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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Zweites Buch.
54.

Das Statsverwögen der untergehenden Staten geht in Activen und
Passiven auf den oder die Nachfolgestaten über.

Es gibt ein statsrechtliches Folgerecht, das eine gewisse Analogie hat
mit dem privatrechtlichen Erbrecht, aber nicht mit demselben zu verwechseln
ist. Das Statsvermögen kann bestehen:

a) aus öffentlichem Gute (Domaine public), welches entweder von
Natur, wie die öffentlichen Gewässer, Straßen, Plätze, Häfen u. s. f. oder
durch besondere statliche Anordnung wie Residenzen, Rath- und Gerichts-
häuser, Casernen, Gefängnisse u. dgl. dem Privatrecht entzogen ist und
ausschließlich der öffentlichen Herrschaft und Benutzung angehört oder
b) aus Privatgut, welches dem Fiscus gehört, wie z. B. einzelne Ge-
werbe, landwirthschaftliche Grundstücke, Geld.

Auf all dieses Vermögen bezieht sich dieses statliche Folgerecht. Für das öf-
fentliche Gut versteht es sich von selber, daß dasselbe dem State folgt, dem es dient.
Aber auch das Privatvermögen des States wird nicht herrenloses Gut, wenn der
Stat untergeht, sondern da die Person, welcher es bisher angehörte, nicht gänzlich
verschwindet, sondern mit Volk und Land, also ihrem Stoffe nach in den neuen
Stat übergeht
, folgt es naturgemäß dieser persönlichen Wandelung nach, und
wird deßhalb Privatgut des neuen States, in welchem der Stoff des alten
States fortlebt
.

55.

Sind mehrere Nachfolgestaten vorhanden, welche an die Stelle des
Einen untergehenden States treten, und ist die Art der Theilung des
Staatsvermögens nicht vertragsmäßig geordnet worden, so sind nicht die
privatrechtlichen Regeln der Erbtheilung unter mehrere Erben einfach an-
zuwenden, sondern es ist voraus die öffentlich-rechtliche Natur des öffent-
lichen Gutes zu berücksichtigen.

Die öffentlich-rechtliche Statenfolge und das privatrechtliche Erbrecht sind in-
sofern ähnlich, daß in beiden Fällen das bisherige Subject des Vermögens dort durch
Untergang hier durch Tod wegfällt, aber das Vermögen desselben auf andere Per-
sonen übergeht, welche in gewissem Sinne als Fortsetzer seiner Persönlichkeit ange-
sehen werden. Aber das gesetzliche Privaterbrecht beruht auf dem Familienverband
zwischen Erblasser und Erben, welcher bei der Statenfolge fehlt, und die Statenfolge
beruht auf dem totalen oder theilweisen Uebergang von Volk und Land auf den
Folgestat. Die privatrechtliche Verlassenschaft hat nur eine Beziehung auf die Per-
sonen der Erben und wird daher je nach der Nähe ihrer Verwandtschaft unter die-
selben vertheilt, sei es nach Stämmen, sei es nach Köpfen. Das zurückgelassene
Statsvermögen dagegen hat eine natürliche Beziehung zu Volk und Land und

Zweites Buch.
54.

Das Statsverwögen der untergehenden Staten geht in Activen und
Paſſiven auf den oder die Nachfolgeſtaten über.

Es gibt ein ſtatsrechtliches Folgerecht, das eine gewiſſe Analogie hat
mit dem privatrechtlichen Erbrecht, aber nicht mit demſelben zu verwechſeln
iſt. Das Statsvermögen kann beſtehen:

a) aus öffentlichem Gute (Domaine public), welches entweder von
Natur, wie die öffentlichen Gewäſſer, Straßen, Plätze, Häfen u. ſ. f. oder
durch beſondere ſtatliche Anordnung wie Reſidenzen, Rath- und Gerichts-
häuſer, Caſernen, Gefängniſſe u. dgl. dem Privatrecht entzogen iſt und
ausſchließlich der öffentlichen Herrſchaft und Benutzung angehört oder
b) aus Privatgut, welches dem Fiscus gehört, wie z. B. einzelne Ge-
werbe, landwirthſchaftliche Grundſtücke, Geld.

Auf all dieſes Vermögen bezieht ſich dieſes ſtatliche Folgerecht. Für das öf-
fentliche Gut verſteht es ſich von ſelber, daß dasſelbe dem State folgt, dem es dient.
Aber auch das Privatvermögen des States wird nicht herrenloſes Gut, wenn der
Stat untergeht, ſondern da die Perſon, welcher es bisher angehörte, nicht gänzlich
verſchwindet, ſondern mit Volk und Land, alſo ihrem Stoffe nach in den neuen
Stat übergeht
, folgt es naturgemäß dieſer perſönlichen Wandelung nach, und
wird deßhalb Privatgut des neuen States, in welchem der Stoff des alten
States fortlebt
.

55.

Sind mehrere Nachfolgeſtaten vorhanden, welche an die Stelle des
Einen untergehenden States treten, und iſt die Art der Theilung des
Staatsvermögens nicht vertragsmäßig geordnet worden, ſo ſind nicht die
privatrechtlichen Regeln der Erbtheilung unter mehrere Erben einfach an-
zuwenden, ſondern es iſt voraus die öffentlich-rechtliche Natur des öffent-
lichen Gutes zu berückſichtigen.

Die öffentlich-rechtliche Statenfolge und das privatrechtliche Erbrecht ſind in-
ſofern ähnlich, daß in beiden Fällen das bisherige Subject des Vermögens dort durch
Untergang hier durch Tod wegfällt, aber das Vermögen desſelben auf andere Per-
ſonen übergeht, welche in gewiſſem Sinne als Fortſetzer ſeiner Perſönlichkeit ange-
ſehen werden. Aber das geſetzliche Privaterbrecht beruht auf dem Familienverband
zwiſchen Erblaſſer und Erben, welcher bei der Statenfolge fehlt, und die Statenfolge
beruht auf dem totalen oder theilweiſen Uebergang von Volk und Land auf den
Folgeſtat. Die privatrechtliche Verlaſſenſchaft hat nur eine Beziehung auf die Per-
ſonen der Erben und wird daher je nach der Nähe ihrer Verwandtſchaft unter die-
ſelben vertheilt, ſei es nach Stämmen, ſei es nach Köpfen. Das zurückgelaſſene
Statsvermögen dagegen hat eine natürliche Beziehung zu Volk und Land und

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[80/0102] Zweites Buch. 54. Das Statsverwögen der untergehenden Staten geht in Activen und Paſſiven auf den oder die Nachfolgeſtaten über. Es gibt ein ſtatsrechtliches Folgerecht, das eine gewiſſe Analogie hat mit dem privatrechtlichen Erbrecht, aber nicht mit demſelben zu verwechſeln iſt. Das Statsvermögen kann beſtehen: a) aus öffentlichem Gute (Domaine public), welches entweder von Natur, wie die öffentlichen Gewäſſer, Straßen, Plätze, Häfen u. ſ. f. oder durch beſondere ſtatliche Anordnung wie Reſidenzen, Rath- und Gerichts- häuſer, Caſernen, Gefängniſſe u. dgl. dem Privatrecht entzogen iſt und ausſchließlich der öffentlichen Herrſchaft und Benutzung angehört oder b) aus Privatgut, welches dem Fiscus gehört, wie z. B. einzelne Ge- werbe, landwirthſchaftliche Grundſtücke, Geld. Auf all dieſes Vermögen bezieht ſich dieſes ſtatliche Folgerecht. Für das öf- fentliche Gut verſteht es ſich von ſelber, daß dasſelbe dem State folgt, dem es dient. Aber auch das Privatvermögen des States wird nicht herrenloſes Gut, wenn der Stat untergeht, ſondern da die Perſon, welcher es bisher angehörte, nicht gänzlich verſchwindet, ſondern mit Volk und Land, alſo ihrem Stoffe nach in den neuen Stat übergeht, folgt es naturgemäß dieſer perſönlichen Wandelung nach, und wird deßhalb Privatgut des neuen States, in welchem der Stoff des alten States fortlebt. 55. Sind mehrere Nachfolgeſtaten vorhanden, welche an die Stelle des Einen untergehenden States treten, und iſt die Art der Theilung des Staatsvermögens nicht vertragsmäßig geordnet worden, ſo ſind nicht die privatrechtlichen Regeln der Erbtheilung unter mehrere Erben einfach an- zuwenden, ſondern es iſt voraus die öffentlich-rechtliche Natur des öffent- lichen Gutes zu berückſichtigen. Die öffentlich-rechtliche Statenfolge und das privatrechtliche Erbrecht ſind in- ſofern ähnlich, daß in beiden Fällen das bisherige Subject des Vermögens dort durch Untergang hier durch Tod wegfällt, aber das Vermögen desſelben auf andere Per- ſonen übergeht, welche in gewiſſem Sinne als Fortſetzer ſeiner Perſönlichkeit ange- ſehen werden. Aber das geſetzliche Privaterbrecht beruht auf dem Familienverband zwiſchen Erblaſſer und Erben, welcher bei der Statenfolge fehlt, und die Statenfolge beruht auf dem totalen oder theilweiſen Uebergang von Volk und Land auf den Folgeſtat. Die privatrechtliche Verlaſſenſchaft hat nur eine Beziehung auf die Per- ſonen der Erben und wird daher je nach der Nähe ihrer Verwandtſchaft unter die- ſelben vertheilt, ſei es nach Stämmen, ſei es nach Köpfen. Das zurückgelaſſene Statsvermögen dagegen hat eine natürliche Beziehung zu Volk und Land und

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/102>, abgerufen am 28.03.2024.