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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Das Kriegsrecht.
wenigen Stunden; insbesondere da, wo schon frühere ernste Drohungen oder Kriegs-
spannungen vorausgegangen waren und es wesentlich davon abhängt, Gewißheit
über die Friedens- oder Kriegsentschlüsse des Gegners zu erhalten.

526.

Das bloße Anerbieten, über den Frieden zu unterhandeln oder so-
gar Genugthuung zu gewähren, hindert den Vollzug der Kriegsdrohung
nicht, wenn nicht zugleich verlässige Garantien für wirkliche und sofortige
Befriedigung gegeben werden.

Ein solches Anerbieten kann auch gemacht werden, um Zeit zu gewinnen
für vollständigere Kriegsrüstung. Würde dasselbe daher ein Hinderniß sein für den
Beginn des Kriegs, so könnte das leicht nicht den Krieg, aber den Erfolg des
Kriegs
vereiteln.

527.

Die Kriegserklärung bezeichnet zugleich den Zeitpunkt der Kriegs-
eröffnung, wenn der Krieg nicht schon vorher thatsächlich durch Acte der
militärischen Gewalt begonnen worden ist.

Die thatsächliche Kriegseröffnung beendigt unter allen Umständen den
bisherigen Friedenszustand, auch wenn noch keine Kriegserklärung erfolgt ist. Aber
die Kriegserklärung eröffnet den Krieg ebenfalls, auch wenn die Feindseligkeiten
noch nicht begonnen haben. Es entspricht das theils der thatsächlichen Natur des
Kriegs, theils der ausdrücklichen Willensbestimmung der Kriegspartei. Die Frage
ist besonders wichtig für die Beurtheilung einzelner Acte der Gewalt, die nur im
Krieg, nicht im Frieden erlaubt sind. Die Wegnahme von Prisen setzt den Beginn
des Kriegs voraus.

528.

Ist der Krieg auch nur von einer Partei thatsächlich oder durch
Kriegserklärung begonnen worden, so ist von dann an auch die andere
Partei berechtigt, das Kriegsrecht anzurufen und anzuwenden.

Es folgt das aus der gegenseitigen Natur des Kriegs.


Das Kriegsrecht.
wenigen Stunden; insbeſondere da, wo ſchon frühere ernſte Drohungen oder Kriegs-
ſpannungen vorausgegangen waren und es weſentlich davon abhängt, Gewißheit
über die Friedens- oder Kriegsentſchlüſſe des Gegners zu erhalten.

526.

Das bloße Anerbieten, über den Frieden zu unterhandeln oder ſo-
gar Genugthuung zu gewähren, hindert den Vollzug der Kriegsdrohung
nicht, wenn nicht zugleich verläſſige Garantien für wirkliche und ſofortige
Befriedigung gegeben werden.

Ein ſolches Anerbieten kann auch gemacht werden, um Zeit zu gewinnen
für vollſtändigere Kriegsrüſtung. Würde dasſelbe daher ein Hinderniß ſein für den
Beginn des Kriegs, ſo könnte das leicht nicht den Krieg, aber den Erfolg des
Kriegs
vereiteln.

527.

Die Kriegserklärung bezeichnet zugleich den Zeitpunkt der Kriegs-
eröffnung, wenn der Krieg nicht ſchon vorher thatſächlich durch Acte der
militäriſchen Gewalt begonnen worden iſt.

Die thatſächliche Kriegseröffnung beendigt unter allen Umſtänden den
bisherigen Friedenszuſtand, auch wenn noch keine Kriegserklärung erfolgt iſt. Aber
die Kriegserklärung eröffnet den Krieg ebenfalls, auch wenn die Feindſeligkeiten
noch nicht begonnen haben. Es entſpricht das theils der thatſächlichen Natur des
Kriegs, theils der ausdrücklichen Willensbeſtimmung der Kriegspartei. Die Frage
iſt beſonders wichtig für die Beurtheilung einzelner Acte der Gewalt, die nur im
Krieg, nicht im Frieden erlaubt ſind. Die Wegnahme von Priſen ſetzt den Beginn
des Kriegs voraus.

528.

Iſt der Krieg auch nur von einer Partei thatſächlich oder durch
Kriegserklärung begonnen worden, ſo iſt von dann an auch die andere
Partei berechtigt, das Kriegsrecht anzurufen und anzuwenden.

Es folgt das aus der gegenſeitigen Natur des Kriegs.


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[295/0317] Das Kriegsrecht. wenigen Stunden; insbeſondere da, wo ſchon frühere ernſte Drohungen oder Kriegs- ſpannungen vorausgegangen waren und es weſentlich davon abhängt, Gewißheit über die Friedens- oder Kriegsentſchlüſſe des Gegners zu erhalten. 526. Das bloße Anerbieten, über den Frieden zu unterhandeln oder ſo- gar Genugthuung zu gewähren, hindert den Vollzug der Kriegsdrohung nicht, wenn nicht zugleich verläſſige Garantien für wirkliche und ſofortige Befriedigung gegeben werden. Ein ſolches Anerbieten kann auch gemacht werden, um Zeit zu gewinnen für vollſtändigere Kriegsrüſtung. Würde dasſelbe daher ein Hinderniß ſein für den Beginn des Kriegs, ſo könnte das leicht nicht den Krieg, aber den Erfolg des Kriegs vereiteln. 527. Die Kriegserklärung bezeichnet zugleich den Zeitpunkt der Kriegs- eröffnung, wenn der Krieg nicht ſchon vorher thatſächlich durch Acte der militäriſchen Gewalt begonnen worden iſt. Die thatſächliche Kriegseröffnung beendigt unter allen Umſtänden den bisherigen Friedenszuſtand, auch wenn noch keine Kriegserklärung erfolgt iſt. Aber die Kriegserklärung eröffnet den Krieg ebenfalls, auch wenn die Feindſeligkeiten noch nicht begonnen haben. Es entſpricht das theils der thatſächlichen Natur des Kriegs, theils der ausdrücklichen Willensbeſtimmung der Kriegspartei. Die Frage iſt beſonders wichtig für die Beurtheilung einzelner Acte der Gewalt, die nur im Krieg, nicht im Frieden erlaubt ſind. Die Wegnahme von Priſen ſetzt den Beginn des Kriegs voraus. 528. Iſt der Krieg auch nur von einer Partei thatſächlich oder durch Kriegserklärung begonnen worden, ſo iſt von dann an auch die andere Partei berechtigt, das Kriegsrecht anzurufen und anzuwenden. Es folgt das aus der gegenſeitigen Natur des Kriegs.

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/317>, abgerufen am 28.03.2024.