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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Siebentes Buch.
507.

Die neutralen Staten erkennen kein Prisenrecht an, wenn die See-
blocade nicht zugleich Kriegsblocade ist, und sind berechtigt, für die neu-
tralen Schiffe freie Ein- und Ausfahrt zu fordern.

Die Friedensblocade zur See gefährdet bei allgemeiner Durchführung
auch den Handel der Neutralen mit der blokirten Küste, wofür kein Rechtsgrund
vorliegt. Die neutralen Staten haben daher guten Grund, diese Friedensblocade
in die engsten Schranken zu bannen. Wenn dieselbe nur ein Zwangsmittel gegen
den Unrecht übenden Stat sein soll, so darf dieser Zwang nicht auch gegen die Neu-
tralen geübt werden. Nur der Krieg als Nothstand rechtfertigt die strengeren Grund-
sätze, welche in dem Völkerrecht über die Blocade und das Prisenverfahren aufge-
kommen sind, der Friedenszustand nicht. Im Jahre 1838 erhoben so die deutschen
Hansestädte Einsprache gegen die französische Friedensblocade in Mexiko, und im
Jahr 1848 (1. März) erklärte sich der französische Statsrath gegen die Confiscation
der Schiffe bei der Friedensblocade.

419.

Die gesundheitspoliceiliche Verkehrssperre zur Abwendung von Epi-
demien wird durch das Bedürfniß und durch ihren Zweck sowohl näher
bestimmt als beschränkt.

Sie kann als Vorbeugungsmaßregel gegen die Einschleppung und
Verbreitung menschlicher oder thierischer Krankheiten nöthig werden, und je nach
Umständen zur Einrichtung von Contumazanstalten führen. Soweit irgend
die Interessen der Gesundheitspflege es erfordern, müssen alle diese Anstalten und
Maßregeln von den verschiedenen Nationen geachtet werden, welche diese Grenze
berühren.

509.

Das gewaltsame Embargo, wodurch fremde Schiffe einstweilen in
Voraussicht einer nahen Kriegseröffnung am Auslaufen verhindert werden,
ist nur als Nothmaßregel und nur so weit gerechtfertigt, als das Kriegs-
recht sie nachträglich gut heißt.

Man unterscheidet das civile Embargo als eine Maßregel der hohen Stats-
policei ohne völkerrechtliche Bedeutung von dem Embargo als völkerrechtliche
Vorbereitungsmaßregel
für den erwarteten Krieg, welches daher als
eventuelle Kriegsmaßregel zu betrachten ist. Der Zustand der zurück-

Siebentes Buch.
507.

Die neutralen Staten erkennen kein Priſenrecht an, wenn die See-
blocade nicht zugleich Kriegsblocade iſt, und ſind berechtigt, für die neu-
tralen Schiffe freie Ein- und Ausfahrt zu fordern.

Die Friedensblocade zur See gefährdet bei allgemeiner Durchführung
auch den Handel der Neutralen mit der blokirten Küſte, wofür kein Rechtsgrund
vorliegt. Die neutralen Staten haben daher guten Grund, dieſe Friedensblocade
in die engſten Schranken zu bannen. Wenn dieſelbe nur ein Zwangsmittel gegen
den Unrecht übenden Stat ſein ſoll, ſo darf dieſer Zwang nicht auch gegen die Neu-
tralen geübt werden. Nur der Krieg als Nothſtand rechtfertigt die ſtrengeren Grund-
ſätze, welche in dem Völkerrecht über die Blocade und das Priſenverfahren aufge-
kommen ſind, der Friedenszuſtand nicht. Im Jahre 1838 erhoben ſo die deutſchen
Hanſeſtädte Einſprache gegen die franzöſiſche Friedensblocade in Mexiko, und im
Jahr 1848 (1. März) erklärte ſich der franzöſiſche Statsrath gegen die Confiscation
der Schiffe bei der Friedensblocade.

419.

Die geſundheitspoliceiliche Verkehrsſperre zur Abwendung von Epi-
demien wird durch das Bedürfniß und durch ihren Zweck ſowohl näher
beſtimmt als beſchränkt.

Sie kann als Vorbeugungsmaßregel gegen die Einſchleppung und
Verbreitung menſchlicher oder thieriſcher Krankheiten nöthig werden, und je nach
Umſtänden zur Einrichtung von Contumazanſtalten führen. Soweit irgend
die Intereſſen der Geſundheitspflege es erfordern, müſſen alle dieſe Anſtalten und
Maßregeln von den verſchiedenen Nationen geachtet werden, welche dieſe Grenze
berühren.

509.

Das gewaltſame Embargo, wodurch fremde Schiffe einſtweilen in
Vorausſicht einer nahen Kriegseröffnung am Auslaufen verhindert werden,
iſt nur als Nothmaßregel und nur ſo weit gerechtfertigt, als das Kriegs-
recht ſie nachträglich gut heißt.

Man unterſcheidet das civile Embargo als eine Maßregel der hohen Stats-
policei ohne völkerrechtliche Bedeutung von dem Embargo als völkerrechtliche
Vorbereitungsmaßregel
für den erwarteten Krieg, welches daher als
eventuelle Kriegsmaßregel zu betrachten iſt. Der Zuſtand der zurück-

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[284/0306] Siebentes Buch. 507. Die neutralen Staten erkennen kein Priſenrecht an, wenn die See- blocade nicht zugleich Kriegsblocade iſt, und ſind berechtigt, für die neu- tralen Schiffe freie Ein- und Ausfahrt zu fordern. Die Friedensblocade zur See gefährdet bei allgemeiner Durchführung auch den Handel der Neutralen mit der blokirten Küſte, wofür kein Rechtsgrund vorliegt. Die neutralen Staten haben daher guten Grund, dieſe Friedensblocade in die engſten Schranken zu bannen. Wenn dieſelbe nur ein Zwangsmittel gegen den Unrecht übenden Stat ſein ſoll, ſo darf dieſer Zwang nicht auch gegen die Neu- tralen geübt werden. Nur der Krieg als Nothſtand rechtfertigt die ſtrengeren Grund- ſätze, welche in dem Völkerrecht über die Blocade und das Priſenverfahren aufge- kommen ſind, der Friedenszuſtand nicht. Im Jahre 1838 erhoben ſo die deutſchen Hanſeſtädte Einſprache gegen die franzöſiſche Friedensblocade in Mexiko, und im Jahr 1848 (1. März) erklärte ſich der franzöſiſche Statsrath gegen die Confiscation der Schiffe bei der Friedensblocade. 419. Die geſundheitspoliceiliche Verkehrsſperre zur Abwendung von Epi- demien wird durch das Bedürfniß und durch ihren Zweck ſowohl näher beſtimmt als beſchränkt. Sie kann als Vorbeugungsmaßregel gegen die Einſchleppung und Verbreitung menſchlicher oder thieriſcher Krankheiten nöthig werden, und je nach Umſtänden zur Einrichtung von Contumazanſtalten führen. Soweit irgend die Intereſſen der Geſundheitspflege es erfordern, müſſen alle dieſe Anſtalten und Maßregeln von den verſchiedenen Nationen geachtet werden, welche dieſe Grenze berühren. 509. Das gewaltſame Embargo, wodurch fremde Schiffe einſtweilen in Vorausſicht einer nahen Kriegseröffnung am Auslaufen verhindert werden, iſt nur als Nothmaßregel und nur ſo weit gerechtfertigt, als das Kriegs- recht ſie nachträglich gut heißt. Man unterſcheidet das civile Embargo als eine Maßregel der hohen Stats- policei ohne völkerrechtliche Bedeutung von dem Embargo als völkerrechtliche Vorbereitungsmaßregel für den erwarteten Krieg, welches daher als eventuelle Kriegsmaßregel zu betrachten iſt. Der Zuſtand der zurück-

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/306>, abgerufen am 16.04.2024.