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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Das Kriegsrecht.
worden wäre. Die unmögliche Erfüllung gilt nicht als Bruch des
Friedensschlusses.

1. Das Völkerrecht unterscheidet zwischen dem Friedensbruch und der
Verletzung der im Friedensvertrag anerkannten oder durch den-
selben begründeten Rechte
. Der Friedensbruch kann nur in der ersten Zeit
nach dem Friedensschluß und bevor der Friede zu beiderseitiger Geltung gelangt
ist, geschehen. In diesem Stadium des Uebergangs aus dem Kriegszustand in
den Friedenszustand gefährdet der Friedensbruch die ganze Existenz des Friedens und
berechtigt die verletzte Partei, den Frieden als unwirksam zu betrachten und dem-
gemäß den Krieg fortzusetzen, bis es zu einem neuen und dann durch-
geführten Friedensschluß kommt. Wird aber der Krieg, trotzdem daß einzelne
Bestimmungen des Friedens nicht ausgeführt werden, nicht erneuert, kommt es trotz-
dem zu thatsächlicher Erneuerung des Friedenszustandes, wie z. B. nach dem Züricher
Frieden zwischen Oesterreich und Italien von 1859, so spricht man nicht mehr von
Friedensbruch, wenn gleich die Beschwerden über den Nichtvollzug des Friedens-
vertrags fortdauern und unter Umständen zu neuen ernsten Verwicklungen führen
können.

2. Die Verletzung des Friedensvertrags dagegen, zum Unterschied
des Friedensbruchs steht rechtlich jeder andern Vertragsverletzung gleich, und kann,
wenn sie schwer genug ist und anders nicht geheilt wird, unter Umständen zu einem
neuen Kriege führen.

3. Das Ultra posse nemo tenetur gilt auch von der Nichtaus-
führung einzelner Friedensartikel. Wenn z. B. der Pragerfriede zwischen Oesterreich
und Preußen vom 23. August 1866 dem "Verein der süddeutschen Staten" eine
"internationale unabhängige Existenz" zuschrieb, so konnten doch diese Staten nicht
gezwungen werden, einen Verein zu bilden. Soweit dieser Zwang völker-
rechtlich unmöglich und daher die Bestimmung nicht ausführbar ist, kann daher auch
nicht von Verletzung des Friedensvertrags die Rede sein.

726.

Der Friedensvertrag bildet ein Ganzes. Der Bruch einer Friedens-
bestimmung zieht den Bruch des Friedens nach sich, wenn nicht in dem
Frieden anders bestimmt ist.

Vgl. Wheaton Int. Law. § 550. Der Friedensschluß kann bestimmen,
daß die übrigen Artikel fortgelten sollen, wenn auch einer derselben nicht zur Aus-
führung komme.


Das Kriegsrecht.
worden wäre. Die unmögliche Erfüllung gilt nicht als Bruch des
Friedensſchluſſes.

1. Das Völkerrecht unterſcheidet zwiſchen dem Friedensbruch und der
Verletzung der im Friedensvertrag anerkannten oder durch den-
ſelben begründeten Rechte
. Der Friedensbruch kann nur in der erſten Zeit
nach dem Friedensſchluß und bevor der Friede zu beiderſeitiger Geltung gelangt
iſt, geſchehen. In dieſem Stadium des Uebergangs aus dem Kriegszuſtand in
den Friedenszuſtand gefährdet der Friedensbruch die ganze Exiſtenz des Friedens und
berechtigt die verletzte Partei, den Frieden als unwirkſam zu betrachten und dem-
gemäß den Krieg fortzuſetzen, bis es zu einem neuen und dann durch-
geführten Friedensſchluß kommt. Wird aber der Krieg, trotzdem daß einzelne
Beſtimmungen des Friedens nicht ausgeführt werden, nicht erneuert, kommt es trotz-
dem zu thatſächlicher Erneuerung des Friedenszuſtandes, wie z. B. nach dem Züricher
Frieden zwiſchen Oeſterreich und Italien von 1859, ſo ſpricht man nicht mehr von
Friedensbruch, wenn gleich die Beſchwerden über den Nichtvollzug des Friedens-
vertrags fortdauern und unter Umſtänden zu neuen ernſten Verwicklungen führen
können.

2. Die Verletzung des Friedensvertrags dagegen, zum Unterſchied
des Friedensbruchs ſteht rechtlich jeder andern Vertragsverletzung gleich, und kann,
wenn ſie ſchwer genug iſt und anders nicht geheilt wird, unter Umſtänden zu einem
neuen Kriege führen.

3. Das Ultra posse nemo tenetur gilt auch von der Nichtaus-
führung einzelner Friedensartikel. Wenn z. B. der Pragerfriede zwiſchen Oeſterreich
und Preußen vom 23. Auguſt 1866 dem „Verein der ſüddeutſchen Staten“ eine
„internationale unabhängige Exiſtenz“ zuſchrieb, ſo konnten doch dieſe Staten nicht
gezwungen werden, einen Verein zu bilden. Soweit dieſer Zwang völker-
rechtlich unmöglich und daher die Beſtimmung nicht ausführbar iſt, kann daher auch
nicht von Verletzung des Friedensvertrags die Rede ſein.

726.

Der Friedensvertrag bildet ein Ganzes. Der Bruch einer Friedens-
beſtimmung zieht den Bruch des Friedens nach ſich, wenn nicht in dem
Frieden anders beſtimmt iſt.

Vgl. Wheaton Int. Law. § 550. Der Friedensſchluß kann beſtimmen,
daß die übrigen Artikel fortgelten ſollen, wenn auch einer derſelben nicht zur Aus-
führung komme.


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[393/0415] Das Kriegsrecht. worden wäre. Die unmögliche Erfüllung gilt nicht als Bruch des Friedensſchluſſes. 1. Das Völkerrecht unterſcheidet zwiſchen dem Friedensbruch und der Verletzung der im Friedensvertrag anerkannten oder durch den- ſelben begründeten Rechte. Der Friedensbruch kann nur in der erſten Zeit nach dem Friedensſchluß und bevor der Friede zu beiderſeitiger Geltung gelangt iſt, geſchehen. In dieſem Stadium des Uebergangs aus dem Kriegszuſtand in den Friedenszuſtand gefährdet der Friedensbruch die ganze Exiſtenz des Friedens und berechtigt die verletzte Partei, den Frieden als unwirkſam zu betrachten und dem- gemäß den Krieg fortzuſetzen, bis es zu einem neuen und dann durch- geführten Friedensſchluß kommt. Wird aber der Krieg, trotzdem daß einzelne Beſtimmungen des Friedens nicht ausgeführt werden, nicht erneuert, kommt es trotz- dem zu thatſächlicher Erneuerung des Friedenszuſtandes, wie z. B. nach dem Züricher Frieden zwiſchen Oeſterreich und Italien von 1859, ſo ſpricht man nicht mehr von Friedensbruch, wenn gleich die Beſchwerden über den Nichtvollzug des Friedens- vertrags fortdauern und unter Umſtänden zu neuen ernſten Verwicklungen führen können. 2. Die Verletzung des Friedensvertrags dagegen, zum Unterſchied des Friedensbruchs ſteht rechtlich jeder andern Vertragsverletzung gleich, und kann, wenn ſie ſchwer genug iſt und anders nicht geheilt wird, unter Umſtänden zu einem neuen Kriege führen. 3. Das Ultra posse nemo tenetur gilt auch von der Nichtaus- führung einzelner Friedensartikel. Wenn z. B. der Pragerfriede zwiſchen Oeſterreich und Preußen vom 23. Auguſt 1866 dem „Verein der ſüddeutſchen Staten“ eine „internationale unabhängige Exiſtenz“ zuſchrieb, ſo konnten doch dieſe Staten nicht gezwungen werden, einen Verein zu bilden. Soweit dieſer Zwang völker- rechtlich unmöglich und daher die Beſtimmung nicht ausführbar iſt, kann daher auch nicht von Verletzung des Friedensvertrags die Rede ſein. 726. Der Friedensvertrag bildet ein Ganzes. Der Bruch einer Friedens- beſtimmung zieht den Bruch des Friedens nach ſich, wenn nicht in dem Frieden anders beſtimmt iſt. Vgl. Wheaton Int. Law. § 550. Der Friedensſchluß kann beſtimmen, daß die übrigen Artikel fortgelten ſollen, wenn auch einer derſelben nicht zur Aus- führung komme.

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 393. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/415>, abgerufen am 29.03.2024.