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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Viertes Buch.
des Welthandels und der civilisirten Schiffahrt gefährden, kein Recht der freien
Schiffahrt zugestanden und werden dieselben auch auf offener See nicht geduldet.

Zuweilen wird die Flagge nur von einzelnen Städten geübt, sogar zum
Unterschiede von der Landesflagge, wie z. B. die Flagge von Rostock sich von der
Mecklenburgischen unterscheidet. Indessen ist das eher ein Ueberrest mittelalterlicher
Zustände, als eine Erscheinung des modernen Lebens und jedenfalls bedarf der be-
sondere Gebrauch einer städtischen Flagge der Erlaubniß und Anerkennung des
States, welchem die Stadt zugehört. Völkerrechtlich stehen doch nur die Staten
miteinander in unmittelbarer Verbindung.

326.

Zum Beweise der Nationalität dienen die öffentlich beurkundeten
Schiffspapiere, welche von dem Schiffscapitän nöthigenfalls vorzuweisen sind.

Als solche Schiffspapiere sind in Uebung:

a) der Beilbrief, ein Zeugniß über den Bau und das Signalement des
Schiffs. Er gibt Aufschluß über die Herkunft (Bauart), das Bau-
material, die Größe und den Namen des Schiffs, und dient auch dazu,
die Identität des Schiffs erkennbar zu machen.
b) der Seebrief oder Seepaß, eine Legitimation zur Seefahrt unter
nationaler Flagge. Derselbe ist meistens auf den Namen des Schiffs-
führers (Capitäns)
ausgestellt;
c) ein Eigenthumscertificat des Rheders;
d) die Musterrolle (rolle d'equipage), Verzeichniß über die Schiffs-
mannschaft und deren Nationalität.

Es können auch in Einer Urkunde die meisten oder alle vorgenannte Zwecke
zusammen berücksichtigt werden. Das Einzelne gehört nicht der völkerrechtlichen,
sondern der statsrechtlichen Bestimmung zu. Nur die Nothwendigkeit einer
authentischen Beurkundung der Nationalität ist völkerrechtlich nothwendig.

327.

Nach bisheriger Uebung setzen auch die Seemächte ihrerseits die Be-
dingungen fest, unter welchen sie die Nationalität fremder Schiffe innerhalb
ihres Gebietes (in Seehäfen und Flüssen) anerkennen. Es darf das aber
nicht in so beschränkender Weise geschehen, daß dadurch der freie Schiffahrts-
verkehr einer fremden Nation unmöglich gemacht oder ungebührlich er-
schwert sind.

Die gegenwärtigen Hafenordnungen gerade der großen Seemächte
sind noch nicht ganz von dem engherzigen Geiste der frühern Ausschließung der

Viertes Buch.
des Welthandels und der civiliſirten Schiffahrt gefährden, kein Recht der freien
Schiffahrt zugeſtanden und werden dieſelben auch auf offener See nicht geduldet.

Zuweilen wird die Flagge nur von einzelnen Städten geübt, ſogar zum
Unterſchiede von der Landesflagge, wie z. B. die Flagge von Roſtock ſich von der
Mecklenburgiſchen unterſcheidet. Indeſſen iſt das eher ein Ueberreſt mittelalterlicher
Zuſtände, als eine Erſcheinung des modernen Lebens und jedenfalls bedarf der be-
ſondere Gebrauch einer ſtädtiſchen Flagge der Erlaubniß und Anerkennung des
States, welchem die Stadt zugehört. Völkerrechtlich ſtehen doch nur die Staten
miteinander in unmittelbarer Verbindung.

326.

Zum Beweiſe der Nationalität dienen die öffentlich beurkundeten
Schiffspapiere, welche von dem Schiffscapitän nöthigenfalls vorzuweiſen ſind.

Als ſolche Schiffspapiere ſind in Uebung:

a) der Beilbrief, ein Zeugniß über den Bau und das Signalement des
Schiffs. Er gibt Aufſchluß über die Herkunft (Bauart), das Bau-
material, die Größe und den Namen des Schiffs, und dient auch dazu,
die Identität des Schiffs erkennbar zu machen.
b) der Seebrief oder Seepaß, eine Legitimation zur Seefahrt unter
nationaler Flagge. Derſelbe iſt meiſtens auf den Namen des Schiffs-
führers (Capitäns)
ausgeſtellt;
c) ein Eigenthumscertificat des Rheders;
d) die Muſterrolle (rolle d’équipage), Verzeichniß über die Schiffs-
mannſchaft und deren Nationalität.

Es können auch in Einer Urkunde die meiſten oder alle vorgenannte Zwecke
zuſammen berückſichtigt werden. Das Einzelne gehört nicht der völkerrechtlichen,
ſondern der ſtatsrechtlichen Beſtimmung zu. Nur die Nothwendigkeit einer
authentiſchen Beurkundung der Nationalität iſt völkerrechtlich nothwendig.

327.

Nach bisheriger Uebung ſetzen auch die Seemächte ihrerſeits die Be-
dingungen feſt, unter welchen ſie die Nationalität fremder Schiffe innerhalb
ihres Gebietes (in Seehäfen und Flüſſen) anerkennen. Es darf das aber
nicht in ſo beſchränkender Weiſe geſchehen, daß dadurch der freie Schiffahrts-
verkehr einer fremden Nation unmöglich gemacht oder ungebührlich er-
ſchwert ſind.

Die gegenwärtigen Hafenordnungen gerade der großen Seemächte
ſind noch nicht ganz von dem engherzigen Geiſte der frühern Ausſchließung der

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[190/0212] Viertes Buch. des Welthandels und der civiliſirten Schiffahrt gefährden, kein Recht der freien Schiffahrt zugeſtanden und werden dieſelben auch auf offener See nicht geduldet. Zuweilen wird die Flagge nur von einzelnen Städten geübt, ſogar zum Unterſchiede von der Landesflagge, wie z. B. die Flagge von Roſtock ſich von der Mecklenburgiſchen unterſcheidet. Indeſſen iſt das eher ein Ueberreſt mittelalterlicher Zuſtände, als eine Erſcheinung des modernen Lebens und jedenfalls bedarf der be- ſondere Gebrauch einer ſtädtiſchen Flagge der Erlaubniß und Anerkennung des States, welchem die Stadt zugehört. Völkerrechtlich ſtehen doch nur die Staten miteinander in unmittelbarer Verbindung. 326. Zum Beweiſe der Nationalität dienen die öffentlich beurkundeten Schiffspapiere, welche von dem Schiffscapitän nöthigenfalls vorzuweiſen ſind. Als ſolche Schiffspapiere ſind in Uebung: a) der Beilbrief, ein Zeugniß über den Bau und das Signalement des Schiffs. Er gibt Aufſchluß über die Herkunft (Bauart), das Bau- material, die Größe und den Namen des Schiffs, und dient auch dazu, die Identität des Schiffs erkennbar zu machen. b) der Seebrief oder Seepaß, eine Legitimation zur Seefahrt unter nationaler Flagge. Derſelbe iſt meiſtens auf den Namen des Schiffs- führers (Capitäns) ausgeſtellt; c) ein Eigenthumscertificat des Rheders; d) die Muſterrolle (rolle d’équipage), Verzeichniß über die Schiffs- mannſchaft und deren Nationalität. Es können auch in Einer Urkunde die meiſten oder alle vorgenannte Zwecke zuſammen berückſichtigt werden. Das Einzelne gehört nicht der völkerrechtlichen, ſondern der ſtatsrechtlichen Beſtimmung zu. Nur die Nothwendigkeit einer authentiſchen Beurkundung der Nationalität iſt völkerrechtlich nothwendig. 327. Nach bisheriger Uebung ſetzen auch die Seemächte ihrerſeits die Be- dingungen feſt, unter welchen ſie die Nationalität fremder Schiffe innerhalb ihres Gebietes (in Seehäfen und Flüſſen) anerkennen. Es darf das aber nicht in ſo beſchränkender Weiſe geſchehen, daß dadurch der freie Schiffahrts- verkehr einer fremden Nation unmöglich gemacht oder ungebührlich er- ſchwert ſind. Die gegenwärtigen Hafenordnungen gerade der großen Seemächte ſind noch nicht ganz von dem engherzigen Geiſte der frühern Ausſchließung der

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/212>, abgerufen am 29.03.2024.