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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Einleitung.
Aber zugleich legt es allen Staten auch Pflichten auf, indem es sie als
Glieder der Menschheit verbindet und deshalb von ihnen Achtung vor dem
Menschenrechte fordert. Würde man die Souveränetät der Staten
als ein unbegränztes Recht fassen, so würde jeder Stat auch dem andern
gegenüber thun können, was ihm beliebte, d. h. es würde das Völkerrecht
im Princip verneint. Würde man umgekehrt die Zusammengehörigkeit der
Staten und die Einheit des Menschengeschlechts rücksichtslos durch-
führen, so würde dadurch die Selbständigkeit der einzelnen Staten ge-
brochen, ihre Eigenart und ihre Freiheit gefährdet, sie würden am Ende
zu bloßen Provinzen des Einen Weltreichs erniedrigt.

Deshalb ist es nöthig, daß die Fortbildung des Völkerrechts zugleich
die Gränzen beachte, welche seiner Wirksamkeit durch das Statsrecht ge-
zogen sind. Aus diesem Grunde bestimmt das Völkerrecht zunächst und
hauptsächlich die Rechtsverhältnisse der Staten unter einander und
hütet sich davor, sich in die innern Angelegenheiten der Staten ein-
zumischen. Den Schutz der Privatrechte stellt es durchweg den Staten
anheim, auch dann wenn diese Privatrechte einen allgemein-menschlichen
Charakter haben, und greift nicht in die Handhabung der statlichen Straf-
gerichtsbarkeit ein, wenngleich auch hier zuweilen menschliches Recht in
Frage ist.

Es ist nicht unmöglich, daß in der Zukunft das Völkerrecht etwas
weniger ängstlich sein und in manchen Fällen sich für berechtigt halten
werde, zum Schutze gewisser Menschenrechte einzuschreiten, wenn dieselben
von einer Statsgewalt selbst unterdrückt werden; etwa so wie in den
Bundesstaten die Bundesgewalt gewisse vorschriftsmäßige Rechte der Privaten
auch gegen die Verletzung von Seite eines Einzelstates zu schützen pflegt.
Aber die bisherigen Versuche völkerrechtlicher Garantien zum Schutze
menschlicher Privatrechte sind noch selten und schwach und überall noch
hindert die Furcht vor Eingriffen in die Souveränetät der Staten ein
energisches Vorgehen.

Maßregeln gegen die Sclaverei.

Eine derartige Ausnahme enthalten die völkerrechtlichen Maßregeln
gegen die Zufuhr von Negersclaven.

Die meisten Völker der alten Welt hatten die Sclaverei geduldet.
Die römischen Juristen, wohlbewußt, daß das natürliche Menschenrecht die
Freiheit, nicht die Sclaverei sei, suchten diese eben mit der allgemeinen
Rechtssitte aller Völker zu rechtfertigen. Auch das Christenthum, obwohl

Einleitung.
Aber zugleich legt es allen Staten auch Pflichten auf, indem es ſie als
Glieder der Menſchheit verbindet und deshalb von ihnen Achtung vor dem
Menſchenrechte fordert. Würde man die Souveränetät der Staten
als ein unbegränztes Recht faſſen, ſo würde jeder Stat auch dem andern
gegenüber thun können, was ihm beliebte, d. h. es würde das Völkerrecht
im Princip verneint. Würde man umgekehrt die Zuſammengehörigkeit der
Staten und die Einheit des Menſchengeſchlechts rückſichtslos durch-
führen, ſo würde dadurch die Selbſtändigkeit der einzelnen Staten ge-
brochen, ihre Eigenart und ihre Freiheit gefährdet, ſie würden am Ende
zu bloßen Provinzen des Einen Weltreichs erniedrigt.

Deshalb iſt es nöthig, daß die Fortbildung des Völkerrechts zugleich
die Gränzen beachte, welche ſeiner Wirkſamkeit durch das Statsrecht ge-
zogen ſind. Aus dieſem Grunde beſtimmt das Völkerrecht zunächſt und
hauptſächlich die Rechtsverhältniſſe der Staten unter einander und
hütet ſich davor, ſich in die innern Angelegenheiten der Staten ein-
zumiſchen. Den Schutz der Privatrechte ſtellt es durchweg den Staten
anheim, auch dann wenn dieſe Privatrechte einen allgemein-menſchlichen
Charakter haben, und greift nicht in die Handhabung der ſtatlichen Straf-
gerichtsbarkeit ein, wenngleich auch hier zuweilen menſchliches Recht in
Frage iſt.

Es iſt nicht unmöglich, daß in der Zukunft das Völkerrecht etwas
weniger ängſtlich ſein und in manchen Fällen ſich für berechtigt halten
werde, zum Schutze gewiſſer Menſchenrechte einzuſchreiten, wenn dieſelben
von einer Statsgewalt ſelbſt unterdrückt werden; etwa ſo wie in den
Bundesſtaten die Bundesgewalt gewiſſe vorſchriftsmäßige Rechte der Privaten
auch gegen die Verletzung von Seite eines Einzelſtates zu ſchützen pflegt.
Aber die bisherigen Verſuche völkerrechtlicher Garantien zum Schutze
menſchlicher Privatrechte ſind noch ſelten und ſchwach und überall noch
hindert die Furcht vor Eingriffen in die Souveränetät der Staten ein
energiſches Vorgehen.

Maßregeln gegen die Sclaverei.

Eine derartige Ausnahme enthalten die völkerrechtlichen Maßregeln
gegen die Zufuhr von Negerſclaven.

Die meiſten Völker der alten Welt hatten die Sclaverei geduldet.
Die römiſchen Juriſten, wohlbewußt, daß das natürliche Menſchenrecht die
Freiheit, nicht die Sclaverei ſei, ſuchten dieſe eben mit der allgemeinen
Rechtsſitte aller Völker zu rechtfertigen. Auch das Chriſtenthum, obwohl

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[18/0040] Einleitung. Aber zugleich legt es allen Staten auch Pflichten auf, indem es ſie als Glieder der Menſchheit verbindet und deshalb von ihnen Achtung vor dem Menſchenrechte fordert. Würde man die Souveränetät der Staten als ein unbegränztes Recht faſſen, ſo würde jeder Stat auch dem andern gegenüber thun können, was ihm beliebte, d. h. es würde das Völkerrecht im Princip verneint. Würde man umgekehrt die Zuſammengehörigkeit der Staten und die Einheit des Menſchengeſchlechts rückſichtslos durch- führen, ſo würde dadurch die Selbſtändigkeit der einzelnen Staten ge- brochen, ihre Eigenart und ihre Freiheit gefährdet, ſie würden am Ende zu bloßen Provinzen des Einen Weltreichs erniedrigt. Deshalb iſt es nöthig, daß die Fortbildung des Völkerrechts zugleich die Gränzen beachte, welche ſeiner Wirkſamkeit durch das Statsrecht ge- zogen ſind. Aus dieſem Grunde beſtimmt das Völkerrecht zunächſt und hauptſächlich die Rechtsverhältniſſe der Staten unter einander und hütet ſich davor, ſich in die innern Angelegenheiten der Staten ein- zumiſchen. Den Schutz der Privatrechte ſtellt es durchweg den Staten anheim, auch dann wenn dieſe Privatrechte einen allgemein-menſchlichen Charakter haben, und greift nicht in die Handhabung der ſtatlichen Straf- gerichtsbarkeit ein, wenngleich auch hier zuweilen menſchliches Recht in Frage iſt. Es iſt nicht unmöglich, daß in der Zukunft das Völkerrecht etwas weniger ängſtlich ſein und in manchen Fällen ſich für berechtigt halten werde, zum Schutze gewiſſer Menſchenrechte einzuſchreiten, wenn dieſelben von einer Statsgewalt ſelbſt unterdrückt werden; etwa ſo wie in den Bundesſtaten die Bundesgewalt gewiſſe vorſchriftsmäßige Rechte der Privaten auch gegen die Verletzung von Seite eines Einzelſtates zu ſchützen pflegt. Aber die bisherigen Verſuche völkerrechtlicher Garantien zum Schutze menſchlicher Privatrechte ſind noch ſelten und ſchwach und überall noch hindert die Furcht vor Eingriffen in die Souveränetät der Staten ein energiſches Vorgehen. Maßregeln gegen die Sclaverei. Eine derartige Ausnahme enthalten die völkerrechtlichen Maßregeln gegen die Zufuhr von Negerſclaven. Die meiſten Völker der alten Welt hatten die Sclaverei geduldet. Die römiſchen Juriſten, wohlbewußt, daß das natürliche Menſchenrecht die Freiheit, nicht die Sclaverei ſei, ſuchten dieſe eben mit der allgemeinen Rechtsſitte aller Völker zu rechtfertigen. Auch das Chriſtenthum, obwohl

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/40>, abgerufen am 25.04.2024.