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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Siebentes Buch.

Aber der Schiedsspruch darf nicht aus dem Grunde angefochten
werden, daß er unrichtig oder für eine Partei unbillig sei. Vorbehalten
bleibt die Berichtigung bloßer Rechnungsfehler.

1. Zu a. Wenn das Schiedsgericht über Rechtsverhältnisse entscheidet, welche
außerhalb der ihm ertheilten Vollmacht liegen, so ist dieser Entscheid un-
gültig
.

2. Zu b. Würde z. B. nachgewiesen werden können, daß die Schiedsrichter von
einer Partei sich haben bestechen lassen, damit sie einen ihr günstigen Spruch
thun, so wäre derselbe anfechtbar.

3. Zu c. Das schiedsrichterliche Verfahren ist Proceßverfahren und daher
zwar nicht einer bestimmten Proceßordnung, aber den selbstverständlichen Hauptgrund-
sätzen aller Proceßordnungen unterworfen. Der Schiedsspruch kann daher nicht
wegen bloßer Formfehler angefochten und für ungültig erklärt werden, aber wenn
in auffälliger und unzweifelhafter Weise jene Hauptgrundsätze verletzt worden sind,
wenn z. B. den Parteien keine Gelegenheit gegeben worden ist, ihre Behauptungen
zu vertreten und die des Gegners zu widerlegen, dann brauchen sie sich auch nicht
einen so willkürlichen Machtspruch gefallen zu lassen.

4. Zu d. Was nicht vertragsmäßig vereinbart werden darf, das darf auch nicht
durch einen Schiedsspruch auferlegt werden.

5. Würde man dagegen verstatten, einen Schiedsspruch deßhalb anzufechten, weil
er die Interessen einer Partei schädige oder unbillig sei, oder auf einer
irrthümlichen Rechtsansicht beruhe, so käme es fast niemals zu einer end-
gültigen Erledigung des Streits und der ganze Zweck des schiedsrichterlichen Verfah-
rens wäre vereitelt.

496.

In zusammengesetzten Staten (Statenbünden, Bundesstaten, Staten-
reichen) werden die Streitigkeiten der Einzelstaten unter sich oder mit der
Bundes- oder Centralgewalt je nach Umständen an verfassungsmäßige
Schiedsgerichte oder an festgeordnete Bundes- oder Reichsgerichte zur Ver-
handlung und Entscheidung verwiesen. Im erstern Fall übt das Schieds-
gericht eine Gerichtsbarkeit aus, welche nicht bloß auf dem Compromiß der
Parteien, sondern zugleich auf der Verfassung beruht.

In Deutschland pflegt man diese Schiedsrichter Austräge zu nennen und
das Austrägeverfahren von dem gewohnten schiedsrichterlichen zu unterscheiden.
In der That besteht der Gegensatz der Autorität. Die Austräge haben eine wahre
Gerichtsgewalt
, kraft des Verfassungsrechts, die andern Schiedsrichter dagegen
nur eine von dem Vertrage der Parteien abgeleitete Befugniß, für dieselben zu ur-
theilen. Auch die Austräge können gewillkürt sein, d. h. durch freie Ueberein-

Siebentes Buch.

Aber der Schiedsſpruch darf nicht aus dem Grunde angefochten
werden, daß er unrichtig oder für eine Partei unbillig ſei. Vorbehalten
bleibt die Berichtigung bloßer Rechnungsfehler.

1. Zu a. Wenn das Schiedsgericht über Rechtsverhältniſſe entſcheidet, welche
außerhalb der ihm ertheilten Vollmacht liegen, ſo iſt dieſer Entſcheid un-
gültig
.

2. Zu b. Würde z. B. nachgewieſen werden können, daß die Schiedsrichter von
einer Partei ſich haben beſtechen laſſen, damit ſie einen ihr günſtigen Spruch
thun, ſo wäre derſelbe anfechtbar.

3. Zu c. Das ſchiedsrichterliche Verfahren iſt Proceßverfahren und daher
zwar nicht einer beſtimmten Proceßordnung, aber den ſelbſtverſtändlichen Hauptgrund-
ſätzen aller Proceßordnungen unterworfen. Der Schiedsſpruch kann daher nicht
wegen bloßer Formfehler angefochten und für ungültig erklärt werden, aber wenn
in auffälliger und unzweifelhafter Weiſe jene Hauptgrundſätze verletzt worden ſind,
wenn z. B. den Parteien keine Gelegenheit gegeben worden iſt, ihre Behauptungen
zu vertreten und die des Gegners zu widerlegen, dann brauchen ſie ſich auch nicht
einen ſo willkürlichen Machtſpruch gefallen zu laſſen.

4. Zu d. Was nicht vertragsmäßig vereinbart werden darf, das darf auch nicht
durch einen Schiedsſpruch auferlegt werden.

5. Würde man dagegen verſtatten, einen Schiedsſpruch deßhalb anzufechten, weil
er die Intereſſen einer Partei ſchädige oder unbillig ſei, oder auf einer
irrthümlichen Rechtsanſicht beruhe, ſo käme es faſt niemals zu einer end-
gültigen Erledigung des Streits und der ganze Zweck des ſchiedsrichterlichen Verfah-
rens wäre vereitelt.

496.

In zuſammengeſetzten Staten (Statenbünden, Bundesſtaten, Staten-
reichen) werden die Streitigkeiten der Einzelſtaten unter ſich oder mit der
Bundes- oder Centralgewalt je nach Umſtänden an verfaſſungsmäßige
Schiedsgerichte oder an feſtgeordnete Bundes- oder Reichsgerichte zur Ver-
handlung und Entſcheidung verwieſen. Im erſtern Fall übt das Schieds-
gericht eine Gerichtsbarkeit aus, welche nicht bloß auf dem Compromiß der
Parteien, ſondern zugleich auf der Verfaſſung beruht.

In Deutſchland pflegt man dieſe Schiedsrichter Austräge zu nennen und
das Austrägeverfahren von dem gewohnten ſchiedsrichterlichen zu unterſcheiden.
In der That beſteht der Gegenſatz der Autorität. Die Austräge haben eine wahre
Gerichtsgewalt
, kraft des Verfaſſungsrechts, die andern Schiedsrichter dagegen
nur eine von dem Vertrage der Parteien abgeleitete Befugniß, für dieſelben zu ur-
theilen. Auch die Austräge können gewillkürt ſein, d. h. durch freie Ueberein-

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[276/0298] Siebentes Buch. Aber der Schiedsſpruch darf nicht aus dem Grunde angefochten werden, daß er unrichtig oder für eine Partei unbillig ſei. Vorbehalten bleibt die Berichtigung bloßer Rechnungsfehler. 1. Zu a. Wenn das Schiedsgericht über Rechtsverhältniſſe entſcheidet, welche außerhalb der ihm ertheilten Vollmacht liegen, ſo iſt dieſer Entſcheid un- gültig. 2. Zu b. Würde z. B. nachgewieſen werden können, daß die Schiedsrichter von einer Partei ſich haben beſtechen laſſen, damit ſie einen ihr günſtigen Spruch thun, ſo wäre derſelbe anfechtbar. 3. Zu c. Das ſchiedsrichterliche Verfahren iſt Proceßverfahren und daher zwar nicht einer beſtimmten Proceßordnung, aber den ſelbſtverſtändlichen Hauptgrund- ſätzen aller Proceßordnungen unterworfen. Der Schiedsſpruch kann daher nicht wegen bloßer Formfehler angefochten und für ungültig erklärt werden, aber wenn in auffälliger und unzweifelhafter Weiſe jene Hauptgrundſätze verletzt worden ſind, wenn z. B. den Parteien keine Gelegenheit gegeben worden iſt, ihre Behauptungen zu vertreten und die des Gegners zu widerlegen, dann brauchen ſie ſich auch nicht einen ſo willkürlichen Machtſpruch gefallen zu laſſen. 4. Zu d. Was nicht vertragsmäßig vereinbart werden darf, das darf auch nicht durch einen Schiedsſpruch auferlegt werden. 5. Würde man dagegen verſtatten, einen Schiedsſpruch deßhalb anzufechten, weil er die Intereſſen einer Partei ſchädige oder unbillig ſei, oder auf einer irrthümlichen Rechtsanſicht beruhe, ſo käme es faſt niemals zu einer end- gültigen Erledigung des Streits und der ganze Zweck des ſchiedsrichterlichen Verfah- rens wäre vereitelt. 496. In zuſammengeſetzten Staten (Statenbünden, Bundesſtaten, Staten- reichen) werden die Streitigkeiten der Einzelſtaten unter ſich oder mit der Bundes- oder Centralgewalt je nach Umſtänden an verfaſſungsmäßige Schiedsgerichte oder an feſtgeordnete Bundes- oder Reichsgerichte zur Ver- handlung und Entſcheidung verwieſen. Im erſtern Fall übt das Schieds- gericht eine Gerichtsbarkeit aus, welche nicht bloß auf dem Compromiß der Parteien, ſondern zugleich auf der Verfaſſung beruht. In Deutſchland pflegt man dieſe Schiedsrichter Austräge zu nennen und das Austrägeverfahren von dem gewohnten ſchiedsrichterlichen zu unterſcheiden. In der That beſteht der Gegenſatz der Autorität. Die Austräge haben eine wahre Gerichtsgewalt, kraft des Verfaſſungsrechts, die andern Schiedsrichter dagegen nur eine von dem Vertrage der Parteien abgeleitete Befugniß, für dieſelben zu ur- theilen. Auch die Austräge können gewillkürt ſein, d. h. durch freie Ueberein-

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/298>, abgerufen am 28.03.2024.