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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Das Kriegsrecht.

Am. 105. Der Grundsatz der Gleichwerthung (Parität) entspricht dem
natürlichen Rechtssinn, welcher die feineren und bestreitbaren Unterschiede nicht be-
achtet wissen will. Es sind daher auch Linienofficiere den Landwehroffi-
cieren
, und die Soldaten der verschiedenen Waffengattungen einander gleich zu
stellen. Die Zeitfrist, während welcher die Entlassenen nicht mehr am Kampfe Theil
nehmen dürfen, kann durch Vertrag näher bestimmt werden. Gewöhnlich wird die-
selbe auf die Dauer des gegenwärtigen Kriegs beschränkt und deßhalb darf das im
Zweifel als die Meinung der Partei vermuthet werden.

614.

Für Gefangene von höherem Rang werden in Ermanglung von
gegnerischen Gefangenen desselben Ranges je nach der Verabredung eine
Anzahl Gefangener von geringerem Range ausgewechselt.

Am. 106. Die Schätzung ist freilich sehr willkürlich, sie ist aber nicht zu
entbehren, wenn der Zweck des gleichmäßigen Austausches von Gefangenen er-
reicht werden soll. Das Nähere wird gewöhnlich durch Cartelverträge bestimmt,
welche von den feindlichen Regierungen oder Befehlshabern abgeschlossen werden.

615.

Die Kriegsgefangenen haben die Ehrenpflicht, ihren wirklichen Rang
anzumelden und weder einen niedrigeren Rang in der Absicht anzugeben,
ihrem State bei der Auswechslung einen Vortheil zuzuwenden, noch einen
höheren Rang zu behaupten, um eine bessere Verpflegung zu erhalten.
Verletzungen dieser Pflicht können bestraft und eine gerechte Ursache werden,
die Entlassung solcher Gefangenen zu verweigern.

Am. 107. Der Nehmestat ist jedenfalls berechtigt, eine derartige Täuschung
disciplinarisch oder strafrechtlich zu ahnden. Aber auch der heimische Commandant
kann den Untergebenen nach der Entlassung zur Verantwortung ziehen und bestrafen.
Freilich wird der letztere weniger dazu veranlaßt sein, wenn die Täuschung in der
Angabe eines geringern Ranges, als wenn sie in der Anmaßung eines höhern
Ranges bestanden hatte.

616.

Die Ueberzahl von entlassenen Gefangenen mag durch ein entspre-
chendes Lösegeld oder andere Gegenleistungen ausgeglichen werden. Solche
Verabredungen bedürfen aber im Zweifel der Genehmigung der obersten
Autoritäten.

Bluntschli, Das Völkerrecht. 22
Das Kriegsrecht.

Am. 105. Der Grundſatz der Gleichwerthung (Parität) entſpricht dem
natürlichen Rechtsſinn, welcher die feineren und beſtreitbaren Unterſchiede nicht be-
achtet wiſſen will. Es ſind daher auch Linienofficiere den Landwehroffi-
cieren
, und die Soldaten der verſchiedenen Waffengattungen einander gleich zu
ſtellen. Die Zeitfriſt, während welcher die Entlaſſenen nicht mehr am Kampfe Theil
nehmen dürfen, kann durch Vertrag näher beſtimmt werden. Gewöhnlich wird die-
ſelbe auf die Dauer des gegenwärtigen Kriegs beſchränkt und deßhalb darf das im
Zweifel als die Meinung der Partei vermuthet werden.

614.

Für Gefangene von höherem Rang werden in Ermanglung von
gegneriſchen Gefangenen desſelben Ranges je nach der Verabredung eine
Anzahl Gefangener von geringerem Range ausgewechſelt.

Am. 106. Die Schätzung iſt freilich ſehr willkürlich, ſie iſt aber nicht zu
entbehren, wenn der Zweck des gleichmäßigen Austauſches von Gefangenen er-
reicht werden ſoll. Das Nähere wird gewöhnlich durch Cartelverträge beſtimmt,
welche von den feindlichen Regierungen oder Befehlshabern abgeſchloſſen werden.

615.

Die Kriegsgefangenen haben die Ehrenpflicht, ihren wirklichen Rang
anzumelden und weder einen niedrigeren Rang in der Abſicht anzugeben,
ihrem State bei der Auswechslung einen Vortheil zuzuwenden, noch einen
höheren Rang zu behaupten, um eine beſſere Verpflegung zu erhalten.
Verletzungen dieſer Pflicht können beſtraft und eine gerechte Urſache werden,
die Entlaſſung ſolcher Gefangenen zu verweigern.

Am. 107. Der Nehmeſtat iſt jedenfalls berechtigt, eine derartige Täuſchung
disciplinariſch oder ſtrafrechtlich zu ahnden. Aber auch der heimiſche Commandant
kann den Untergebenen nach der Entlaſſung zur Verantwortung ziehen und beſtrafen.
Freilich wird der letztere weniger dazu veranlaßt ſein, wenn die Täuſchung in der
Angabe eines geringern Ranges, als wenn ſie in der Anmaßung eines höhern
Ranges beſtanden hatte.

616.

Die Ueberzahl von entlaſſenen Gefangenen mag durch ein entſpre-
chendes Löſegeld oder andere Gegenleiſtungen ausgeglichen werden. Solche
Verabredungen bedürfen aber im Zweifel der Genehmigung der oberſten
Autoritäten.

Bluntſchli, Das Völkerrecht. 22
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[337/0359] Das Kriegsrecht. Am. 105. Der Grundſatz der Gleichwerthung (Parität) entſpricht dem natürlichen Rechtsſinn, welcher die feineren und beſtreitbaren Unterſchiede nicht be- achtet wiſſen will. Es ſind daher auch Linienofficiere den Landwehroffi- cieren, und die Soldaten der verſchiedenen Waffengattungen einander gleich zu ſtellen. Die Zeitfriſt, während welcher die Entlaſſenen nicht mehr am Kampfe Theil nehmen dürfen, kann durch Vertrag näher beſtimmt werden. Gewöhnlich wird die- ſelbe auf die Dauer des gegenwärtigen Kriegs beſchränkt und deßhalb darf das im Zweifel als die Meinung der Partei vermuthet werden. 614. Für Gefangene von höherem Rang werden in Ermanglung von gegneriſchen Gefangenen desſelben Ranges je nach der Verabredung eine Anzahl Gefangener von geringerem Range ausgewechſelt. Am. 106. Die Schätzung iſt freilich ſehr willkürlich, ſie iſt aber nicht zu entbehren, wenn der Zweck des gleichmäßigen Austauſches von Gefangenen er- reicht werden ſoll. Das Nähere wird gewöhnlich durch Cartelverträge beſtimmt, welche von den feindlichen Regierungen oder Befehlshabern abgeſchloſſen werden. 615. Die Kriegsgefangenen haben die Ehrenpflicht, ihren wirklichen Rang anzumelden und weder einen niedrigeren Rang in der Abſicht anzugeben, ihrem State bei der Auswechslung einen Vortheil zuzuwenden, noch einen höheren Rang zu behaupten, um eine beſſere Verpflegung zu erhalten. Verletzungen dieſer Pflicht können beſtraft und eine gerechte Urſache werden, die Entlaſſung ſolcher Gefangenen zu verweigern. Am. 107. Der Nehmeſtat iſt jedenfalls berechtigt, eine derartige Täuſchung disciplinariſch oder ſtrafrechtlich zu ahnden. Aber auch der heimiſche Commandant kann den Untergebenen nach der Entlaſſung zur Verantwortung ziehen und beſtrafen. Freilich wird der letztere weniger dazu veranlaßt ſein, wenn die Täuſchung in der Angabe eines geringern Ranges, als wenn ſie in der Anmaßung eines höhern Ranges beſtanden hatte. 616. Die Ueberzahl von entlaſſenen Gefangenen mag durch ein entſpre- chendes Löſegeld oder andere Gegenleiſtungen ausgeglichen werden. Solche Verabredungen bedürfen aber im Zweifel der Genehmigung der oberſten Autoritäten. Bluntſchli, Das Völkerrecht. 22

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 337. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/359>, abgerufen am 19.04.2024.