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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Recht der Neutralität.
hunderten vorzugsweise zum Kriegsschauplatz zwischen Frankreich und Deutschland dienen
mußte, vor diesen Gefahren gesichert und das europäische Kriegsfeld eingeengt werden
soll. Wheaton Int. L. § 421.

c) Die Neutralität des Fürstenthums Serbien zufolge des Pariser Vertrags
vom 30. März 1866.

d) Die Neutralität des Großherzogthums Luxemburg nach dem Londoner
Vertrag von 1867.

746.

Es gibt eine vollständige und eine theilweise oder beschränkte Neu-
tralität, indem ein Stat einer Kriegspartei vertragsmäßig zu einer be-
schränkten Hülfe verpflichtet sein und diese Pflicht erfüllen kann, ohne sich
im übrigen an dem Kriege zu betheiligen.

Ein Beispiel ist das Recht der Schweiz, einige Savoyische Gebietstheile in
einem französisch-italienischen Kriege zu besetzen und dadurch zu schützen, ein Recht,
welches freilich einen ganz andern Sinn hatte, so lange Savoyen zu Piemont ge-
hörte, als seitdem es eine französische Provinz geworden ist.

747.

Es kann sogar zum Behuf der engeren Eingrenzung des Kriegs-
feldes ein Theil des Statsgebiets der Kriegspartei selbst neutralisirt d. h.
für neutral erklärt und dadurch von der Gefahr des Kriegs befreit werden.

Die Localisirung des Kriegs beschränkt die Leiden des Kriegs und ist
daher sehr zu empfehlen. Es kann das freilich nur thatsächlich geschehen, wie
z. B. in dem Deutsch-Dänischen Kriege von 1863/64 der Krieg auf das Herzogthum
Schleswig und Jütland beschränkt war. Dann ist das noch nicht wirkliche Neutra-
lisirung der übrigen Gebiete der Kriegsparteien und hängt es von dem Ermessen
der Heerführer ab, den Kriegsschauplatz auch dorthin zu verlegen. Es kann das
aber durch Uebereinkunft auch rechtlich festgestellt werden, z. B. daß der Krieg
nur in den überseeischen Colonien, nicht in Europa geführt werde, oder umgekehrt.
Während des Kriegs von Oesterreich wider Frankreich und Italien wurde so der theil-
weise von den Franzosen und theilweise von den Oesterreichern besetzte Kirchenstat
neutralisirt (1859). Die von den Parteien verabredete Eingrenzung des Kriegs-
feldes schließt also eine beschränkte Neutralisirung der übrigen Statsgebiete in sich.

748.

Die Neutralität heißt eine bewaffnete, wenn der neutrale Stat in
der Absicht zu den Waffen greift, seine Neutralität und damit seine Friedens-
rechte gegen jede Verletzung einer der Kriegsparteien zu schützen.

Recht der Neutralität.
hunderten vorzugsweiſe zum Kriegsſchauplatz zwiſchen Frankreich und Deutſchland dienen
mußte, vor dieſen Gefahren geſichert und das europäiſche Kriegsfeld eingeengt werden
ſoll. Wheaton Int. L. § 421.

c) Die Neutralität des Fürſtenthums Serbien zufolge des Pariſer Vertrags
vom 30. März 1866.

d) Die Neutralität des Großherzogthums Luxemburg nach dem Londoner
Vertrag von 1867.

746.

Es gibt eine vollſtändige und eine theilweiſe oder beſchränkte Neu-
tralität, indem ein Stat einer Kriegspartei vertragsmäßig zu einer be-
ſchränkten Hülfe verpflichtet ſein und dieſe Pflicht erfüllen kann, ohne ſich
im übrigen an dem Kriege zu betheiligen.

Ein Beiſpiel iſt das Recht der Schweiz, einige Savoyiſche Gebietstheile in
einem franzöſiſch-italieniſchen Kriege zu beſetzen und dadurch zu ſchützen, ein Recht,
welches freilich einen ganz andern Sinn hatte, ſo lange Savoyen zu Piemont ge-
hörte, als ſeitdem es eine franzöſiſche Provinz geworden iſt.

747.

Es kann ſogar zum Behuf der engeren Eingrenzung des Kriegs-
feldes ein Theil des Statsgebiets der Kriegspartei ſelbſt neutraliſirt d. h.
für neutral erklärt und dadurch von der Gefahr des Kriegs befreit werden.

Die Localiſirung des Kriegs beſchränkt die Leiden des Kriegs und iſt
daher ſehr zu empfehlen. Es kann das freilich nur thatſächlich geſchehen, wie
z. B. in dem Deutſch-Däniſchen Kriege von 1863/64 der Krieg auf das Herzogthum
Schleswig und Jütland beſchränkt war. Dann iſt das noch nicht wirkliche Neutra-
liſirung der übrigen Gebiete der Kriegsparteien und hängt es von dem Ermeſſen
der Heerführer ab, den Kriegsſchauplatz auch dorthin zu verlegen. Es kann das
aber durch Uebereinkunft auch rechtlich feſtgeſtellt werden, z. B. daß der Krieg
nur in den überſeeiſchen Colonien, nicht in Europa geführt werde, oder umgekehrt.
Während des Kriegs von Oeſterreich wider Frankreich und Italien wurde ſo der theil-
weiſe von den Franzoſen und theilweiſe von den Oeſterreichern beſetzte Kirchenſtat
neutraliſirt (1859). Die von den Parteien verabredete Eingrenzung des Kriegs-
feldes ſchließt alſo eine beſchränkte Neutraliſirung der übrigen Statsgebiete in ſich.

748.

Die Neutralität heißt eine bewaffnete, wenn der neutrale Stat in
der Abſicht zu den Waffen greift, ſeine Neutralität und damit ſeine Friedens-
rechte gegen jede Verletzung einer der Kriegsparteien zu ſchützen.

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[405/0427] Recht der Neutralität. hunderten vorzugsweiſe zum Kriegsſchauplatz zwiſchen Frankreich und Deutſchland dienen mußte, vor dieſen Gefahren geſichert und das europäiſche Kriegsfeld eingeengt werden ſoll. Wheaton Int. L. § 421. c) Die Neutralität des Fürſtenthums Serbien zufolge des Pariſer Vertrags vom 30. März 1866. d) Die Neutralität des Großherzogthums Luxemburg nach dem Londoner Vertrag von 1867. 746. Es gibt eine vollſtändige und eine theilweiſe oder beſchränkte Neu- tralität, indem ein Stat einer Kriegspartei vertragsmäßig zu einer be- ſchränkten Hülfe verpflichtet ſein und dieſe Pflicht erfüllen kann, ohne ſich im übrigen an dem Kriege zu betheiligen. Ein Beiſpiel iſt das Recht der Schweiz, einige Savoyiſche Gebietstheile in einem franzöſiſch-italieniſchen Kriege zu beſetzen und dadurch zu ſchützen, ein Recht, welches freilich einen ganz andern Sinn hatte, ſo lange Savoyen zu Piemont ge- hörte, als ſeitdem es eine franzöſiſche Provinz geworden iſt. 747. Es kann ſogar zum Behuf der engeren Eingrenzung des Kriegs- feldes ein Theil des Statsgebiets der Kriegspartei ſelbſt neutraliſirt d. h. für neutral erklärt und dadurch von der Gefahr des Kriegs befreit werden. Die Localiſirung des Kriegs beſchränkt die Leiden des Kriegs und iſt daher ſehr zu empfehlen. Es kann das freilich nur thatſächlich geſchehen, wie z. B. in dem Deutſch-Däniſchen Kriege von 1863/64 der Krieg auf das Herzogthum Schleswig und Jütland beſchränkt war. Dann iſt das noch nicht wirkliche Neutra- liſirung der übrigen Gebiete der Kriegsparteien und hängt es von dem Ermeſſen der Heerführer ab, den Kriegsſchauplatz auch dorthin zu verlegen. Es kann das aber durch Uebereinkunft auch rechtlich feſtgeſtellt werden, z. B. daß der Krieg nur in den überſeeiſchen Colonien, nicht in Europa geführt werde, oder umgekehrt. Während des Kriegs von Oeſterreich wider Frankreich und Italien wurde ſo der theil- weiſe von den Franzoſen und theilweiſe von den Oeſterreichern beſetzte Kirchenſtat neutraliſirt (1859). Die von den Parteien verabredete Eingrenzung des Kriegs- feldes ſchließt alſo eine beſchränkte Neutraliſirung der übrigen Statsgebiete in ſich. 748. Die Neutralität heißt eine bewaffnete, wenn der neutrale Stat in der Abſicht zu den Waffen greift, ſeine Neutralität und damit ſeine Friedens- rechte gegen jede Verletzung einer der Kriegsparteien zu ſchützen.

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 405. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/427>, abgerufen am 19.04.2024.