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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Fünftes Buch.
Anerkennung in dem Rechtsbewußtsein der christlichen Welt gelangt. Die chine-
sische Cultur in Ostasien hatte schon lange vorher denselben natürlichen Rechtssatz
anerkannt. Man darf daher in Zukunft nicht mehr wie bisher die Berufung auf
die Souveränetät einzelner Staten gelten lassen, welcher es nicht verwehrt werden
dürfe, bei sich die Sclaverei festzuhalten oder einzuführen. Höchstens dürfen Ueber-
gangsbestimmungen, welche aus der herkömmlichen Sclaverei schrittweise zur persön-
lichen Freiheit hinüberleiten, geachtet werden. Die Souveränetät der Staten darf
nicht mehr so ausgeübt werden, daß dadurch das höhere und allgemeinere
Recht der Menschheit
vernichtet wird, denn die Staten sind menschliche Orga-
nismen und pflichtig, das allgemein erkannte Menschenrecht zu respectiren.

361.

Das Völkerrecht erkennt kein Recht der Sclaverei an, weder wenn
Einzelne noch wenn Staten sie behaupten.

Es ist das nur der negative Ausdruck des obigen Princips der persönlichen
Freiheit, welche das Völkerrecht anerkennt.

362.

Wenn fremde Sclaven den Boden eines freien States betreten, so
werden sie sofort von Rechts wegen als Freie betrachtet und ohne daß es
einer Freilassung des Herrn bedarf, auch gegen diesen in ihrer Freiheit
geschützt.

Die Luft des freien Stats macht noch schneller und entschiedener frei,
als im Mittelalter die Luft der freien Stadt. Damals bedurften die eigenen
Leute, welche in die Stadt geflüchtet waren, einer Ersitzung der Freiheit von Jahr
und Tag und waren meistens vor Ablauf derselben der Vindication der nachjagenden
Herrn ausgesetzt. Wenn heute ein fremder Herr mit seinen Sclaven als Dienern
in ein freies Land kommt, wohin auch die Fahrt in freiem Schiffe auf offener See
gehört, so sind die letztern berechtigt, gegen jede Gewalt des Herrn den Schutz der
Gerichte und je nach Umständen der Policei anzurufen. Dieser Schutz wird unbe-
denklich gewährt, ohne daß der betreffende Sclavenstat sich deßhalb als über die
Mißachtung seines nationalen Rechts beschweren kann, denn das Völkerrecht hält die
Sclaverei nirgends mehr für Recht.

363.

Es wird weder überseeischer Handel mit Sclaven, noch werden
Sclavenmärkte geduldet.

Fünftes Buch.
Anerkennung in dem Rechtsbewußtſein der chriſtlichen Welt gelangt. Die chine-
ſiſche Cultur in Oſtaſien hatte ſchon lange vorher denſelben natürlichen Rechtsſatz
anerkannt. Man darf daher in Zukunft nicht mehr wie bisher die Berufung auf
die Souveränetät einzelner Staten gelten laſſen, welcher es nicht verwehrt werden
dürfe, bei ſich die Sclaverei feſtzuhalten oder einzuführen. Höchſtens dürfen Ueber-
gangsbeſtimmungen, welche aus der herkömmlichen Sclaverei ſchrittweiſe zur perſön-
lichen Freiheit hinüberleiten, geachtet werden. Die Souveränetät der Staten darf
nicht mehr ſo ausgeübt werden, daß dadurch das höhere und allgemeinere
Recht der Menſchheit
vernichtet wird, denn die Staten ſind menſchliche Orga-
nismen und pflichtig, das allgemein erkannte Menſchenrecht zu reſpectiren.

361.

Das Völkerrecht erkennt kein Recht der Sclaverei an, weder wenn
Einzelne noch wenn Staten ſie behaupten.

Es iſt das nur der negative Ausdruck des obigen Princips der perſönlichen
Freiheit, welche das Völkerrecht anerkennt.

362.

Wenn fremde Sclaven den Boden eines freien States betreten, ſo
werden ſie ſofort von Rechts wegen als Freie betrachtet und ohne daß es
einer Freilaſſung des Herrn bedarf, auch gegen dieſen in ihrer Freiheit
geſchützt.

Die Luft des freien Stats macht noch ſchneller und entſchiedener frei,
als im Mittelalter die Luft der freien Stadt. Damals bedurften die eigenen
Leute, welche in die Stadt geflüchtet waren, einer Erſitzung der Freiheit von Jahr
und Tag und waren meiſtens vor Ablauf derſelben der Vindication der nachjagenden
Herrn ausgeſetzt. Wenn heute ein fremder Herr mit ſeinen Sclaven als Dienern
in ein freies Land kommt, wohin auch die Fahrt in freiem Schiffe auf offener See
gehört, ſo ſind die letztern berechtigt, gegen jede Gewalt des Herrn den Schutz der
Gerichte und je nach Umſtänden der Policei anzurufen. Dieſer Schutz wird unbe-
denklich gewährt, ohne daß der betreffende Sclavenſtat ſich deßhalb als über die
Mißachtung ſeines nationalen Rechts beſchweren kann, denn das Völkerrecht hält die
Sclaverei nirgends mehr für Recht.

363.

Es wird weder überſeeiſcher Handel mit Sclaven, noch werden
Sclavenmärkte geduldet.

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[210/0232] Fünftes Buch. Anerkennung in dem Rechtsbewußtſein der chriſtlichen Welt gelangt. Die chine- ſiſche Cultur in Oſtaſien hatte ſchon lange vorher denſelben natürlichen Rechtsſatz anerkannt. Man darf daher in Zukunft nicht mehr wie bisher die Berufung auf die Souveränetät einzelner Staten gelten laſſen, welcher es nicht verwehrt werden dürfe, bei ſich die Sclaverei feſtzuhalten oder einzuführen. Höchſtens dürfen Ueber- gangsbeſtimmungen, welche aus der herkömmlichen Sclaverei ſchrittweiſe zur perſön- lichen Freiheit hinüberleiten, geachtet werden. Die Souveränetät der Staten darf nicht mehr ſo ausgeübt werden, daß dadurch das höhere und allgemeinere Recht der Menſchheit vernichtet wird, denn die Staten ſind menſchliche Orga- nismen und pflichtig, das allgemein erkannte Menſchenrecht zu reſpectiren. 361. Das Völkerrecht erkennt kein Recht der Sclaverei an, weder wenn Einzelne noch wenn Staten ſie behaupten. Es iſt das nur der negative Ausdruck des obigen Princips der perſönlichen Freiheit, welche das Völkerrecht anerkennt. 362. Wenn fremde Sclaven den Boden eines freien States betreten, ſo werden ſie ſofort von Rechts wegen als Freie betrachtet und ohne daß es einer Freilaſſung des Herrn bedarf, auch gegen dieſen in ihrer Freiheit geſchützt. Die Luft des freien Stats macht noch ſchneller und entſchiedener frei, als im Mittelalter die Luft der freien Stadt. Damals bedurften die eigenen Leute, welche in die Stadt geflüchtet waren, einer Erſitzung der Freiheit von Jahr und Tag und waren meiſtens vor Ablauf derſelben der Vindication der nachjagenden Herrn ausgeſetzt. Wenn heute ein fremder Herr mit ſeinen Sclaven als Dienern in ein freies Land kommt, wohin auch die Fahrt in freiem Schiffe auf offener See gehört, ſo ſind die letztern berechtigt, gegen jede Gewalt des Herrn den Schutz der Gerichte und je nach Umſtänden der Policei anzurufen. Dieſer Schutz wird unbe- denklich gewährt, ohne daß der betreffende Sclavenſtat ſich deßhalb als über die Mißachtung ſeines nationalen Rechts beſchweren kann, denn das Völkerrecht hält die Sclaverei nirgends mehr für Recht. 363. Es wird weder überſeeiſcher Handel mit Sclaven, noch werden Sclavenmärkte geduldet.

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/232>, abgerufen am 28.03.2024.