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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Das Kriegsrecht.
verhindert. Vgl. oben § 466. Mit Rücksicht auf die Gefahr des Kriegs wird in
solchen Fällen aber ein ernstes Einschreiten des Stats gegen solche böswillige Ver-
letzer der Waffenruhe oder des Waffenstillstandes gefordert. Wird dasselbe verzögert
oder vernachlässigt, so wird das schon als Begünstigung der That gedeutet und
diese ist in ihren Wirkungen dem Vertragsbruch des States selber gleich zu achten.

697.

Capitulation bedeutet die Ergebung eines Truppenkörpers oder Kriegs-
schiffs oder die Uebergabe eines bedrohten Platzes an die feindliche Kriegs-
macht. Die Capitulation kann unter Bedingungen und mit besondern
Vorbehalten geschehen, z. B. wenn nicht binnen einer Frist Entsatztruppen
erscheinen, oder mit Vorbehalt freien Abzugs der Besatzung. Völkerrecht
und Kriegsehre fordern, daß diese Verabredungen in guter Treue gehalten
werden.

1. Die Capitulation wird meist in der Absicht geschlossen, durch Auf-
geben eines erfolglosen Kampfes unnützes Blutvergießen zu verhindern. Diese Absicht
wird durch Aufhissen einer weißen Flagge oder Aufstecken einer weißen Fahne
dem Gegner angezeigt, und dann gewöhnlich durch Parlamentäre über die Capitu-
lationsbedingungen unterhandelt.

2. Die Kriegsgeschichte kennt leider manche Beispiele, daß die Capitu-
lationsbedingungen
von dem Sieger nicht beachtet wurden. Aber in allen
Zeiten hat der Rechtssinn der öffentlichen Meinung solchen Treubruch verurtheilt.
Schlimm ist es freilich, daß Beschwerden darüber, die ihrer Natur nach völkerrechtlich
sind, nur auf den mangelhaften und in Kriegszeiten überdem höchst unsichern Schutz
des Völkerrechts
angewiesen sind. Vgl. Phillimore III. § 122.

698.

Die Uebergabe auf Gnade und Ungnade berechtigt den Sieger nicht
mehr, die Uebergebenen zu tödten, wohl aber die Truppen, welche sich
ergeben haben, kriegsgefangen zu machen.

Die bedingungslose Capitulation wird von Alters her so benannt. Das
ältere barbarische Recht sicherte den Uebergebenen nicht einmal das nackte Leben. Das
heutige humanere Völkerrecht erkennt dem Sieger kein solches vermeintliches jus
vitae ac necis
mehr zu. Vgl. oben zu 568. 579. 584.

699.

Der Befehlshaber der feindlichen Truppen, welche einen Platz be-

Das Kriegsrecht.
verhindert. Vgl. oben § 466. Mit Rückſicht auf die Gefahr des Kriegs wird in
ſolchen Fällen aber ein ernſtes Einſchreiten des Stats gegen ſolche böswillige Ver-
letzer der Waffenruhe oder des Waffenſtillſtandes gefordert. Wird dasſelbe verzögert
oder vernachläſſigt, ſo wird das ſchon als Begünſtigung der That gedeutet und
dieſe iſt in ihren Wirkungen dem Vertragsbruch des States ſelber gleich zu achten.

697.

Capitulation bedeutet die Ergebung eines Truppenkörpers oder Kriegs-
ſchiffs oder die Uebergabe eines bedrohten Platzes an die feindliche Kriegs-
macht. Die Capitulation kann unter Bedingungen und mit beſondern
Vorbehalten geſchehen, z. B. wenn nicht binnen einer Friſt Entſatztruppen
erſcheinen, oder mit Vorbehalt freien Abzugs der Beſatzung. Völkerrecht
und Kriegsehre fordern, daß dieſe Verabredungen in guter Treue gehalten
werden.

1. Die Capitulation wird meiſt in der Abſicht geſchloſſen, durch Auf-
geben eines erfolgloſen Kampfes unnützes Blutvergießen zu verhindern. Dieſe Abſicht
wird durch Aufhiſſen einer weißen Flagge oder Aufſtecken einer weißen Fahne
dem Gegner angezeigt, und dann gewöhnlich durch Parlamentäre über die Capitu-
lationsbedingungen unterhandelt.

2. Die Kriegsgeſchichte kennt leider manche Beiſpiele, daß die Capitu-
lationsbedingungen
von dem Sieger nicht beachtet wurden. Aber in allen
Zeiten hat der Rechtsſinn der öffentlichen Meinung ſolchen Treubruch verurtheilt.
Schlimm iſt es freilich, daß Beſchwerden darüber, die ihrer Natur nach völkerrechtlich
ſind, nur auf den mangelhaften und in Kriegszeiten überdem höchſt unſichern Schutz
des Völkerrechts
angewieſen ſind. Vgl. Phillimore III. § 122.

698.

Die Uebergabe auf Gnade und Ungnade berechtigt den Sieger nicht
mehr, die Uebergebenen zu tödten, wohl aber die Truppen, welche ſich
ergeben haben, kriegsgefangen zu machen.

Die bedingungsloſe Capitulation wird von Alters her ſo benannt. Das
ältere barbariſche Recht ſicherte den Uebergebenen nicht einmal das nackte Leben. Das
heutige humanere Völkerrecht erkennt dem Sieger kein ſolches vermeintliches jus
vitae ac necis
mehr zu. Vgl. oben zu 568. 579. 584.

699.

Der Befehlshaber der feindlichen Truppen, welche einen Platz be-

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[379/0401] Das Kriegsrecht. verhindert. Vgl. oben § 466. Mit Rückſicht auf die Gefahr des Kriegs wird in ſolchen Fällen aber ein ernſtes Einſchreiten des Stats gegen ſolche böswillige Ver- letzer der Waffenruhe oder des Waffenſtillſtandes gefordert. Wird dasſelbe verzögert oder vernachläſſigt, ſo wird das ſchon als Begünſtigung der That gedeutet und dieſe iſt in ihren Wirkungen dem Vertragsbruch des States ſelber gleich zu achten. 697. Capitulation bedeutet die Ergebung eines Truppenkörpers oder Kriegs- ſchiffs oder die Uebergabe eines bedrohten Platzes an die feindliche Kriegs- macht. Die Capitulation kann unter Bedingungen und mit beſondern Vorbehalten geſchehen, z. B. wenn nicht binnen einer Friſt Entſatztruppen erſcheinen, oder mit Vorbehalt freien Abzugs der Beſatzung. Völkerrecht und Kriegsehre fordern, daß dieſe Verabredungen in guter Treue gehalten werden. 1. Die Capitulation wird meiſt in der Abſicht geſchloſſen, durch Auf- geben eines erfolgloſen Kampfes unnützes Blutvergießen zu verhindern. Dieſe Abſicht wird durch Aufhiſſen einer weißen Flagge oder Aufſtecken einer weißen Fahne dem Gegner angezeigt, und dann gewöhnlich durch Parlamentäre über die Capitu- lationsbedingungen unterhandelt. 2. Die Kriegsgeſchichte kennt leider manche Beiſpiele, daß die Capitu- lationsbedingungen von dem Sieger nicht beachtet wurden. Aber in allen Zeiten hat der Rechtsſinn der öffentlichen Meinung ſolchen Treubruch verurtheilt. Schlimm iſt es freilich, daß Beſchwerden darüber, die ihrer Natur nach völkerrechtlich ſind, nur auf den mangelhaften und in Kriegszeiten überdem höchſt unſichern Schutz des Völkerrechts angewieſen ſind. Vgl. Phillimore III. § 122. 698. Die Uebergabe auf Gnade und Ungnade berechtigt den Sieger nicht mehr, die Uebergebenen zu tödten, wohl aber die Truppen, welche ſich ergeben haben, kriegsgefangen zu machen. Die bedingungsloſe Capitulation wird von Alters her ſo benannt. Das ältere barbariſche Recht ſicherte den Uebergebenen nicht einmal das nackte Leben. Das heutige humanere Völkerrecht erkennt dem Sieger kein ſolches vermeintliches jus vitae ac necis mehr zu. Vgl. oben zu 568. 579. 584. 699. Der Befehlshaber der feindlichen Truppen, welche einen Platz be-

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 379. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/401>, abgerufen am 18.04.2024.