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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Siebentes Buch.

Verletzungen des Völkerrechts und Verfahren zur Herstellung
desselben.
1. Im Allgemeinen.
462.

Wenn ein Stat seine völkerrechtliche Verbindlichkeit gegen einen an-
dern Stat lediglich nicht erfüllt, so hat der berechtigte Stat die Wahl, ent-
weder die Erfüllung, beziehungsweise Schadensersatz wegen Nichterfüllung
zu verlangen, oder von dem Vertragsverhältniß zurückzutreten, dessen Be-
stimmungen nicht erfüllt worden sind.

Auch im Völkerrechte bewährt sich die Macht der Rechtsordnung dadurch, daß
aus der Verletzung derselben neues Recht entspricht. Das verübte Unrecht
wird zum Recht des Verletzten, je nach Umständen von dem Verletzer Wieder-
herstellung, Entschädigung, Genugthuung oder Strafe zu verlangen. Wenn das
Unrecht nur in der Nichterfüllung einer übernommenen Verbindlichkeit besteht,
ohne Beleidigung und ohne Friedensbruch, so ist das dem Civilunrecht vergleichbar,
welches die verletzte Privatperson zur Civilklage berechtigt, womit sie Wiederherstellung
des Rechtszustandes (z. B. Herausgabe der Sache, Bezahlung der Schuld oder
Schadenersatz) begehrt. Auch das Völkerrecht begnügt sich in diesen Fällen nur mit
der Beseitigung des Unrechts und der Herstellung des Rechts. Die
Alternative zwischen der Erfüllungs- oder Ersatzforderung auf der einen
und dem Rücktritt von dem Vertragsverhältniß auf der andern Seite ist durch
die Schwierigkeit erklärt, jene erste Forderung durchzusetzen. Vgl. oben § 455.

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Siebentes Buch.

Verletzungen des Völkerrechts und Verfahren zur Herſtellung
desſelben.
1. Im Allgemeinen.
462.

Wenn ein Stat ſeine völkerrechtliche Verbindlichkeit gegen einen an-
dern Stat lediglich nicht erfüllt, ſo hat der berechtigte Stat die Wahl, ent-
weder die Erfüllung, beziehungsweiſe Schadenserſatz wegen Nichterfüllung
zu verlangen, oder von dem Vertragsverhältniß zurückzutreten, deſſen Be-
ſtimmungen nicht erfüllt worden ſind.

Auch im Völkerrechte bewährt ſich die Macht der Rechtsordnung dadurch, daß
aus der Verletzung derſelben neues Recht entſpricht. Das verübte Unrecht
wird zum Recht des Verletzten, je nach Umſtänden von dem Verletzer Wieder-
herſtellung, Entſchädigung, Genugthuung oder Strafe zu verlangen. Wenn das
Unrecht nur in der Nichterfüllung einer übernommenen Verbindlichkeit beſteht,
ohne Beleidigung und ohne Friedensbruch, ſo iſt das dem Civilunrecht vergleichbar,
welches die verletzte Privatperſon zur Civilklage berechtigt, womit ſie Wiederherſtellung
des Rechtszuſtandes (z. B. Herausgabe der Sache, Bezahlung der Schuld oder
Schadenerſatz) begehrt. Auch das Völkerrecht begnügt ſich in dieſen Fällen nur mit
der Beſeitigung des Unrechts und der Herſtellung des Rechts. Die
Alternative zwiſchen der Erfüllungs- oder Erſatzforderung auf der einen
und dem Rücktritt von dem Vertragsverhältniß auf der andern Seite iſt durch
die Schwierigkeit erklärt, jene erſte Forderung durchzuſetzen. Vgl. oben § 455.

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[[259]/0281] Siebentes Buch. Verletzungen des Völkerrechts und Verfahren zur Herſtellung desſelben. 1. Im Allgemeinen. 462. Wenn ein Stat ſeine völkerrechtliche Verbindlichkeit gegen einen an- dern Stat lediglich nicht erfüllt, ſo hat der berechtigte Stat die Wahl, ent- weder die Erfüllung, beziehungsweiſe Schadenserſatz wegen Nichterfüllung zu verlangen, oder von dem Vertragsverhältniß zurückzutreten, deſſen Be- ſtimmungen nicht erfüllt worden ſind. Auch im Völkerrechte bewährt ſich die Macht der Rechtsordnung dadurch, daß aus der Verletzung derſelben neues Recht entſpricht. Das verübte Unrecht wird zum Recht des Verletzten, je nach Umſtänden von dem Verletzer Wieder- herſtellung, Entſchädigung, Genugthuung oder Strafe zu verlangen. Wenn das Unrecht nur in der Nichterfüllung einer übernommenen Verbindlichkeit beſteht, ohne Beleidigung und ohne Friedensbruch, ſo iſt das dem Civilunrecht vergleichbar, welches die verletzte Privatperſon zur Civilklage berechtigt, womit ſie Wiederherſtellung des Rechtszuſtandes (z. B. Herausgabe der Sache, Bezahlung der Schuld oder Schadenerſatz) begehrt. Auch das Völkerrecht begnügt ſich in dieſen Fällen nur mit der Beſeitigung des Unrechts und der Herſtellung des Rechts. Die Alternative zwiſchen der Erfüllungs- oder Erſatzforderung auf der einen und dem Rücktritt von dem Vertragsverhältniß auf der andern Seite iſt durch die Schwierigkeit erklärt, jene erſte Forderung durchzuſetzen. Vgl. oben § 455. 17*

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. [259]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/281>, abgerufen am 29.03.2024.