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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Achtes Buch.

Vgl. oben § 609. Der Bruch des Ehrenworts ist freilich zunächst eine Ver-
letzung des Stats, dem das Ehrenwort gegeben worden ist, aber so anstößig, daß
auch der Stat, dem der Gefangene angehört, berechtigt ist, einen so Befreiten zurück-
zuweisen und dem Feind wieder zu überliefern.

738.

Das Postliminium der Privatpersonen hat die Bedeutung, daß ihre
persönlichen Rechte, an deren Ausübung sie durch die Kriegsgefangenschaft
gehindert waren, nun wieder von ihnen ausgeübt werden können. Die
Vormundschaft, die inzwischen für sie bestellt worden ist, hört auf und sie
treten in den persönlichen durch keine Feindesgewalt gehinderten Genuß
ihres Vermögens wieder ein. Ihr Recht war aber auch während der Ge-
fangenschaft nicht aufgehoben. Nach modernem Recht dauert die Ehe des
Kriegsgefangenen fort und kann er auch über sein Vermögen gültig unter
Lebenden oder durch letzten Willen verfügen.

Da die heutige Kriegsgefangenschaft die Vermögensrechte der Kriegsgefangenen
keineswegs aufhebt, sondern nur sie in der Verwaltung ihres Vermögens thatsächlich
hemmt, so bedeutet das moderne Postliminium nicht wie das antike Wieder-
herstellung des Rechts
, sondern nur Beseitigung jener Hemmnisse.
Rechtlich
ist der Kriegsgefangene nicht gehindert, über sein Vermögen zu verfügen.
Er kann z. B. einen Verwalter bestellen und ermächtigen, der in seiner Abwesenheit die
Wirthschaft besorge, einzelne Sachen veräußern, Verträge abschließen, ein Testament
machen u. s. f. Nur thatsächlich werden manche Anordnungen wegen der Ver-
hinderung der Communication nicht ausführbar sein. In allen diesen Beziehungen
beruhte das römische Postliminium auf einer ganz entgegengesetzten Rechtsgrundlage.
Der Kriegsgefangene hatte als solcher alle Rechte auch über sein Vermögen verloren
und nur das Postliminium stellte dieselben durch die Fiction wieder her, daß er
inzwischen nicht gefangen gewesen sei.

739.

Das Postliminium wirkt ferner zu Gunsten des wieder wirksam
gewordenen Grundeigenthums, wenn dasselbe während des Kriegs dem
Eigenthümer durch die feindliche Kriegsgewalt entzogen und wieder unter
die Autorität des befreundeten States zurückgelangt ist.

Wenn die feindliche Kriegsgewalt z. B. einzelne Privaten aus dem Besitz
ihrer Häuser und Güter verdrängt, und dieselben für militärische Zwecke in ihren
Besitz genommen hat, aber vor dem Krieg wieder aus dieser Gegend zurückgeworfen
wird, so können die Privaten sich unbedenklich wieder in den Besitz ihres Eigenthums
setzen. Wären gar jene Güter inzwischen von der feindlichen Kriegsgewalt veräußert

Achtes Buch.

Vgl. oben § 609. Der Bruch des Ehrenworts iſt freilich zunächſt eine Ver-
letzung des Stats, dem das Ehrenwort gegeben worden iſt, aber ſo anſtößig, daß
auch der Stat, dem der Gefangene angehört, berechtigt iſt, einen ſo Befreiten zurück-
zuweiſen und dem Feind wieder zu überliefern.

738.

Das Postliminium der Privatperſonen hat die Bedeutung, daß ihre
perſönlichen Rechte, an deren Ausübung ſie durch die Kriegsgefangenſchaft
gehindert waren, nun wieder von ihnen ausgeübt werden können. Die
Vormundſchaft, die inzwiſchen für ſie beſtellt worden iſt, hört auf und ſie
treten in den perſönlichen durch keine Feindesgewalt gehinderten Genuß
ihres Vermögens wieder ein. Ihr Recht war aber auch während der Ge-
fangenſchaft nicht aufgehoben. Nach modernem Recht dauert die Ehe des
Kriegsgefangenen fort und kann er auch über ſein Vermögen gültig unter
Lebenden oder durch letzten Willen verfügen.

Da die heutige Kriegsgefangenſchaft die Vermögensrechte der Kriegsgefangenen
keineswegs aufhebt, ſondern nur ſie in der Verwaltung ihres Vermögens thatſächlich
hemmt, ſo bedeutet das moderne Postliminium nicht wie das antike Wieder-
herſtellung des Rechts
, ſondern nur Beſeitigung jener Hemmniſſe.
Rechtlich
iſt der Kriegsgefangene nicht gehindert, über ſein Vermögen zu verfügen.
Er kann z. B. einen Verwalter beſtellen und ermächtigen, der in ſeiner Abweſenheit die
Wirthſchaft beſorge, einzelne Sachen veräußern, Verträge abſchließen, ein Teſtament
machen u. ſ. f. Nur thatſächlich werden manche Anordnungen wegen der Ver-
hinderung der Communication nicht ausführbar ſein. In allen dieſen Beziehungen
beruhte das römiſche Postliminium auf einer ganz entgegengeſetzten Rechtsgrundlage.
Der Kriegsgefangene hatte als ſolcher alle Rechte auch über ſein Vermögen verloren
und nur das Postliminium ſtellte dieſelben durch die Fiction wieder her, daß er
inzwiſchen nicht gefangen geweſen ſei.

739.

Das Postliminium wirkt ferner zu Gunſten des wieder wirkſam
gewordenen Grundeigenthums, wenn dasſelbe während des Kriegs dem
Eigenthümer durch die feindliche Kriegsgewalt entzogen und wieder unter
die Autorität des befreundeten States zurückgelangt iſt.

Wenn die feindliche Kriegsgewalt z. B. einzelne Privaten aus dem Beſitz
ihrer Häuſer und Güter verdrängt, und dieſelben für militäriſche Zwecke in ihren
Beſitz genommen hat, aber vor dem Krieg wieder aus dieſer Gegend zurückgeworfen
wird, ſo können die Privaten ſich unbedenklich wieder in den Beſitz ihres Eigenthums
ſetzen. Wären gar jene Güter inzwiſchen von der feindlichen Kriegsgewalt veräußert

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[400/0422] Achtes Buch. Vgl. oben § 609. Der Bruch des Ehrenworts iſt freilich zunächſt eine Ver- letzung des Stats, dem das Ehrenwort gegeben worden iſt, aber ſo anſtößig, daß auch der Stat, dem der Gefangene angehört, berechtigt iſt, einen ſo Befreiten zurück- zuweiſen und dem Feind wieder zu überliefern. 738. Das Postliminium der Privatperſonen hat die Bedeutung, daß ihre perſönlichen Rechte, an deren Ausübung ſie durch die Kriegsgefangenſchaft gehindert waren, nun wieder von ihnen ausgeübt werden können. Die Vormundſchaft, die inzwiſchen für ſie beſtellt worden iſt, hört auf und ſie treten in den perſönlichen durch keine Feindesgewalt gehinderten Genuß ihres Vermögens wieder ein. Ihr Recht war aber auch während der Ge- fangenſchaft nicht aufgehoben. Nach modernem Recht dauert die Ehe des Kriegsgefangenen fort und kann er auch über ſein Vermögen gültig unter Lebenden oder durch letzten Willen verfügen. Da die heutige Kriegsgefangenſchaft die Vermögensrechte der Kriegsgefangenen keineswegs aufhebt, ſondern nur ſie in der Verwaltung ihres Vermögens thatſächlich hemmt, ſo bedeutet das moderne Postliminium nicht wie das antike Wieder- herſtellung des Rechts, ſondern nur Beſeitigung jener Hemmniſſe. Rechtlich iſt der Kriegsgefangene nicht gehindert, über ſein Vermögen zu verfügen. Er kann z. B. einen Verwalter beſtellen und ermächtigen, der in ſeiner Abweſenheit die Wirthſchaft beſorge, einzelne Sachen veräußern, Verträge abſchließen, ein Teſtament machen u. ſ. f. Nur thatſächlich werden manche Anordnungen wegen der Ver- hinderung der Communication nicht ausführbar ſein. In allen dieſen Beziehungen beruhte das römiſche Postliminium auf einer ganz entgegengeſetzten Rechtsgrundlage. Der Kriegsgefangene hatte als ſolcher alle Rechte auch über ſein Vermögen verloren und nur das Postliminium ſtellte dieſelben durch die Fiction wieder her, daß er inzwiſchen nicht gefangen geweſen ſei. 739. Das Postliminium wirkt ferner zu Gunſten des wieder wirkſam gewordenen Grundeigenthums, wenn dasſelbe während des Kriegs dem Eigenthümer durch die feindliche Kriegsgewalt entzogen und wieder unter die Autorität des befreundeten States zurückgelangt iſt. Wenn die feindliche Kriegsgewalt z. B. einzelne Privaten aus dem Beſitz ihrer Häuſer und Güter verdrängt, und dieſelben für militäriſche Zwecke in ihren Beſitz genommen hat, aber vor dem Krieg wieder aus dieſer Gegend zurückgeworfen wird, ſo können die Privaten ſich unbedenklich wieder in den Beſitz ihres Eigenthums ſetzen. Wären gar jene Güter inzwiſchen von der feindlichen Kriegsgewalt veräußert

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 400. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/422>, abgerufen am 29.03.2024.