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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Neuntes Buch.
neutrale Stat eine Kriegspartei mit Waffen oder anderem Kriegsmaterial
ausrüstet oder ausrüsten hilft.

Wenn aber Privatpersonen ohne die Absicht der Kriegshülfe, lediglich
in Form des Handelsgeschäfts, Waffen oder Kriegsmaterial an einen
kriegführenden Stat veräußern, so laufen sie zwar Gefahr, daß diese
Gegenstände als Kriegscontrebande von der Gegenpartei weggenommen
werden, aber durch die Duldung des Handelsverkehrs mit Kriegscontre-
bande wird die neutrale Haltung des States, von dem aus jener Verkehr
betrieben wird, nicht verletzt.

1. Soweit die Ausrüstung mit Waffen oder die Zusendung von Waffen als
beabsichtigte Kriegshülfe sich darstellt, soweit ist das ein feindlicher Act,
welcher mit neutraler Stellung sich nicht verträgt. Dagegen der offene Handel
mit Waffen von Seite der Waffenfabriken und Waffenhändler ist seiner Natur nach
ein friedliches Privatgeschäft, welches sowohl im Frieden als im Krieg in
gleicher Weise geübt wird. Dem Effekte nach freilich wirkt der Ankauf von Waffen
ganz ebenso wie die Ausrüstung mit Waffen. In beiden Fällen werden die In-
teressen der kriegführenden Partei dadurch gefördert. Daher kann sich auch die
Absicht der kriegerischen Beihülfe
, die den Neutralen durch das Völkerrecht
untersagt wird, in die Form des friedlichen Handelsgeschäfts, welches
völkerrechtlich den Neutralen nicht verwehrt wird, verstecken. In den einzelnen Fällen
also kann man Zweifel haben, ob jene oder ob dieses gemeint sei, und diese Zweifel
müssen aus den Umständen gelöst werden. Wird der Handel heimlich gemacht
und vollzogen, wird er nur einseitig einer Partei gewährt, so darf wohl daraus
geschlossen werden, daß Kriegshülfe beabsichtigt und die Form des friedlichen Geschäfts
nur zur Verbergung jener Absicht gewählt worden sei.

2. Wer Kriegscontrebande einer Kriegspartei zuführt, der setzt sich der
Gefahr der Prise aus (vgl. unten Cap. 4). Aber er verletzt nur die Kriegs-
interessen der einen Partei und verfällt insofern ihrem Kriegsrecht. Der neutrale
Stat hat keinen Grund, die Lieferung von Kriegscontrebande auch seinerseits zu
hindern. Bei den Verhandlungen vom Jahr 1793 über die nordamerikanische Neu-
tralität in dem französisch-englischen Krieg erklärte Jefferson, das Recht der
Bürger, Waffen zu bearbeiten, zu verkaufen, auszuführen könne nicht durch einen
fremden Krieg aufgehoben werden. Aber die amerikanischen Bürger üben dasselbe
auf ihre Rechnung und Gefahr aus. Wheaton a. a. O. S. 538.

766.

Der neutrale Stat ist verpflichtet, Waffensendungen im Großen,
welche nach den Umständen als Kriegshülfe erscheinen, auf seinem Gebiete
möglichst zu verhindern.

Neuntes Buch.
neutrale Stat eine Kriegspartei mit Waffen oder anderem Kriegsmaterial
ausrüſtet oder ausrüſten hilft.

Wenn aber Privatperſonen ohne die Abſicht der Kriegshülfe, lediglich
in Form des Handelsgeſchäfts, Waffen oder Kriegsmaterial an einen
kriegführenden Stat veräußern, ſo laufen ſie zwar Gefahr, daß dieſe
Gegenſtände als Kriegscontrebande von der Gegenpartei weggenommen
werden, aber durch die Duldung des Handelsverkehrs mit Kriegscontre-
bande wird die neutrale Haltung des States, von dem aus jener Verkehr
betrieben wird, nicht verletzt.

1. Soweit die Ausrüſtung mit Waffen oder die Zuſendung von Waffen als
beabſichtigte Kriegshülfe ſich darſtellt, ſoweit iſt das ein feindlicher Act,
welcher mit neutraler Stellung ſich nicht verträgt. Dagegen der offene Handel
mit Waffen von Seite der Waffenfabriken und Waffenhändler iſt ſeiner Natur nach
ein friedliches Privatgeſchäft, welches ſowohl im Frieden als im Krieg in
gleicher Weiſe geübt wird. Dem Effekte nach freilich wirkt der Ankauf von Waffen
ganz ebenſo wie die Ausrüſtung mit Waffen. In beiden Fällen werden die In-
tereſſen der kriegführenden Partei dadurch gefördert. Daher kann ſich auch die
Abſicht der kriegeriſchen Beihülfe
, die den Neutralen durch das Völkerrecht
unterſagt wird, in die Form des friedlichen Handelsgeſchäfts, welches
völkerrechtlich den Neutralen nicht verwehrt wird, verſtecken. In den einzelnen Fällen
alſo kann man Zweifel haben, ob jene oder ob dieſes gemeint ſei, und dieſe Zweifel
müſſen aus den Umſtänden gelöst werden. Wird der Handel heimlich gemacht
und vollzogen, wird er nur einſeitig einer Partei gewährt, ſo darf wohl daraus
geſchloſſen werden, daß Kriegshülfe beabſichtigt und die Form des friedlichen Geſchäfts
nur zur Verbergung jener Abſicht gewählt worden ſei.

2. Wer Kriegscontrebande einer Kriegspartei zuführt, der ſetzt ſich der
Gefahr der Priſe aus (vgl. unten Cap. 4). Aber er verletzt nur die Kriegs-
intereſſen der einen Partei und verfällt inſofern ihrem Kriegsrecht. Der neutrale
Stat hat keinen Grund, die Lieferung von Kriegscontrebande auch ſeinerſeits zu
hindern. Bei den Verhandlungen vom Jahr 1793 über die nordamerikaniſche Neu-
tralität in dem franzöſiſch-engliſchen Krieg erklärte Jefferſon, das Recht der
Bürger, Waffen zu bearbeiten, zu verkaufen, auszuführen könne nicht durch einen
fremden Krieg aufgehoben werden. Aber die amerikaniſchen Bürger üben dasſelbe
auf ihre Rechnung und Gefahr aus. Wheaton a. a. O. S. 538.

766.

Der neutrale Stat iſt verpflichtet, Waffenſendungen im Großen,
welche nach den Umſtänden als Kriegshülfe erſcheinen, auf ſeinem Gebiete
möglichſt zu verhindern.

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[414/0436] Neuntes Buch. neutrale Stat eine Kriegspartei mit Waffen oder anderem Kriegsmaterial ausrüſtet oder ausrüſten hilft. Wenn aber Privatperſonen ohne die Abſicht der Kriegshülfe, lediglich in Form des Handelsgeſchäfts, Waffen oder Kriegsmaterial an einen kriegführenden Stat veräußern, ſo laufen ſie zwar Gefahr, daß dieſe Gegenſtände als Kriegscontrebande von der Gegenpartei weggenommen werden, aber durch die Duldung des Handelsverkehrs mit Kriegscontre- bande wird die neutrale Haltung des States, von dem aus jener Verkehr betrieben wird, nicht verletzt. 1. Soweit die Ausrüſtung mit Waffen oder die Zuſendung von Waffen als beabſichtigte Kriegshülfe ſich darſtellt, ſoweit iſt das ein feindlicher Act, welcher mit neutraler Stellung ſich nicht verträgt. Dagegen der offene Handel mit Waffen von Seite der Waffenfabriken und Waffenhändler iſt ſeiner Natur nach ein friedliches Privatgeſchäft, welches ſowohl im Frieden als im Krieg in gleicher Weiſe geübt wird. Dem Effekte nach freilich wirkt der Ankauf von Waffen ganz ebenſo wie die Ausrüſtung mit Waffen. In beiden Fällen werden die In- tereſſen der kriegführenden Partei dadurch gefördert. Daher kann ſich auch die Abſicht der kriegeriſchen Beihülfe, die den Neutralen durch das Völkerrecht unterſagt wird, in die Form des friedlichen Handelsgeſchäfts, welches völkerrechtlich den Neutralen nicht verwehrt wird, verſtecken. In den einzelnen Fällen alſo kann man Zweifel haben, ob jene oder ob dieſes gemeint ſei, und dieſe Zweifel müſſen aus den Umſtänden gelöst werden. Wird der Handel heimlich gemacht und vollzogen, wird er nur einſeitig einer Partei gewährt, ſo darf wohl daraus geſchloſſen werden, daß Kriegshülfe beabſichtigt und die Form des friedlichen Geſchäfts nur zur Verbergung jener Abſicht gewählt worden ſei. 2. Wer Kriegscontrebande einer Kriegspartei zuführt, der ſetzt ſich der Gefahr der Priſe aus (vgl. unten Cap. 4). Aber er verletzt nur die Kriegs- intereſſen der einen Partei und verfällt inſofern ihrem Kriegsrecht. Der neutrale Stat hat keinen Grund, die Lieferung von Kriegscontrebande auch ſeinerſeits zu hindern. Bei den Verhandlungen vom Jahr 1793 über die nordamerikaniſche Neu- tralität in dem franzöſiſch-engliſchen Krieg erklärte Jefferſon, das Recht der Bürger, Waffen zu bearbeiten, zu verkaufen, auszuführen könne nicht durch einen fremden Krieg aufgehoben werden. Aber die amerikaniſchen Bürger üben dasſelbe auf ihre Rechnung und Gefahr aus. Wheaton a. a. O. S. 538. 766. Der neutrale Stat iſt verpflichtet, Waffenſendungen im Großen, welche nach den Umſtänden als Kriegshülfe erſcheinen, auf ſeinem Gebiete möglichſt zu verhindern.

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 414. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/436>, abgerufen am 19.04.2024.