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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Einleitung.
den Wegzug mit Procenten des Vermögenswerthes erkaufen; starben sie
in dem für sie fremden Lande, so pflegte die Herrschaft auch auf ihre
Verlassenschaft zu greifen und dieselbe wie herrenloses Gut an sich zu
ziehen oder doch die Wegfahrt der Erben mit erheblichen Abzügen zu
belasten.

Das Alles ist anders und besser geworden. Die Fremden werden
nun in der civilisirten Welt in ihren Menschenrechten geachtet und in den
wichtigsten Beziehungen des Privatrechts und des Verkehrs den Einheimi-
schen durchweg gleichgestellt. Die Barbarei des Wildfangs- und des Heim-
fallsrechts ist endlich aus Europa verschwunden. Zahlreiche Staatenverträge
haben die Abzugsrechte gänzlich abgeschafft und sichern die Freizügigkeit.
Der deutsche Privatmann lebt in Paris oder in New-York oder in Calcutta
eben so sicher wie in Berlin oder in München. Zahllose Fremde aus
allen Ländern der Welt wohnen in allen Welttheilen unter einander ge-
mischt friedlich beisammen und fühlen sich in Person, Vermögen und Ver-
kehr nicht minder geschützt als in der Heimat. Mit dem Aufschwung der
Transportmittel hat auch die gemeinsame Rechtsbildung Schritt gehalten.
Auch sie hat die nationale Isolirtheit durchbrochen und ein internationales
Verkehrsrecht geschaffen, von dem sich kein Stat abschließen kann. Wollte
er dasselbe mißachten, so würde er nicht blos die Mißbilligung der civili-
lisirten Welt auf sich laden, sondern auch in Gefahr sein, zur Rechenschaft
gezogen zu werden, damit er lerne, in den Fremden die Menschen und in
dem Verkehr der Nationen die Gemeinschaft der Völker zu achten. Der
Gedanke des Weltbürgerrechts, den Kant als eine ideale Hauptfor-
derung des neuen Völkerrechts ausgesprochen, hat heute schon zum Theil
eine reale Wahrheit, und dieses Weltbürgerrecht ist so wenig unverträglich
mit dem besondern Statsbürgerrecht, als dieses mit dem Gemeinde- und
Ortsbürgerrecht.

Nur in dem Innern der großen Continente von Asien und beson-
ders von Afrika, wohin die Civilisation noch nicht mit Macht vorgedrungen
ist, dauert einstweilen noch die früher allgemeine Verneinung des Fremden-
rechtes fort, gewiß nicht lange mehr. Mit vollem Rechte nimmt sich jeder
Stat seiner Bürger auch in der Fremde insofern an, als dieselben gegen
Rechtsverweigerung und Gewaltthat seines Schutzes bedürfen. Der Stats-
schutz ist nicht an die Gränzen des Statsgebietes gebannt. Die Verbin-
dung der Staten und die Einheit der Menschheit zeigen sich auch darin,
daß die schützenden Arme der Statsgewalt überall hin auf der Erdober-

Einleitung.
den Wegzug mit Procenten des Vermögenswerthes erkaufen; ſtarben ſie
in dem für ſie fremden Lande, ſo pflegte die Herrſchaft auch auf ihre
Verlaſſenſchaft zu greifen und dieſelbe wie herrenloſes Gut an ſich zu
ziehen oder doch die Wegfahrt der Erben mit erheblichen Abzügen zu
belaſten.

Das Alles iſt anders und beſſer geworden. Die Fremden werden
nun in der civiliſirten Welt in ihren Menſchenrechten geachtet und in den
wichtigſten Beziehungen des Privatrechts und des Verkehrs den Einheimi-
ſchen durchweg gleichgeſtellt. Die Barbarei des Wildfangs- und des Heim-
fallsrechts iſt endlich aus Europa verſchwunden. Zahlreiche Staatenverträge
haben die Abzugsrechte gänzlich abgeſchafft und ſichern die Freizügigkeit.
Der deutſche Privatmann lebt in Paris oder in New-York oder in Calcutta
eben ſo ſicher wie in Berlin oder in München. Zahlloſe Fremde aus
allen Ländern der Welt wohnen in allen Welttheilen unter einander ge-
miſcht friedlich beiſammen und fühlen ſich in Perſon, Vermögen und Ver-
kehr nicht minder geſchützt als in der Heimat. Mit dem Aufſchwung der
Transportmittel hat auch die gemeinſame Rechtsbildung Schritt gehalten.
Auch ſie hat die nationale Iſolirtheit durchbrochen und ein internationales
Verkehrsrecht geſchaffen, von dem ſich kein Stat abſchließen kann. Wollte
er daſſelbe mißachten, ſo würde er nicht blos die Mißbilligung der civili-
liſirten Welt auf ſich laden, ſondern auch in Gefahr ſein, zur Rechenſchaft
gezogen zu werden, damit er lerne, in den Fremden die Menſchen und in
dem Verkehr der Nationen die Gemeinſchaft der Völker zu achten. Der
Gedanke des Weltbürgerrechts, den Kant als eine ideale Hauptfor-
derung des neuen Völkerrechts ausgeſprochen, hat heute ſchon zum Theil
eine reale Wahrheit, und dieſes Weltbürgerrecht iſt ſo wenig unverträglich
mit dem beſondern Statsbürgerrecht, als dieſes mit dem Gemeinde- und
Ortsbürgerrecht.

Nur in dem Innern der großen Continente von Aſien und beſon-
ders von Afrika, wohin die Civiliſation noch nicht mit Macht vorgedrungen
iſt, dauert einſtweilen noch die früher allgemeine Verneinung des Fremden-
rechtes fort, gewiß nicht lange mehr. Mit vollem Rechte nimmt ſich jeder
Stat ſeiner Bürger auch in der Fremde inſofern an, als dieſelben gegen
Rechtsverweigerung und Gewaltthat ſeines Schutzes bedürfen. Der Stats-
ſchutz iſt nicht an die Gränzen des Statsgebietes gebannt. Die Verbin-
dung der Staten und die Einheit der Menſchheit zeigen ſich auch darin,
daß die ſchützenden Arme der Statsgewalt überall hin auf der Erdober-

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[24/0046] Einleitung. den Wegzug mit Procenten des Vermögenswerthes erkaufen; ſtarben ſie in dem für ſie fremden Lande, ſo pflegte die Herrſchaft auch auf ihre Verlaſſenſchaft zu greifen und dieſelbe wie herrenloſes Gut an ſich zu ziehen oder doch die Wegfahrt der Erben mit erheblichen Abzügen zu belaſten. Das Alles iſt anders und beſſer geworden. Die Fremden werden nun in der civiliſirten Welt in ihren Menſchenrechten geachtet und in den wichtigſten Beziehungen des Privatrechts und des Verkehrs den Einheimi- ſchen durchweg gleichgeſtellt. Die Barbarei des Wildfangs- und des Heim- fallsrechts iſt endlich aus Europa verſchwunden. Zahlreiche Staatenverträge haben die Abzugsrechte gänzlich abgeſchafft und ſichern die Freizügigkeit. Der deutſche Privatmann lebt in Paris oder in New-York oder in Calcutta eben ſo ſicher wie in Berlin oder in München. Zahlloſe Fremde aus allen Ländern der Welt wohnen in allen Welttheilen unter einander ge- miſcht friedlich beiſammen und fühlen ſich in Perſon, Vermögen und Ver- kehr nicht minder geſchützt als in der Heimat. Mit dem Aufſchwung der Transportmittel hat auch die gemeinſame Rechtsbildung Schritt gehalten. Auch ſie hat die nationale Iſolirtheit durchbrochen und ein internationales Verkehrsrecht geſchaffen, von dem ſich kein Stat abſchließen kann. Wollte er daſſelbe mißachten, ſo würde er nicht blos die Mißbilligung der civili- liſirten Welt auf ſich laden, ſondern auch in Gefahr ſein, zur Rechenſchaft gezogen zu werden, damit er lerne, in den Fremden die Menſchen und in dem Verkehr der Nationen die Gemeinſchaft der Völker zu achten. Der Gedanke des Weltbürgerrechts, den Kant als eine ideale Hauptfor- derung des neuen Völkerrechts ausgeſprochen, hat heute ſchon zum Theil eine reale Wahrheit, und dieſes Weltbürgerrecht iſt ſo wenig unverträglich mit dem beſondern Statsbürgerrecht, als dieſes mit dem Gemeinde- und Ortsbürgerrecht. Nur in dem Innern der großen Continente von Aſien und beſon- ders von Afrika, wohin die Civiliſation noch nicht mit Macht vorgedrungen iſt, dauert einſtweilen noch die früher allgemeine Verneinung des Fremden- rechtes fort, gewiß nicht lange mehr. Mit vollem Rechte nimmt ſich jeder Stat ſeiner Bürger auch in der Fremde inſofern an, als dieſelben gegen Rechtsverweigerung und Gewaltthat ſeines Schutzes bedürfen. Der Stats- ſchutz iſt nicht an die Gränzen des Statsgebietes gebannt. Die Verbin- dung der Staten und die Einheit der Menſchheit zeigen ſich auch darin, daß die ſchützenden Arme der Statsgewalt überall hin auf der Erdober-

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/46>, abgerufen am 16.04.2024.