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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Drittes Buch.
186.

Schon vor Ueberreichung des Creditivs wird der Gesante, der sich
durch seine Pässe oder in anderer glaubhafter Form als solchen ausweist,
als eine völkerrechtlich besonders gesicherte und begünstigte Person behandelt,
aber erst in Folge der Abgabe und Annahme des Creditivs erhält er dem
besendeten State gegenüber volles Gesantenrecht seinem Range gemäß.

Das Völkerrecht muß den Gesanten schon unterwegs schützen, wenn er an
den besendeten Hof reist. Aber erst von der Ueberreichung des Creditivs an ist er
wirklicher Gesanter bei dem besendeten State. Bis dahin war er designirter Ge-
santer. Auf jenen völkerrechtlichen Schutz hat der Gesante auch in einem fremden
Lande, durch welches er reist, einen naturgemäßen Anspruch. Die Ermordung
der französischen Gesanten nach Venedig und Constantinopel in der Lombardei gab
dem Könige Franz I. einen gerechten Grund zu der ernstesten Beschwerde gegen
Kaiser Carl V als über eine schwere Verletzung des Völkerrechts. Vgl. Vattel
IV. § 84.

187.

Der Ueberreichung des Creditivs geht die Notification der Ankunft
des Gesanten bei dem Ministerium des Aeußern vorher. Von da an wird
der diplomatische Altersrang gerechnet (Art. 176).

Mit der Notification wird die Mittheilung einer Abschrift des Creditivs ver-
bunden.

188.

Der Unterschied der verschiedenen Classen der Gesanten hat einen
Einfluß auf das bei der Ueberreichung und Annahme des Creditivs übliche
Ceremoniel und auf die persönlichen Beziehungen am Hofe, aber ist für
das statliche Rechtsverhältniß selbst nicht erheblich.

So läßt der Botschafter seine Ankunft durch einen Cavalier der Gesantschaft
oder seinen Secretair anmelden, die Gesanten zweiter und dritter Classe schreiben
unmittelbar an den Minister des Aeußern. Der Botschafter wird mit Kanonen-
schüssen bei dem feierlichen Empfang salutirt, die übrigen Gesanten nicht; u. dgl.

189.

Das Ceremoniel wird im Einzelnen durch die Landes- und Hofsitte
bestimmt. Aber es ist eine völkerrechtliche Pflicht des Empfangstates, in
demselben nichts anzuordnen, was die Ehre des Absendestates verletzt oder

Drittes Buch.
186.

Schon vor Ueberreichung des Creditivs wird der Geſante, der ſich
durch ſeine Päſſe oder in anderer glaubhafter Form als ſolchen ausweist,
als eine völkerrechtlich beſonders geſicherte und begünſtigte Perſon behandelt,
aber erſt in Folge der Abgabe und Annahme des Creditivs erhält er dem
beſendeten State gegenüber volles Geſantenrecht ſeinem Range gemäß.

Das Völkerrecht muß den Geſanten ſchon unterwegs ſchützen, wenn er an
den beſendeten Hof reiſt. Aber erſt von der Ueberreichung des Creditivs an iſt er
wirklicher Geſanter bei dem beſendeten State. Bis dahin war er deſignirter Ge-
ſanter. Auf jenen völkerrechtlichen Schutz hat der Geſante auch in einem fremden
Lande, durch welches er reist, einen naturgemäßen Anſpruch. Die Ermordung
der franzöſiſchen Geſanten nach Venedig und Conſtantinopel in der Lombardei gab
dem Könige Franz I. einen gerechten Grund zu der ernſteſten Beſchwerde gegen
Kaiſer Carl V als über eine ſchwere Verletzung des Völkerrechts. Vgl. Vattel
IV. § 84.

187.

Der Ueberreichung des Creditivs geht die Notification der Ankunft
des Geſanten bei dem Miniſterium des Aeußern vorher. Von da an wird
der diplomatiſche Altersrang gerechnet (Art. 176).

Mit der Notification wird die Mittheilung einer Abſchrift des Creditivs ver-
bunden.

188.

Der Unterſchied der verſchiedenen Claſſen der Geſanten hat einen
Einfluß auf das bei der Ueberreichung und Annahme des Creditivs übliche
Ceremoniel und auf die perſönlichen Beziehungen am Hofe, aber iſt für
das ſtatliche Rechtsverhältniß ſelbſt nicht erheblich.

So läßt der Botſchafter ſeine Ankunft durch einen Cavalier der Geſantſchaft
oder ſeinen Secretair anmelden, die Geſanten zweiter und dritter Claſſe ſchreiben
unmittelbar an den Miniſter des Aeußern. Der Botſchafter wird mit Kanonen-
ſchüſſen bei dem feierlichen Empfang ſalutirt, die übrigen Geſanten nicht; u. dgl.

189.

Das Ceremoniel wird im Einzelnen durch die Landes- und Hofſitte
beſtimmt. Aber es iſt eine völkerrechtliche Pflicht des Empfangſtates, in
demſelben nichts anzuordnen, was die Ehre des Abſendeſtates verletzt oder

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[134/0156] Drittes Buch. 186. Schon vor Ueberreichung des Creditivs wird der Geſante, der ſich durch ſeine Päſſe oder in anderer glaubhafter Form als ſolchen ausweist, als eine völkerrechtlich beſonders geſicherte und begünſtigte Perſon behandelt, aber erſt in Folge der Abgabe und Annahme des Creditivs erhält er dem beſendeten State gegenüber volles Geſantenrecht ſeinem Range gemäß. Das Völkerrecht muß den Geſanten ſchon unterwegs ſchützen, wenn er an den beſendeten Hof reiſt. Aber erſt von der Ueberreichung des Creditivs an iſt er wirklicher Geſanter bei dem beſendeten State. Bis dahin war er deſignirter Ge- ſanter. Auf jenen völkerrechtlichen Schutz hat der Geſante auch in einem fremden Lande, durch welches er reist, einen naturgemäßen Anſpruch. Die Ermordung der franzöſiſchen Geſanten nach Venedig und Conſtantinopel in der Lombardei gab dem Könige Franz I. einen gerechten Grund zu der ernſteſten Beſchwerde gegen Kaiſer Carl V als über eine ſchwere Verletzung des Völkerrechts. Vgl. Vattel IV. § 84. 187. Der Ueberreichung des Creditivs geht die Notification der Ankunft des Geſanten bei dem Miniſterium des Aeußern vorher. Von da an wird der diplomatiſche Altersrang gerechnet (Art. 176). Mit der Notification wird die Mittheilung einer Abſchrift des Creditivs ver- bunden. 188. Der Unterſchied der verſchiedenen Claſſen der Geſanten hat einen Einfluß auf das bei der Ueberreichung und Annahme des Creditivs übliche Ceremoniel und auf die perſönlichen Beziehungen am Hofe, aber iſt für das ſtatliche Rechtsverhältniß ſelbſt nicht erheblich. So läßt der Botſchafter ſeine Ankunft durch einen Cavalier der Geſantſchaft oder ſeinen Secretair anmelden, die Geſanten zweiter und dritter Claſſe ſchreiben unmittelbar an den Miniſter des Aeußern. Der Botſchafter wird mit Kanonen- ſchüſſen bei dem feierlichen Empfang ſalutirt, die übrigen Geſanten nicht; u. dgl. 189. Das Ceremoniel wird im Einzelnen durch die Landes- und Hofſitte beſtimmt. Aber es iſt eine völkerrechtliche Pflicht des Empfangſtates, in demſelben nichts anzuordnen, was die Ehre des Abſendeſtates verletzt oder

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/156>, abgerufen am 28.03.2024.