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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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und angesehener Schriftsteller über das Völkerrecht, welche sich schwer von dem über-
lieferten Grundsatz der Beute oder der statlichen Confiscation losmachen können (vgl.
Phillimore III. § 75), der entgegengesetzte Grundsatz, daß das Privateigen-
thum
zunächst der friedlichen Personen, dann aber selbst der feindlichen
Personen, auch im Kriege regelmäßig zu achten
und deßhalb das ver-
meintliche Beuterecht ein offenbares Unrecht sei. Ein merkwürdiges Erkenntniß hat
der oberste Gerichtshof der Vereinigten Staten im Jahr 1812 erlassen, in
dem der Uebergang aus dem alten Beuterecht in das neue Recht des Eigenthums-
schutzes deutlich erkennbar wird. Es wurde nämlich noch das Recht des Stats, das
in seinem Gebiet zur Zeit der Kriegseröffnung vorhandene Vermögen der feindlichen
Statsangehörigen zu confisciren, als hergebrachte Regel anerkannt, aber für die
Ausübung dieses Rechts ein vorheriger Act der Gesetzgebung gefordert.
Offenbar wollte man auf einem Umweg das Privateigenthum sichern, denn ein be-
sonderes Gesetz war nicht da und wurde auch nicht erlassen. (Kent Comm. § 59.
60). Ein Keim zur Beseitigung des Beuterechts ist schon in der englischen
Magna Charta
von 1215 zu finden, indem sie das Vermögen fremder Kauf-
leute in England auch im Kriege schützt, wenn Gegenrecht gehalten wird. Vgl.
unten zu § 669. Vgl. oben die Einleitung S. 38 und Berner Art. Beute im
deutschen Statswörterbuch von Bluntschli und Brater.

2. Die Beute ist demgemäß nicht mehr als Regel erlaubt, sondern nur aus-
nahmsweise
aus besondern Gründen und in engster Beschränkung. Die wichtig-
sten Fälle einer noch erlaubten Beute sind:

a) die Habe des feindlichen States selbst, § 645,
b) die Waffen und kriegerische Rüstung der besiegten feindlichen Personen,
§ 659. 660,
c) die Contrebande (Buch IX. Absch. 4). Daneben noch, obwohl bereits
angezweifelt
d) die Gestattung, einen erstürmten Platz zu plündern, § 661,
e) die Seebeute, § 664 f.
658.

Wenn der eine Stat an den andern feindlichen Stat eine Geld-
summe aus Darlehen oder einem andern Rechtsgrunde schuldet, so darf er
wohl während des Kriegs die Verzinsung und Bezahlung dieser Schuld
verweigern, nicht aber, wenn er die Statsschuld an Privatgläubiger schul-
det, welche dem feindlichen State angehören.

In dem bekannten Streit zwischen Preußen und England vom Jahr 1753
vertheidigte Friedrich II. die Beschlagnahme der Schlesischen Statsschuld zum Nachtheile
der englischen Gläubiger, worüber sich die englischen Publicisten als über eine schreiende
Verletzung des Völkerrechts beschwerten, nur aus dem Gesichtspunkte der Repres-

Achtes Buch.
und angeſehener Schriftſteller über das Völkerrecht, welche ſich ſchwer von dem über-
lieferten Grundſatz der Beute oder der ſtatlichen Confiscation losmachen können (vgl.
Phillimore III. § 75), der entgegengeſetzte Grundſatz, daß das Privateigen-
thum
zunächſt der friedlichen Perſonen, dann aber ſelbſt der feindlichen
Perſonen, auch im Kriege regelmäßig zu achten
und deßhalb das ver-
meintliche Beuterecht ein offenbares Unrecht ſei. Ein merkwürdiges Erkenntniß hat
der oberſte Gerichtshof der Vereinigten Staten im Jahr 1812 erlaſſen, in
dem der Uebergang aus dem alten Beuterecht in das neue Recht des Eigenthums-
ſchutzes deutlich erkennbar wird. Es wurde nämlich noch das Recht des Stats, das
in ſeinem Gebiet zur Zeit der Kriegseröffnung vorhandene Vermögen der feindlichen
Statsangehörigen zu confisciren, als hergebrachte Regel anerkannt, aber für die
Ausübung dieſes Rechts ein vorheriger Act der Geſetzgebung gefordert.
Offenbar wollte man auf einem Umweg das Privateigenthum ſichern, denn ein be-
ſonderes Geſetz war nicht da und wurde auch nicht erlaſſen. (Kent Comm. § 59.
60). Ein Keim zur Beſeitigung des Beuterechts iſt ſchon in der engliſchen
Magna Charta
von 1215 zu finden, indem ſie das Vermögen fremder Kauf-
leute in England auch im Kriege ſchützt, wenn Gegenrecht gehalten wird. Vgl.
unten zu § 669. Vgl. oben die Einleitung S. 38 und Berner Art. Beute im
deutſchen Statswörterbuch von Bluntſchli und Brater.

2. Die Beute iſt demgemäß nicht mehr als Regel erlaubt, ſondern nur aus-
nahmsweiſe
aus beſondern Gründen und in engſter Beſchränkung. Die wichtig-
ſten Fälle einer noch erlaubten Beute ſind:

a) die Habe des feindlichen States ſelbſt, § 645,
b) die Waffen und kriegeriſche Rüſtung der beſiegten feindlichen Perſonen,
§ 659. 660,
c) die Contrebande (Buch IX. Abſch. 4). Daneben noch, obwohl bereits
angezweifelt
d) die Geſtattung, einen erſtürmten Platz zu plündern, § 661,
e) die Seebeute, § 664 f.
658.

Wenn der eine Stat an den andern feindlichen Stat eine Geld-
ſumme aus Darlehen oder einem andern Rechtsgrunde ſchuldet, ſo darf er
wohl während des Kriegs die Verzinſung und Bezahlung dieſer Schuld
verweigern, nicht aber, wenn er die Statsſchuld an Privatgläubiger ſchul-
det, welche dem feindlichen State angehören.

In dem bekannten Streit zwiſchen Preußen und England vom Jahr 1753
vertheidigte Friedrich II. die Beſchlagnahme der Schleſiſchen Statsſchuld zum Nachtheile
der engliſchen Gläubiger, worüber ſich die engliſchen Publiciſten als über eine ſchreiende
Verletzung des Völkerrechts beſchwerten, nur aus dem Geſichtspunkte der Repreſ-

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[358/0380] Achtes Buch. und angeſehener Schriftſteller über das Völkerrecht, welche ſich ſchwer von dem über- lieferten Grundſatz der Beute oder der ſtatlichen Confiscation losmachen können (vgl. Phillimore III. § 75), der entgegengeſetzte Grundſatz, daß das Privateigen- thum zunächſt der friedlichen Perſonen, dann aber ſelbſt der feindlichen Perſonen, auch im Kriege regelmäßig zu achten und deßhalb das ver- meintliche Beuterecht ein offenbares Unrecht ſei. Ein merkwürdiges Erkenntniß hat der oberſte Gerichtshof der Vereinigten Staten im Jahr 1812 erlaſſen, in dem der Uebergang aus dem alten Beuterecht in das neue Recht des Eigenthums- ſchutzes deutlich erkennbar wird. Es wurde nämlich noch das Recht des Stats, das in ſeinem Gebiet zur Zeit der Kriegseröffnung vorhandene Vermögen der feindlichen Statsangehörigen zu confisciren, als hergebrachte Regel anerkannt, aber für die Ausübung dieſes Rechts ein vorheriger Act der Geſetzgebung gefordert. Offenbar wollte man auf einem Umweg das Privateigenthum ſichern, denn ein be- ſonderes Geſetz war nicht da und wurde auch nicht erlaſſen. (Kent Comm. § 59. 60). Ein Keim zur Beſeitigung des Beuterechts iſt ſchon in der engliſchen Magna Charta von 1215 zu finden, indem ſie das Vermögen fremder Kauf- leute in England auch im Kriege ſchützt, wenn Gegenrecht gehalten wird. Vgl. unten zu § 669. Vgl. oben die Einleitung S. 38 und Berner Art. Beute im deutſchen Statswörterbuch von Bluntſchli und Brater. 2. Die Beute iſt demgemäß nicht mehr als Regel erlaubt, ſondern nur aus- nahmsweiſe aus beſondern Gründen und in engſter Beſchränkung. Die wichtig- ſten Fälle einer noch erlaubten Beute ſind: a) die Habe des feindlichen States ſelbſt, § 645, b) die Waffen und kriegeriſche Rüſtung der beſiegten feindlichen Perſonen, § 659. 660, c) die Contrebande (Buch IX. Abſch. 4). Daneben noch, obwohl bereits angezweifelt d) die Geſtattung, einen erſtürmten Platz zu plündern, § 661, e) die Seebeute, § 664 f. 658. Wenn der eine Stat an den andern feindlichen Stat eine Geld- ſumme aus Darlehen oder einem andern Rechtsgrunde ſchuldet, ſo darf er wohl während des Kriegs die Verzinſung und Bezahlung dieſer Schuld verweigern, nicht aber, wenn er die Statsſchuld an Privatgläubiger ſchul- det, welche dem feindlichen State angehören. In dem bekannten Streit zwiſchen Preußen und England vom Jahr 1753 vertheidigte Friedrich II. die Beſchlagnahme der Schleſiſchen Statsſchuld zum Nachtheile der engliſchen Gläubiger, worüber ſich die engliſchen Publiciſten als über eine ſchreiende Verletzung des Völkerrechts beſchwerten, nur aus dem Geſichtspunkte der Repreſ-

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 358. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/380>, abgerufen am 29.03.2024.