Sieger noch nicht, Kunſtwerke,

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[351/0373] Das Kriegsrecht. Schulen, Univerſitäten, Akademien, Obſervatorien, Muſeen und anderer Culturanſtalten iſt möglichſt zu ſchonen und das dazu gehörige bewegliche Vermögen iſt nicht als öffentliche Habe des Feindes im Sinne des § 644 zu betrachten. Indeſſen übt der ſiegende Stat auch in dieſer Hinſicht einſt- weilen die Rechte der verdrängten Statsgewalt aus. Am. 34. Dieſe Anſtalten haben durchweg einen öffentlich-rechtlichen Charakter und gehören großentheils auch dem State zu Eigenthum. Aber ihre Be- ſtimmung iſt ſo entſchieden friedlich und ſie dienen ſo ſehr den örtlichen und den allgemeinen Culturbedürfniſſen, daß es der civiliſirten Kriegsführung nicht würdig und dem humaneren Rechtsbewußtſein der Gegenwart nicht zuläſſig erſcheint, dieſelben feindlich zu behandeln. Vielmehr iſt ihre Schonung und Achtung hier die Regel; und nur ausnahmsweiſe, ſoweit die Noth, z. B. das Bedürfniß Verwundete unterzubringen, einen Eingriff erfordert, iſt derſelbe gerechtfertigt. Das Völkerrecht kann nur den humanen Grundſatz ausſprechen, im Gegenſatz zu brutaler Gewalt- übung. Im Einzelnen muß natürlich Vieles der Einſicht und dem Rechtsgefühl der Commandirenden überlaſſen werden. 649. Die muthwillige Zerſtörung oder Schädigung wiſſenſchaftlicher In- ſtrumente oder Sammlungen, der Denkmäler und Kunſtwerke in dem ein- genommenen Gebiete wird durch das civiliſirte Kriegsrecht nicht entſchuldigt, ſondern iſt offenbare Barbarei. Am. 35. Es iſt die Pflicht der Führer, welche nicht als Barbaren, ſondern als civiliſirte Männer den Krieg leiten, daß ſie derartige Brutalität, welche die edeln Güter der Menſchheit ſchädigt, ohne dem Kriegszweck irgend zu nützen, verhindern. Niemals iſt zweckloſe Zerſtörung und Schädigung zu entſchuldigen. Wenn ſogar noch in unſerm Jahrhundert Soldaten im Dienſte von europäiſchen Culturvölkern durch gemalte Fresken Nägel in die Wand geſchlagen, Oelgemälde zerſchnitten, Statuen verſtümmelt, Denkmäler zerſtört haben u. dgl., ſo hat unſere Zeit Urſache, ſich deſſen zu ſchämen. Den Barbaren mag man das verzeihen, weil ſie nicht wiſſen, was ſie thun, eine civiliſirte Armee darf ihre Ehre nicht damit be- flecken. Vielleicht erſcheint die Aufnahme ſolcher Sätze in das Völkerrecht manchen zu wenig juriſtiſch, und zu ſehr moraliſch. Ueber dieſes Bedenken kommen wir leicht durch den Gedanken hinweg, daß die Rettung auch nur eines wahren Kunſt- werks durch Verbreitung ſolcher humaner Grundſätze einen größern Werth hat, als die juriſtiſche Enthaltſamkeit, welche dieſelben ruhig verſtümmeln und zerſtören läßt. 650. Das heutige Völkerrecht verwehrt dem Sieger noch nicht, Kunſtwerke,

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/373>, abgerufen am 25.04.2024.