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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Neuntes Buch.
Es wird demnach keine Klage auf Erfüllung zugelassen. Vgl. die Erkenntnisse in
der hellenischen Anleihe von 1826 bei Phillimore III. § 151. Oberrichter
Best: "Es ist wider das Völkerrecht, daß Personen, welche in diesem Lande wohnen,
sich auf Unterhandlungen einlassen, um Darlehusgelder zu erheben, welche bestimmt
sind, die aufständischen Unterthanen im Kriege gegen eine Regierung zu unterstützen,
mit welcher wir befreundet sind; und deßhalb ist keine auf Erfüllung gerichtete
Klage zuzulassen".

2. Meines Erachtens ist jedoch nur die offenbare Kriegsanleihe nicht
zu dulden. Dagegen ist eine Geldsammlung aus Gründen der Humanität,
z. B. zu Gunsten der Verwundeten, der vom Kriegsunglück betroffenen Familien,
der Bertriebenen, der Kriegsgefangenen u. s. f. durchaus nicht eine feindliche Hand-
lung, auch nicht wenn sie ausschließlich sich auf die Angehörigen der einen Kriegs-
partei bezieht, und gefährdet die Neutralität nicht.

3. Das Ausschreiben einer Kriegsanleihe hat, weil es öffentlich und in
der Absicht geschieht, die Parteinahme möglichst auszubreiten, einen ähnlichen Cha-
rakter, wie die Werbung von Hülfstruppen. Deßhalb darf der neutrale Stat das
nicht dulden. Wenn aber einzelne Privatpersonen die kriegführende Macht
mit Geld unterstützen, so ist das dem Beitritt einzelner Freiwilliger zu
einer fremden Kriegsarmee zu vergleichen. Das sind individuelle Handlun-
gen
, die der neutrale Stat nicht verhindern kann, und für die er nicht verantwort-
lich ist. Es kann auch das durch die Strafgesetze eines Landes verboten sein. Aber
das Völkerrecht kümmert sich nicht weiter darum.

769.

Der neutrale Stat darf nicht gestatten, daß sein Gebiet von einer
Kriegspartei zu Kriegszwecken benutzt werde.

Es ist das der allgemeinste Ausdruck eines Grundsatzes, dessen nähere Aus-
führung sich in den §§ 770 ff. findet. Der neutrale Stat muß sein Gebiet
neutral erhalten
, was nicht geschieht, wenn eine fremde Kriegspartei in dem-
selben Krieg führt oder sich desselben für die Kriegsführung bemächtigt.

770.

Es darf daher keiner Kriegspartei der Durchmarsch durch das neu-
trale Gebiet gestattet werden.

Auch wenn der regelmäßige Weg, auf welchem die Staten, die nun zum
Kriege kommen, mit einander oder in sich verbunden sind, über das neutrale Gebiet
hinführt, so erfordert es dennoch die Pflicht der Neutralität, daß nun den feindlichen
Heeren der Durchmarsch verweigert werde. Der Durchmarsch der französischen Trup-
pen über das neutrale Preußische Gebiet im October 1805 war eine Mißachtung der

Neuntes Buch.
Es wird demnach keine Klage auf Erfüllung zugelaſſen. Vgl. die Erkenntniſſe in
der helleniſchen Anleihe von 1826 bei Phillimore III. § 151. Oberrichter
Beſt: „Es iſt wider das Völkerrecht, daß Perſonen, welche in dieſem Lande wohnen,
ſich auf Unterhandlungen einlaſſen, um Darlehusgelder zu erheben, welche beſtimmt
ſind, die aufſtändiſchen Unterthanen im Kriege gegen eine Regierung zu unterſtützen,
mit welcher wir befreundet ſind; und deßhalb iſt keine auf Erfüllung gerichtete
Klage zuzulaſſen“.

2. Meines Erachtens iſt jedoch nur die offenbare Kriegsanleihe nicht
zu dulden. Dagegen iſt eine Geldſammlung aus Gründen der Humanität,
z. B. zu Gunſten der Verwundeten, der vom Kriegsunglück betroffenen Familien,
der Bertriebenen, der Kriegsgefangenen u. ſ. f. durchaus nicht eine feindliche Hand-
lung, auch nicht wenn ſie ausſchließlich ſich auf die Angehörigen der einen Kriegs-
partei bezieht, und gefährdet die Neutralität nicht.

3. Das Ausſchreiben einer Kriegsanleihe hat, weil es öffentlich und in
der Abſicht geſchieht, die Parteinahme möglichſt auszubreiten, einen ähnlichen Cha-
rakter, wie die Werbung von Hülfstruppen. Deßhalb darf der neutrale Stat das
nicht dulden. Wenn aber einzelne Privatperſonen die kriegführende Macht
mit Geld unterſtützen, ſo iſt das dem Beitritt einzelner Freiwilliger zu
einer fremden Kriegsarmee zu vergleichen. Das ſind individuelle Handlun-
gen
, die der neutrale Stat nicht verhindern kann, und für die er nicht verantwort-
lich iſt. Es kann auch das durch die Strafgeſetze eines Landes verboten ſein. Aber
das Völkerrecht kümmert ſich nicht weiter darum.

769.

Der neutrale Stat darf nicht geſtatten, daß ſein Gebiet von einer
Kriegspartei zu Kriegszwecken benutzt werde.

Es iſt das der allgemeinſte Ausdruck eines Grundſatzes, deſſen nähere Aus-
führung ſich in den §§ 770 ff. findet. Der neutrale Stat muß ſein Gebiet
neutral erhalten
, was nicht geſchieht, wenn eine fremde Kriegspartei in dem-
ſelben Krieg führt oder ſich desſelben für die Kriegsführung bemächtigt.

770.

Es darf daher keiner Kriegspartei der Durchmarſch durch das neu-
trale Gebiet geſtattet werden.

Auch wenn der regelmäßige Weg, auf welchem die Staten, die nun zum
Kriege kommen, mit einander oder in ſich verbunden ſind, über das neutrale Gebiet
hinführt, ſo erfordert es dennoch die Pflicht der Neutralität, daß nun den feindlichen
Heeren der Durchmarſch verweigert werde. Der Durchmarſch der franzöſiſchen Trup-
pen über das neutrale Preußiſche Gebiet im October 1805 war eine Mißachtung der

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[416/0438] Neuntes Buch. Es wird demnach keine Klage auf Erfüllung zugelaſſen. Vgl. die Erkenntniſſe in der helleniſchen Anleihe von 1826 bei Phillimore III. § 151. Oberrichter Beſt: „Es iſt wider das Völkerrecht, daß Perſonen, welche in dieſem Lande wohnen, ſich auf Unterhandlungen einlaſſen, um Darlehusgelder zu erheben, welche beſtimmt ſind, die aufſtändiſchen Unterthanen im Kriege gegen eine Regierung zu unterſtützen, mit welcher wir befreundet ſind; und deßhalb iſt keine auf Erfüllung gerichtete Klage zuzulaſſen“. 2. Meines Erachtens iſt jedoch nur die offenbare Kriegsanleihe nicht zu dulden. Dagegen iſt eine Geldſammlung aus Gründen der Humanität, z. B. zu Gunſten der Verwundeten, der vom Kriegsunglück betroffenen Familien, der Bertriebenen, der Kriegsgefangenen u. ſ. f. durchaus nicht eine feindliche Hand- lung, auch nicht wenn ſie ausſchließlich ſich auf die Angehörigen der einen Kriegs- partei bezieht, und gefährdet die Neutralität nicht. 3. Das Ausſchreiben einer Kriegsanleihe hat, weil es öffentlich und in der Abſicht geſchieht, die Parteinahme möglichſt auszubreiten, einen ähnlichen Cha- rakter, wie die Werbung von Hülfstruppen. Deßhalb darf der neutrale Stat das nicht dulden. Wenn aber einzelne Privatperſonen die kriegführende Macht mit Geld unterſtützen, ſo iſt das dem Beitritt einzelner Freiwilliger zu einer fremden Kriegsarmee zu vergleichen. Das ſind individuelle Handlun- gen, die der neutrale Stat nicht verhindern kann, und für die er nicht verantwort- lich iſt. Es kann auch das durch die Strafgeſetze eines Landes verboten ſein. Aber das Völkerrecht kümmert ſich nicht weiter darum. 769. Der neutrale Stat darf nicht geſtatten, daß ſein Gebiet von einer Kriegspartei zu Kriegszwecken benutzt werde. Es iſt das der allgemeinſte Ausdruck eines Grundſatzes, deſſen nähere Aus- führung ſich in den §§ 770 ff. findet. Der neutrale Stat muß ſein Gebiet neutral erhalten, was nicht geſchieht, wenn eine fremde Kriegspartei in dem- ſelben Krieg führt oder ſich desſelben für die Kriegsführung bemächtigt. 770. Es darf daher keiner Kriegspartei der Durchmarſch durch das neu- trale Gebiet geſtattet werden. Auch wenn der regelmäßige Weg, auf welchem die Staten, die nun zum Kriege kommen, mit einander oder in ſich verbunden ſind, über das neutrale Gebiet hinführt, ſo erfordert es dennoch die Pflicht der Neutralität, daß nun den feindlichen Heeren der Durchmarſch verweigert werde. Der Durchmarſch der franzöſiſchen Trup- pen über das neutrale Preußiſche Gebiet im October 1805 war eine Mißachtung der

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 416. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/438>, abgerufen am 28.03.2024.