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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Neuntes Buch.
des Bürgerkriegs gegen den Capitän und trat als Caperschiff in den Dienst der con-
föderirten Südstaten. Ein Kriegsschiff der Vereinigten Staten verfolgte dasselbe
und nahm es innerhalb der Brittischen Eigengewässer weg. Darüber beschwerte sich
die englische Regierung als über eine Verletzung ihrer neutralen Gebietshoheit. Der
amerikanische Minister Seward erkannte in einer Depesche vom 9. Jan. 1864 an,
daß das Verfahren des amerikanischen Kriegsschiffs nicht gerechtfertigt sei nach der
Strenge des Rechts, wenn auch einigermaßen zu entschuldigen durch den rühmlichen
Eifer, "offenbare Seeräuber zu strafen", und daß er daher diese Verletzung des
Völkerrechts und der freundlichen Beziehungen der beiden Staten bedaure und gegen
den Officier jenes Kriegsschiffs disciplinarisch verfahren werde. Die englische Regie-
rung begnügte sich mit dieser Erklärung. Das genommene Schiff aber wurde den
Englischen Behörden zur Verfügung gestellt, und schließlich den ursprünglichen Eigen-
thümern zurückgegeben.

3. Nur der neutrale Stat ist zunächst berechtigt, von dem krieg-
führenden Stat
die Herausgabe der Prise, beziehungsweise die Wiederherstellung
des frühern Zustands zu fordern, denn nur sein Recht ist durch die feindliche
Wegnahme verletzt worden, nicht aber der feindliche Eigner des genommenen
Schiffs. Allerdings kommt diese Befreiung dem Eigenthümer des genom-
menen Schiffs
zu Gute, da natürlich der neutrale Stat keine Ansprüche auf
dasselbe erheben kann. Aber diese Wirkung ist für ihn nur ein glückliches Ereigniß.
Wenn das genommene Schiff dem Prisengericht des Nehmers zugeführt worden ist,
so hängt es daher von dem neutralen State ab, die Vertheidigung des Eigen-
thümers durch seine Beschwerde zu unterstützen. In diesem Falle erkennt auch das
feindliche Prisengericht die Wegnahme als ungültig. Aber wenn der neutrale Stat
stillschweigt und sich die Verletzung seiner Gebietshoheit gefallen läßt, dann nimmt
man an, habe das Prisengericht keine Veranlassung, gegenüber einem feindlichen
genommenen Schiffe die Beschwerde des Neutralitätsbruchs zu beachten, welche nur
dem neutralen State zusteht. Vgl. Wheaton Int. L. § 430.

787.

Die Verfolgung eines feindlichen Schiffes, das sich in die Eigen-
gewässer eines neutralen States flüchtet, darf innerhalb dieser Gewässer
nicht fortgesetzt werden.

Die Praxis der Seemächte hat zwar diese Regel oft mißachtet und die neu-
tralen Staten haben diesen Eingriff in ihre friedliche Gebietshoheit oft ungerügt
ertragen. Dennoch zwingt die Logik zur Verwerfung dieser Praxis und findet die-
selbe in der Hitze des kriegerischen Eifers zwar eine psychologische Erklärung, aber
keine Rechtfertigung. Vgl. Wheaton Int. L. 429 und Anm. von Dana.

788.

Der neutrale Stat ist berechtigt, feindliche Truppen, welche in sein

Neuntes Buch.
des Bürgerkriegs gegen den Capitän und trat als Caperſchiff in den Dienſt der con-
föderirten Südſtaten. Ein Kriegsſchiff der Vereinigten Staten verfolgte dasſelbe
und nahm es innerhalb der Brittiſchen Eigengewäſſer weg. Darüber beſchwerte ſich
die engliſche Regierung als über eine Verletzung ihrer neutralen Gebietshoheit. Der
amerikaniſche Miniſter Seward erkannte in einer Depeſche vom 9. Jan. 1864 an,
daß das Verfahren des amerikaniſchen Kriegsſchiffs nicht gerechtfertigt ſei nach der
Strenge des Rechts, wenn auch einigermaßen zu entſchuldigen durch den rühmlichen
Eifer, „offenbare Seeräuber zu ſtrafen“, und daß er daher dieſe Verletzung des
Völkerrechts und der freundlichen Beziehungen der beiden Staten bedaure und gegen
den Officier jenes Kriegsſchiffs disciplinariſch verfahren werde. Die engliſche Regie-
rung begnügte ſich mit dieſer Erklärung. Das genommene Schiff aber wurde den
Engliſchen Behörden zur Verfügung geſtellt, und ſchließlich den urſprünglichen Eigen-
thümern zurückgegeben.

3. Nur der neutrale Stat iſt zunächſt berechtigt, von dem krieg-
führenden Stat
die Herausgabe der Priſe, beziehungsweiſe die Wiederherſtellung
des frühern Zuſtands zu fordern, denn nur ſein Recht iſt durch die feindliche
Wegnahme verletzt worden, nicht aber der feindliche Eigner des genommenen
Schiffs. Allerdings kommt dieſe Befreiung dem Eigenthümer des genom-
menen Schiffs
zu Gute, da natürlich der neutrale Stat keine Anſprüche auf
dasſelbe erheben kann. Aber dieſe Wirkung iſt für ihn nur ein glückliches Ereigniß.
Wenn das genommene Schiff dem Priſengericht des Nehmers zugeführt worden iſt,
ſo hängt es daher von dem neutralen State ab, die Vertheidigung des Eigen-
thümers durch ſeine Beſchwerde zu unterſtützen. In dieſem Falle erkennt auch das
feindliche Priſengericht die Wegnahme als ungültig. Aber wenn der neutrale Stat
ſtillſchweigt und ſich die Verletzung ſeiner Gebietshoheit gefallen läßt, dann nimmt
man an, habe das Priſengericht keine Veranlaſſung, gegenüber einem feindlichen
genommenen Schiffe die Beſchwerde des Neutralitätsbruchs zu beachten, welche nur
dem neutralen State zuſteht. Vgl. Wheaton Int. L. § 430.

787.

Die Verfolgung eines feindlichen Schiffes, das ſich in die Eigen-
gewäſſer eines neutralen States flüchtet, darf innerhalb dieſer Gewäſſer
nicht fortgeſetzt werden.

Die Praxis der Seemächte hat zwar dieſe Regel oft mißachtet und die neu-
tralen Staten haben dieſen Eingriff in ihre friedliche Gebietshoheit oft ungerügt
ertragen. Dennoch zwingt die Logik zur Verwerfung dieſer Praxis und findet die-
ſelbe in der Hitze des kriegeriſchen Eifers zwar eine pſychologiſche Erklärung, aber
keine Rechtfertigung. Vgl. Wheaton Int. L. 429 und Anm. von Dana.

788.

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[424/0446] Neuntes Buch. des Bürgerkriegs gegen den Capitän und trat als Caperſchiff in den Dienſt der con- föderirten Südſtaten. Ein Kriegsſchiff der Vereinigten Staten verfolgte dasſelbe und nahm es innerhalb der Brittiſchen Eigengewäſſer weg. Darüber beſchwerte ſich die engliſche Regierung als über eine Verletzung ihrer neutralen Gebietshoheit. Der amerikaniſche Miniſter Seward erkannte in einer Depeſche vom 9. Jan. 1864 an, daß das Verfahren des amerikaniſchen Kriegsſchiffs nicht gerechtfertigt ſei nach der Strenge des Rechts, wenn auch einigermaßen zu entſchuldigen durch den rühmlichen Eifer, „offenbare Seeräuber zu ſtrafen“, und daß er daher dieſe Verletzung des Völkerrechts und der freundlichen Beziehungen der beiden Staten bedaure und gegen den Officier jenes Kriegsſchiffs disciplinariſch verfahren werde. Die engliſche Regie- rung begnügte ſich mit dieſer Erklärung. Das genommene Schiff aber wurde den Engliſchen Behörden zur Verfügung geſtellt, und ſchließlich den urſprünglichen Eigen- thümern zurückgegeben. 3. Nur der neutrale Stat iſt zunächſt berechtigt, von dem krieg- führenden Stat die Herausgabe der Priſe, beziehungsweiſe die Wiederherſtellung des frühern Zuſtands zu fordern, denn nur ſein Recht iſt durch die feindliche Wegnahme verletzt worden, nicht aber der feindliche Eigner des genommenen Schiffs. Allerdings kommt dieſe Befreiung dem Eigenthümer des genom- menen Schiffs zu Gute, da natürlich der neutrale Stat keine Anſprüche auf dasſelbe erheben kann. Aber dieſe Wirkung iſt für ihn nur ein glückliches Ereigniß. Wenn das genommene Schiff dem Priſengericht des Nehmers zugeführt worden iſt, ſo hängt es daher von dem neutralen State ab, die Vertheidigung des Eigen- thümers durch ſeine Beſchwerde zu unterſtützen. In dieſem Falle erkennt auch das feindliche Priſengericht die Wegnahme als ungültig. Aber wenn der neutrale Stat ſtillſchweigt und ſich die Verletzung ſeiner Gebietshoheit gefallen läßt, dann nimmt man an, habe das Priſengericht keine Veranlaſſung, gegenüber einem feindlichen genommenen Schiffe die Beſchwerde des Neutralitätsbruchs zu beachten, welche nur dem neutralen State zuſteht. Vgl. Wheaton Int. L. § 430. 787. Die Verfolgung eines feindlichen Schiffes, das ſich in die Eigen- gewäſſer eines neutralen States flüchtet, darf innerhalb dieſer Gewäſſer nicht fortgeſetzt werden. Die Praxis der Seemächte hat zwar dieſe Regel oft mißachtet und die neu- tralen Staten haben dieſen Eingriff in ihre friedliche Gebietshoheit oft ungerügt ertragen. Dennoch zwingt die Logik zur Verwerfung dieſer Praxis und findet die- ſelbe in der Hitze des kriegeriſchen Eifers zwar eine pſychologiſche Erklärung, aber keine Rechtfertigung. Vgl. Wheaton Int. L. 429 und Anm. von Dana. 788. Der neutrale Stat iſt berechtigt, feindliche Truppen, welche in ſein

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 424. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/446>, abgerufen am 29.03.2024.