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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Einleitung.
über Ausreißer und Kriegsgefangene und die Beute auf dem Schlacht-
felde, über Parteigänger und Freischaaren, über Späher, Räuber und
Kriegsrebellen, über Sicherheitspässe, Spione, Kriegsverräther, gefangene
Boten und den Mißbrauch der Parlamentärfahne, über Auswechslung der
Kriegsgefangenen, Waffenstillstands- und Schutzzeichen, über die Entlassung
auf Ehrenwort, über Waffenstillstand und Capitulation, über Mord, Auf-
stand, Bürgerkrieg, Rebellion. Diese Instruction ist sehr viel ausführlicher
und durchgebildeter als die Kriegsreglemente, welche bei den europäischen
Heeren in Uebung sind. Da dieselbe aber durchweg Sätze ausspricht von
allgemeinem, völkerrechtlichem Rechtsgehalt, und da die Art ihrer Aussprache
in Uebereinstimmung ist mit dem Rechtsbewußtsein der heutigen Mensch-
heit und mit der civilisirten Kriegsführung der Gegenwart, so wirkt dieses
Edict über die weiten Gränzen der Vereinigten Staten weit hinaus; und
trägt erheblich dazu bei, einen wichtigen Bestandtheil des modernen Völker-
rechts in humanem und der Nothwendigkeit der Verhältnisse entsprechendem
Sinne zu allgemeiner Anerkennung zu bringen. Die europäischen Staten
können hierin nicht hinter dem Vorbilde der amerikanischen Staten zurück
bleiben, ohne sich dem beschämenden Urtheil der öffentlichen Meinung aus-
zusetzen, daß sie in der Entwicklung des Völkerrechts hinter dem Fortschritte
der civilisirten Menschheit zurück bleiben.

Ein anderes Surrogat der Gesetzgebung, welches in vielen Ländern
die Ausbildung des Privat- und des Strafrechts, selbst des Statsrechts
erheblich gefördert hat, sind die Rechtsbücher, in denen die geltenden
Rechtssätze von rechtskundigen Privatpersonen aufgezeichnet und dargestellt
werden. Der Inhalt solcher Rechtsbücher ist in der Hauptsache ganz
derselbe
, wie der Inhalt der Gesetzbücher. Es werden darin die geltenden
Rechtsnormen ausgesprochen und verkündet. Aber weil die Rechtsbücher
ein Werk der Privaten, die Gesetzbücher dagegen ein Werk der Statsge-
walt sind, so haben jene keinen Anspruch auf die bindende Autorität,
welche dem Gesetze Gehorsam verschafft. Die Rechtsbücher haben nur in-
sofern eine Autorität, als auch die Wissenschaft Autorität besitzt und als
sie als wahr und gerecht erkannt werden. Es ist das eher eine inner-
liche und geistige, von der Kritik jeder Zeit zu prüfende, freie Autorität,
nicht die gebundene unangreifbare der äußern Gewalt, welche dem Gesetze
gebührt, und Gehorsam erzwingt.

In dem folgenden Buch habe ich, durch das amerikanische Vorbild
angeregt, den Versuch gewagt, ein solches Rechtsbuch des Völkerrechts

Einleitung.
über Ausreißer und Kriegsgefangene und die Beute auf dem Schlacht-
felde, über Parteigänger und Freiſchaaren, über Späher, Räuber und
Kriegsrebellen, über Sicherheitspäſſe, Spione, Kriegsverräther, gefangene
Boten und den Mißbrauch der Parlamentärfahne, über Auswechslung der
Kriegsgefangenen, Waffenſtillſtands- und Schutzzeichen, über die Entlaſſung
auf Ehrenwort, über Waffenſtillſtand und Capitulation, über Mord, Auf-
ſtand, Bürgerkrieg, Rebellion. Dieſe Inſtruction iſt ſehr viel ausführlicher
und durchgebildeter als die Kriegsreglemente, welche bei den europäiſchen
Heeren in Uebung ſind. Da dieſelbe aber durchweg Sätze ausſpricht von
allgemeinem, völkerrechtlichem Rechtsgehalt, und da die Art ihrer Ausſprache
in Uebereinſtimmung iſt mit dem Rechtsbewußtſein der heutigen Menſch-
heit und mit der civiliſirten Kriegsführung der Gegenwart, ſo wirkt dieſes
Edict über die weiten Gränzen der Vereinigten Staten weit hinaus; und
trägt erheblich dazu bei, einen wichtigen Beſtandtheil des modernen Völker-
rechts in humanem und der Nothwendigkeit der Verhältniſſe entſprechendem
Sinne zu allgemeiner Anerkennung zu bringen. Die europäiſchen Staten
können hierin nicht hinter dem Vorbilde der amerikaniſchen Staten zurück
bleiben, ohne ſich dem beſchämenden Urtheil der öffentlichen Meinung aus-
zuſetzen, daß ſie in der Entwicklung des Völkerrechts hinter dem Fortſchritte
der civiliſirten Menſchheit zurück bleiben.

Ein anderes Surrogat der Geſetzgebung, welches in vielen Ländern
die Ausbildung des Privat- und des Strafrechts, ſelbſt des Statsrechts
erheblich gefördert hat, ſind die Rechtsbücher, in denen die geltenden
Rechtsſätze von rechtskundigen Privatperſonen aufgezeichnet und dargeſtellt
werden. Der Inhalt ſolcher Rechtsbücher iſt in der Hauptſache ganz
derſelbe
, wie der Inhalt der Geſetzbücher. Es werden darin die geltenden
Rechtsnormen ausgeſprochen und verkündet. Aber weil die Rechtsbücher
ein Werk der Privaten, die Geſetzbücher dagegen ein Werk der Statsge-
walt ſind, ſo haben jene keinen Anſpruch auf die bindende Autorität,
welche dem Geſetze Gehorſam verſchafft. Die Rechtsbücher haben nur in-
ſofern eine Autorität, als auch die Wiſſenſchaft Autorität beſitzt und als
ſie als wahr und gerecht erkannt werden. Es iſt das eher eine inner-
liche und geiſtige, von der Kritik jeder Zeit zu prüfende, freie Autorität,
nicht die gebundene unangreifbare der äußern Gewalt, welche dem Geſetze
gebührt, und Gehorſam erzwingt.

In dem folgenden Buch habe ich, durch das amerikaniſche Vorbild
angeregt, den Verſuch gewagt, ein ſolches Rechtsbuch des Völkerrechts

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[6/0028] Einleitung. über Ausreißer und Kriegsgefangene und die Beute auf dem Schlacht- felde, über Parteigänger und Freiſchaaren, über Späher, Räuber und Kriegsrebellen, über Sicherheitspäſſe, Spione, Kriegsverräther, gefangene Boten und den Mißbrauch der Parlamentärfahne, über Auswechslung der Kriegsgefangenen, Waffenſtillſtands- und Schutzzeichen, über die Entlaſſung auf Ehrenwort, über Waffenſtillſtand und Capitulation, über Mord, Auf- ſtand, Bürgerkrieg, Rebellion. Dieſe Inſtruction iſt ſehr viel ausführlicher und durchgebildeter als die Kriegsreglemente, welche bei den europäiſchen Heeren in Uebung ſind. Da dieſelbe aber durchweg Sätze ausſpricht von allgemeinem, völkerrechtlichem Rechtsgehalt, und da die Art ihrer Ausſprache in Uebereinſtimmung iſt mit dem Rechtsbewußtſein der heutigen Menſch- heit und mit der civiliſirten Kriegsführung der Gegenwart, ſo wirkt dieſes Edict über die weiten Gränzen der Vereinigten Staten weit hinaus; und trägt erheblich dazu bei, einen wichtigen Beſtandtheil des modernen Völker- rechts in humanem und der Nothwendigkeit der Verhältniſſe entſprechendem Sinne zu allgemeiner Anerkennung zu bringen. Die europäiſchen Staten können hierin nicht hinter dem Vorbilde der amerikaniſchen Staten zurück bleiben, ohne ſich dem beſchämenden Urtheil der öffentlichen Meinung aus- zuſetzen, daß ſie in der Entwicklung des Völkerrechts hinter dem Fortſchritte der civiliſirten Menſchheit zurück bleiben. Ein anderes Surrogat der Geſetzgebung, welches in vielen Ländern die Ausbildung des Privat- und des Strafrechts, ſelbſt des Statsrechts erheblich gefördert hat, ſind die Rechtsbücher, in denen die geltenden Rechtsſätze von rechtskundigen Privatperſonen aufgezeichnet und dargeſtellt werden. Der Inhalt ſolcher Rechtsbücher iſt in der Hauptſache ganz derſelbe, wie der Inhalt der Geſetzbücher. Es werden darin die geltenden Rechtsnormen ausgeſprochen und verkündet. Aber weil die Rechtsbücher ein Werk der Privaten, die Geſetzbücher dagegen ein Werk der Statsge- walt ſind, ſo haben jene keinen Anſpruch auf die bindende Autorität, welche dem Geſetze Gehorſam verſchafft. Die Rechtsbücher haben nur in- ſofern eine Autorität, als auch die Wiſſenſchaft Autorität beſitzt und als ſie als wahr und gerecht erkannt werden. Es iſt das eher eine inner- liche und geiſtige, von der Kritik jeder Zeit zu prüfende, freie Autorität, nicht die gebundene unangreifbare der äußern Gewalt, welche dem Geſetze gebührt, und Gehorſam erzwingt. In dem folgenden Buch habe ich, durch das amerikaniſche Vorbild angeregt, den Verſuch gewagt, ein ſolches Rechtsbuch des Völkerrechts

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/28>, abgerufen am 29.03.2024.